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Opern-Kritik: Theater Magdeburg – Vanessa

Gebirge im Schnee

(Magdeburg, 19.1.2019) Die inszenierende Intendantin Karen Stone zeichnet mit der hinreißenden Sopranistin Noa Danon ein bis in die feinsten Details packendes Frauenporträt von Samuel Barbers glamouröser Heldin.

vonRoland H. Dippel,

Das ist echte Poesie: Es geht um den an Verletzungen reichen Beginn einer neuen Liebe. Eine ganze Partitur macht vergessen, dass es sich um eine Beziehung mit beträchtlichem Altersunterschied handelt. Maria Callas wollte die Titelrolle der 1958 an der Metropolitan Opera uraufgeführten „Vanessa“ trotzdem nicht, Sena Jurinac sagte sechs Wochen vor der Premiere ab. Kein Wunder, denn Vanessa setzt mit einem bemerkenswert gut funktionierenden Verdrängungsapparat ihr Glück an der Seite des jungen Anatol, der anstelle seines Vaters zwanzig Jahre später in ihr Leben tritt, gegen ihre Nichte Erika durch. Dieser Part einer Frau am Beginn der kritischen Jahren, die der Konfrontation mit physischen Gebrauchsspuren durch das Verhängen von Jugendbildern und Spiegeln trotzt, ist die Sache eher risikobereiter Primadonnen (etwa Kiri te Kanawa).

Die hinreißende Noa Danon, Generalintendantin Karen Stone, die einmal mehr sagenhafte Magdeburgische Philharmonie und das ideale Ensemble des Theaters Magdeburg zeigen in der bejubelten Aufführung der Fassung von 1964, was für ein blendend aufregendes Stück „Vanessa“ sein kann.

Szenenbild aus "Vanessa"
Vanessa/Theater Magdeburg: Noa Danon (Vanessa), Richard Furman (Anatol), Roland Fenes (Der alte Doktor) und Emilie Renard (Erika) © Andreas Lander

Vergangenheitsgestrüpp

Die bekannteste Quelle zu dem Libretto, das Gian Carlo Menotti für Samuel Barber schrieb, ist die lastende Atmosphäre der „Seven Gothic Tales“ von Tania Blixen, die nach der Uraufführung keinen Kommentar über „Vanessa“ äußerte. Karen Stone macht vor dem Hintergrund der eisigen Berglandschaft in den ebenso gleißenden Interieurs deutlich, wie stark Barber und Menotti sich offenbar von Richard Strauss› „Arabella“ inspirieren ließen. Nicht nur auf dem Silvesterball mit dem ebenfalls sehr dekorativen Opernchor, auf dem Vanessa und Anatol ihre Verlobung bekanntgeben, bevor sie aus der drückenden Familiensituation fliehen wie die Wiener Komtess mit dem unverdorbenen Gutsherrn.

Wenn Noa Danon in weißer Robe die große Treppe herabschreitet, sich bis zum dritten Akt immer mehr verjüngt und unwiderstehlich Konversation macht, ist die Erinnerung an Lisa della Casa in ihrer legendären Rolle unausbleiblich.

Szenenbild aus "Vanessa"
Vanessa/Theater Magdeburg: Noa Danon (Vanessa) und Richard Furman (Anatol) © Andreas Lander

Schleier aus kaltem Weiß

Aber Ulrich Schulz schließt mit apokalyptischen Vereisungsvisionen (der neue szenische Trend folgend der Chemnitzer „Götterdämmerung“ und „Violetter Schnee“ in Berlin) dagegen. Wie ein Schleier legt sich kaltes Weiß über die Figuren. Karen Stone erfindet keine szenischen Begründungen für das, was geschah, ist und sein könnte: Was war zwanzig Jahre früher der Grund für den Bruch zwischen Vanessa und dem Vater des jungen Anatol? Was spielt sich im Inneren von Vanessas Nichte Erika, die das von Anatol in einer glücklosen Liebesnacht empfangene Kind bei einem Unfall verliert, ab? Fragende Blicke und mehr abweisende als zugewandte Gesten fordern zu Spekulationen heraus.

Szenenbild aus "Vanessa"
Vanessa/Theater Magdeburg: Emilie Renard (Erika) © Andreas Lander

Vanessa ist die einzige pulsierende Figur: Karen Stone baute mit Noa Danon ein bis in die feinsten Details packendes Frauenporträt. Kleine vokale Schärfen machen mit Absicht deutlich, dass Vanessa psychisch ebenso gefährdet ist wie Blanche DuBois an der „Endstation Sehnsucht“ oder wie Norma Desmond.

