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Opern-Kritik: Markgräfliches Opernhaus – Artaserse

Bayerns Glanz und Preußens Gloria

(Bayreuth, 12.4.2018) Das glanzvoll renovierte Markgräfliche Opernhaus der Markgräfin Wilhelmine wird wiedereröffnet – sogar Markus Söder ist dabei

vonJoachim Lange,

„Artaserse“ von Johann Adolph Hasse auf das Libretto von Pietro Metastatio stand oben drauf. Und eine Menge Hasse war auch drin. Nebst dem Rezitativ und der Arie „Vado a morir“ aus Wilhelmines eigener Oper „Argenore“. Sozusagen als besondere Referenz an diese vielseitig begabte Frau, um die es an diesem Abend überhaupt ging. Musikalisch war das ein Genuss. Michael Hofstetter und die Hofkapelle München ließen sich sichtlich und hörbar vom Genius loci inspirieren. Man versucht sich ja dem historischen Klangbild (so wie man es heute vermutet und immer enger einkreist) im Graben, durch die Instrumente und die Spielweise sehr weit zu nähern. Aber dann ist doch meistens irgendein moderner Theaterbau drumherum, der das Illusorische dieser Rückgriffe in Erinnerung bringt. Es gibt rare Ausnahmen barocker Theater. Klein und bescheiden wirkend in Gotha und Bad Lauchstädt. Fürstlicher in Schwetzigen oder in der Residenz in München. Oder eben ganz außerordentlich und mit dem Furor der Überwältigung wie nun wieder im Markgräflichen Opernhaus mitten in Bayreuth.

Markgräfliches Opernhaus: Diese Pracht verschlägt uns den Atem

Markgräfliches Opernhaus Bayreuth, Fürstenloge
Markgräfliches Opernhaus Bayreuth, Fürstenloge © Achim Bunz/Bayerische Schlösserverwaltung

Das verschlägt dem Zuschauer von heute, der schon die bürgerliche Pracht des ausgehenden 19. Jahrhunderts für das non plus ultra hält, schlichtweg die Sprache. Während der zuständige Ministerpräsident (seit kurzem: Markus Söder) daraus natürlich eine launige Rede formt. Samt Klugem zur Kultur im Allgemeinen. Und diversen Unterstützungsversprechen für deren Absicherung auch am Grünen Hügel im Besonderen. Seiner Rede lauschten sogar diverse königliche Hoheiten aus Bayern, Sachsen und Preußen, deren Vorfahren das einst zu verantworten hatten. Wofür sie heute niemand mehr kritisiert. Auch wenn sie damals ohne Rücksicht auf irgendeine Schwarze Null zu Werke gegangen sind. Ihre demokratischen Nachfolger sind da eher in der Legitimationsklemme.

Was die fast 30 Millionen Euro betrifft, die der Freistaat Bayern aus seinen Steuermitteln für das UNESCO-Weltkulturerbe-Schmuckstück investiert hat, dürfte ein einfaches: Hingehen und Stauen! genügen, um etwaige Skeptiker vom Platz zu schicken. Besonders gelungen: die Verzierungs- und Ausmalungsorgie, die nichts von einer Disneyland-Angeberei hat, der man die Illusionsabsicht ansieht und bei der man die neue Farbe (metaphorisch) riecht, die Absicht merkt und dann doch verstimmt ist. Nein – hier knarksen die Holztreppen, hier fehlen auch mal ein paar Pinselstriche auf dem nackten Holz oder der Leinwand in der Fürstenloge – hier wird die Patina, die das Ganze so authentisch macht, mitgeliefert. Hier stimmt (trotz der geschmackvollen neuen Bestuhlung, der Klimaanlage und der tip top-Infrastruktur im Foyer) einfach alles. Und auch wenn die alte barocke Bühnentechnik perdu ist – der Zuschauerraum ist ein Musterbeispiel gelungener Wiederbelebung alten Glanzes.

