„Piff, Paff, Puff“ ‒ das ist keine Werbung für einen therapeutischen Boxkurs oder für Kindertheater ab drei Jahren, sondern das Label für die heiße Phase im Kölner Offenbachjahr 2019, das „Jacques Offenbach Festival“. Wen „Festival“ an Salzburg oder Zürich erinnert, der wird das Sammelsurium aus Konzerten, Kammeropern, Wandelkonzerten im Schokoladenmuseum und einem Vortrag des Erzbischofs über Offenbachs Humor vielleicht nicht ganz auf der Höhe des Jubilars empfinden. Aber erstens steht in Köln nicht der mondäne Glamour, sondern immer das Wir-Gefühl im Zentrum (was schon Offenbach daran hinderte, sein Musiktheater an den Rhein zu exportieren). Und zweitens gibt es als Filetstück des „Festivals“ die Produktion der „Grande-Duchesse de Gérolstein“ durch die Oper Köln, auf die alle Erwartungen gesetzt wurden wie auf die Doppelnull beim Roulette, das Offenbach leidenschaftlich gern gespielt hat.
Riesiger Erwartungsdruck lastet auf der Inszenierung
Nun ist Erwartungsdruck nicht immer nur inspirierend, sondern er kann die Macher auch gehörig in Zugzwang bringen. Denn „Offenbach heute“ ist, zumal an nicht-französischen Häusern, immer eine Herausforderung: Wie lässt sich der aufmüpfige Geist und die Frivolität der Opéras-bouffes aus dem Zweiten Kaiserreich von Napoleon III. mit ihren Anspielungen an die damalige Polit- und Kulturelite für die Gegenwart auffrischen ‒ und wie seine Musik vom Ruch karnevalistischer Cancan-Seligkeit befreien?
Eine glorreiche Jennifer Larmore in der Titelrolle lässt über die weniger erfreuliche Tonanlage hinweghören
Dazu bräuchte man wohl zuerst ein Theater, in dem Publikum und Ensemble zusammengeschweißt werden, durchaus im Sinne der gemeinsamen Transpiration. Der Uraufführungsort von 1867, das plüschige Théâtre des Variétés in Paris, war dafür zweifellos der passendere Rahmen als das Staatenhaus, in dem die Oper Köln übergangsweise spielt: eine ehemalige Messehalle, in der eine breitgestreckte Bühne (André Barbe) in der Tiefe des Raumes aufgebaut wurde und Sänger und Tänzer weit entfernt vom Publikum agieren. Der Klang, von einer überforderten Tonanlage eher verfremdet als unterstützt, verliert sich meist blechern im Off. Was man dann noch vernehmen kann, ist der offenbar indisponierte Tenor von Dino Lüthy (Fritz), der schön soubrettige Sopran von Emily Hinrichs (Wanda), der dumpf polternde Bass von Vincent Le Texier (General Boum) und ‒ immerhin ‒ eine glorreiche Jennifer Larmore in der Titelrolle. Sie ist die Wiedergeburt der legendären Bühnenberserkerin Hortense Schneider, des größten Kapitals in Offenbachs Theater. Mit ihrem gereiften, aber immer noch nuancenreichen Mezzo geht Larmore klug um, führt dabei ihre knallbunten, fantastischen Kostüme (André Barbe) nicht nur als Modenschau, sondern als Hülle für einen echten Charakter vor.
Gymnastische oder paramilitärische Übungen, pausenlos wechselnde Kostüme
Ansonsten scheitert die heiß erwartete Produktion an einer Grundregel für die heitere Muse: Wer partout keine Langeweile aufkommen lassen will, der kommt darin um. Zu fast jeder Arie vollführt eine (perfekt einstudierte) Bewegungstruppe ihre gymnastischen oder paramilitärischen Übungen, pausenlos wechseln die Kostüme, gewitzte Idee werden sofort wieder von banalen überfahren. Der Regisseur Renaud Doucet hat über die Geschichte von der Großherzogin aus Nirgendwo, die in ihrer Armee auf die Suche nach gut gebauten Liebhabern geht, ein ganzes Netz von politischen Gegenwartsbezügen geworfen: Die Besetzer der Hambacher Forsts und des umstrittenen Flughafenprojekts „Grand Ouest“ bei Nantes lagern in Wohnwagen und Bretterhäusern (auch ein paar Gelbwesten sind auszumachen), ihre Gegenspieler sind skrupellose Unternehmer, die den Einsatz für Natur und Klima kommerziell ausschlachten wollen. Das wäre kein schlechter Ansatz, aber Doucet & Barbe nutzen politisch brisante Themen wie die Umweltzerstörung, den Generationenkonflikt oder die Auflösung der klassischen Vorstellungen von sozialer Verantwortung nur als schnell wechselnde Kulissen. Und am Ende ist natürlich alles wieder gut.
François-Xavier Roth lässt die Märsche wie Stöckelschuhe auf einem Pariser Boulevard trippeln
Bleibt die wunderbare Musik von Offenbachs Militärposse, die der Kölner GMD François-Xavier Roth mit dem klein besetzten Gürzenich-Orchester dann doch zum Leben erweckt. Roth jagt nicht wie Minkowski durch die Partitur, er gibt Klängen und Entwicklungen viel Raum, lässt die unzähligen Märsche nicht martialisch donnern, sondern wie Stöckelschuhe auf einem Pariser Boulevard trippeln. Diese Musik im (immer noch existierenden) Théâtre des Variétés ‒ es müsste ein Traum sein.
Oper Köln
Offenbach: La Grande-Duchesse de Gérolstein
François-Xavier Roth (Leitung), Rebaud Doucet (Regie), André Barbe (Bühne & Kostüme), Jennifer Larmore, Emily Hinrichs, Dino Lüthy, Miljenko Turk, John Heuzenroeder, Vincent Le Texier, Nicolas Legoux, Alexander Fedin, Menna Cazel, Maike Raschke, Regina Richter, Marta Wryk, Chor der Oper Köln, Gürzenich-Orchester