Sattes Orchestermelos

Die Musik zu „Vanessa“ ist aber weitaus packender als die des britischen Musicalmoguls, der sich für „Sunset Boulevard“ vernehmbar einige von Barbers beträchtlichen Fertigkeiten aneignete. Svetoslav Borisov liefert mit der Magdeburgischen Philharmonie Glanz und schnelle musikalische Perspektivenwechsel, vor allem aber überflutet er das satte Orchestermelos nicht mit zusätzlichem Sentiment. Lieber nutzt er das geschickte Timing der Partitur für den vom Orchester beeindruckend grundierten Spannungsaufbau.

Die Folklore-Reminiszenzen, wenn Vanessa mit dem alten Doktor (Roland Fenes) tanzt, das berückende Schlussquintett, die Arien Erikas und Vanessas ragen nicht als Hits aus dem Ganzen heraus, sondern sind sinnvoll in die fast immer lyrischen Szenen integriert.

Szenenbild aus "Vanessa"
Vanessa/Theater Magdeburg: Noa Danon (Vanessa), Undine Dreißig (Die alte Baronin), Richard Furman (Anatol), Roland Fenes (Der alte Doktor) und Emilie Renard (Erika) © Andreas Lander

Metaphernschweres Weiß

Im metaphernschwer lastenden Weiß kommt doch sanft sich steigernde Reibungswärme aus den Figuren. Nicht-Kommunikation ist normal zwischen der gegenüber Vanessa ganz, gegenüber Erika fast verstummten alten Baronin. Undine Dreißig spielt und singt eine überaus robuste Familienälteste, ist klassisch schlichte Krähe zwischen den mondänen Kostüm-Akkumulationen von Ulrich Schulz.

Kalkulierte Brillanz

Wie in „Arabella“ wird der entscheidende innere Konflikt ausgetragen von der gegenüber der charismatischen Protagonistin in den Hintergrund gerückten zweiten Frauengestalt. Vanessa weist Erika beim gegenseitigen Vorlesen in die Schranken. Dann erhält die Titelpartie von Barber in den unmittelbar aufeinander folgenden Soli der beiden Partien bei Ankunft des jungen Anatol den besseren Stich. Später hat die Sängerin der Erika kaum noch Gelegenheit, sich gegen die übermächtig positionierte Vanessa aufzulehnen.

Szenenbild aus "Vanessa"
Vanessa/Theater Magdeburg: Emilie Renard (Erika) und Noa Danon (Vanessa) © Andreas Lander

In der kalkulierten Brillanz der Produktion zeigt der junge Mezzo Emilie Renard sopranhafte (und an die junge Frederica von Stade erinnernde) Farben, mit der sie die menschliche Reife der Figur zum Leuchten bringt. Das Publikum lässt sich von der fast ungerechten Behandlung der Partien durch Barber und Menotti aber nicht täuschen und überschüttet Emilie Renard mit vergleichbarem Jubel wie Noa Danon.

Vanessa: Die Reise nach Magdeburg – ein Muss

Stark ist auch der als blonder Beau ins Geschehen tretende Anatol, der nicht liebende und rhetorisch gewandte Freudenspender. Nach dem „Walküre“-Siegmund macht Richard Furman seinen Tenor ganz schmal. Das zielsichere Florett wird hier seine Waffe, nicht das weit geschwungene Schwert. Trotz Anatols ambivalenter bis anrüchiger Stellung zwischen Vanessa und Erika reißt Richard Furman das Interesse für die zwischen Blässe und Zwielichtigkeit schlingernde Partie an sich. Dank dieses geschickten Besetzungscoups gewinnt der emotionale Irrgarten Vanessas und Erikas an menschlicher Tiefe. Die Melange aus eisigen Höhenzügen und psychischen Turbulenzen macht die Reise nach Magdeburg zum Muss, nicht nur für Barber- und Menotti-Fans.

Theater Magdeburg
Barber: Vanessa

Svetoslav Borisov (Leitung), Karen Stone (Regie), Ulrich Schulz (Bühne & Kostüme), Martin Wagner (Chor), David Williams (Choreografie), Noa Danon (Vanessa), Emilie Renard (Erika), Ks. Undine Dreißig (Die alte Baronin), Richard Furman (Anatol), Roland Fenes (Der alte Doktor), Paul Sketris (Nicholas & Haushofmeister), Opernchor und Statisterie des Theater Magdeburg, Magdeburgische Philharmonie

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