Historischer Anlass trifft auf Gegenwart

Szenenbild aus "Atarserse"
Artaserse/Theaterakademie August Everding © Jean-Marc Turmes

Künftig soll es nicht nur als Museum eines dreirängigen Logentheaters mit riesiger Bühne dienen, sondern auch als von Mai bis Oktober bespielbares „richtiges“ Theater. Nun ist die dafür gedachte Oper eine lebendige und immer – so oder so – ihrer Gegenwart verpflichtete Kunstform. Und da gehen Regisseur Balázs Kovalik und sein Team bei ihrer Eröffnungsinszenierung deutlich auf die Gegenwart zu. Jedenfalls meilenweit und Jahrhunderte vom märchenhaften Persien der Vorlage entfernt. An der inhaltlich eingreifenden Bearbeitung der Vorlage und der Erstellung des dezidiert auf den Anlass und den Ort bezogenen Konzeptes sind neben dem Regisseur auch Eva Pons und Dramaturgin Julia Schinke beteiligt. Sie gehen mit ihrer Bearbeitung bis in die Zeit und das familiäre Umfeld der beeindruckenden Bauherrin des Theaters, das als Nachbau, samt historischer Bühnenprospekte und Kostümzitate von ehedem, auf der Bühne selbst eine Hauptrolle übernimmt.

Methodisch ist das eine selbstreferenzielle Mogelei, bei der eine (uralt gewordene und nicht wie Wilhelmine schon mit 49 verstorbene) Markgräfin ihre Jugend verarbeitet und sozusagen als Gedankenspiel vor uns ablaufen lässt. Mit diversen originalen Zitaten Wilhelmines, die gesprochen oder projiziert werden. Weil das Unterfangen, den persischen Intrigenstadel mit dem Familienterror bei Preußens daheim zu überschreiben, von vornherein nur sehr bedingt funktionieren kann, wird die Abweichung am Ende sogar recht mutwillig.

Anja Silja kehrt nach Bayreuth zurück

Szenenbild aus "Atarserse"
Artaserse/Theaterakademie August Everding © Jean-Marc Turmes

Dass der Soldatenkönig ein echter Kotzbrocken war und das ganze Leben von Friedrich und von seiner zwangsweise in die finsterste Provinz verheirateten Lieblingsschwester Wilhelmine traumatisiert hat, daran wird man mit Kattes Enthauptung und den Ausbrüchen dieses exemplarischen Versagers als Vater deutlich erinnert. Die schwarze Uniform, in der er am Ende auftaucht, gehört freilich in die Kiste, in der die Holzhämmer liegen. Und dass sich Friedrich erhängt und seine Schwester die Oper mit einem tief deprimierenden Rezitativ in Singsangsprech beschließt, ist kontrafaktisch ein bisschen zu dick aufgetragen. Anja Silja steuert zwar „nur“ pathetischen Sprechsingang bei, ist aber immer noch Anja Silja. Also für alle die, die sie aus ihrer vokalen und darstellerischen Blütezeit kennen, kein Problem. Außerdem kann ja ein Opernabend auch der Auslöser für etwas sein und nicht nur ein Abschluss.

Beim sängerischen Nachwuchs der Münchner Theaterakademie August Everding schlüpfte Pauline Rinvet in die Rolle der Schwester (der jungen Wilhelmine). Eric Ander war der fiese Vater (sprich Soldatenkönig) und Tianji Lin der vielseitig einsetzbare Intrigant. Mit ihren einfühlsamen und sicher geführten Stimmen nutzten besonders Kathrin Zukowski als Bruder (Friedrich) und Natalya Boeva als resolute Mutter den besonderen Rahmen, um ihr Talent ins rechte Licht zu setzen. Nach dem Anfang des dreistündigen Abends hätte man vermutet, dass man miterlebt, wie Wilhelmine ihr Kindheitstrauma u.a. mit ihrem Opernhaus verarbeiten würde. Es kam anders. Und außerdem saß man ja mittendrin im Resultat dieser Verarbeitung! Da mochte die alte Gräfin noch so deprimiert dozieren. Der prächtige Saal bestand auf dem Gegenteil!

Sehen Sie den Trailer zu „Artaserse“:

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Mehr Informationen

Markgräfliches Opernhaus Bayreuth
Hasse: Artaserse

Michael Hofstetter (Leitung), Balázs Kovalik (Regie), nach Csaba Antal (Bühne), Sebastian Ellrich (Kostüme), Anja Silja, Pauline Rinvet, Kathrin Zukowski, Natalya Boeva, Eric Ander, Tianji Lin, Hofkapelle München

Weitere Termine im Cuvilliés-Theater München: 11., 13. & 15.5.2018

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