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Opern-Kritik: Grand Théâtre de Genève – Siegfried

Poesie statt Politik

(Genf, 15.2.2019) Die Altmeister Jürgen Rose und Dieter Dorn frischen ihren Fantasy-fabelhaften „Ring“ zur Wiedereröffnung des Genfer Opernhauses mit einer gefeierten Sängerschar fulminant auf.

vonPeter Krause,

Darf man das noch? Den in alle Richtungen hin regietheatralisch befragten, mit Metaebenen überladenen und mit Dekonstruktionsfuror ad absurdum geführten „Ring des Nibelungen“ mal wieder als gleichsam märchenhafte Geschichte erzählen? Ganz einfach, unaufdringlich, behutsam und dennoch ganz stark? Ja, man darf, wenn man kann. Zwei Altmeister können es. Der eine sitzt unweit von uns in Reihe 7 und kommt am Ende in aller Bescheidenheit nicht mal mit auf die Bühne. Es ist Jürgen Rose, der hier in Genf für Bühne und Kostüme des „Ring“ verantwortlich zeichnet. Dieter Dorn nimmt den Applaus aber dann doch entgegen. Der alte Mann aus dem Schauspiel, der hier in aller Demut so etwas wie einen werktreuen „Siegfried“ inszeniert hat.

Es ist eine stille Regie, die immer wieder mit kleinen feinen Pointen aufwartet und den im Stück sehr wohl vorhandenen Humor (den Richard Wagner hatte, oh, ja!) mit leichter Hand sichtbar macht, eine Regie, die sich über weite Strecken aber auch zurücknimmt, die den Figuren traut und sie uns nahebringt, ja näherbringt als alles mutwillige Aktualisieren und Aufpeppen.

Siegfried: So poetisch kann Oper sein – und so anrührend

Die mythosschwangeren, aus dem Archetypischen kommend ins Fantasy-Fabelhafte strebenden Bilder von Jürgen Rose meint man, so oder ähnlich schon gesehen zu haben. Man denkt zurück an Wieland Wagners Essenz des Wesentlichen, entdeckt aber keine Zitate oder Anleihen, sondern eigene bewusst schlichte Zeichen von ganz eigener Poesie.

Szenenbild aus "Siegfried"
Siegfried/Grand Théâtre de Genève: Alberich (l.) und der Wanderer/Wotan © Carole Parodi

Am schönsten gerät der zweite Aufzug mit seinen kontinuierlich hin- und herwogenden Krakenarmen, die wunderbar vielgestaltig die Ausläufer des Drachens sein könnten oder aber im Waldweben die Äste eines Baumes, aus dem schließlich das Waldvöglein herausfliegt, um Siegfried mit seinem Wissen zu bereichern. Ganz viele bunte Vöglein bevölkern hier die Szene, von Statisten auf Stangen durch die Lüfte getragen. So poetisch kann Oper sein. So traumhaft verspielt. Und so anrührend. Wenn man es denn kann.

Showdown zweier alter Kerle

Diese neue Naivität des puren Erzählens besticht in der Personenregie durch so treffende Erkenntnisse wie diese: Alberich und Wotan, Schwarzalbe und Lichtalbe, begegnen sich als fast gleich gewandete Doppelgänger. Bei tragen lange Mäntel und Hut, passend zu ihren Attributen des Nacht- und Tagesmenschen ist Wotans Mantel um einiges heller als jener Alberichs. Zwei glatzköpfige in die Jahre gekommen Kerle sind sie beide. Und sie leisten sich, nach so manchem ausgefochtenen Strauss in ihren besten Zeiten, nochmal einen veritablen Showdown. Ob Alberich schon wieder den Kürzeren zieht?

Szenenbild aus "Siegfried"
Siegfried/Grand Théâtre de Genève: Mime (l.) und der Wanderer/Wotan © Carole Parodi

So klingt ein frankophiler Wagner: voller Eleganz, Elastizität und Plastizität

Anders und mit Nietzsche gesagt ereignet sich in Genf das seltene Opernglück von der Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. Denn das feinfühlige Erzählen auf der Bühne scheint geradewegs aus den Farben gespeist, die aus dem Orchestergraben des Grand Théâtre de Génève drängen. Dort demonstriert das Orchestre de la Suisse Romande nicht nur, dass es (seit den Zeiten von Armin Jordan) ein Wagner-Klangkörper von Rang ist, sondern wie man in diesen Breiten Wagner versteht. In einem Wort: frankophil.

Der seinerseits erzählerische, sprechende Ton des Orchesters hat ausgeprägte Eleganz, Elastizität und Plastizität, ist dynamisch vom Piano und Pianissimo kommend extra fein austariert, mischt die Holzbläserfarben wunderbar ab. Hier erklingt ein menschenfreundlicher Wagner, ganz ohne falsche Blechbläserdominanz, sondern zart ausgehört in all den Zwischentönen und Lyrismen der Partitur. Das Waldweben ist Kammermusik pur.

Georg Fritzsch, der Wagner-Landsmann, der scheidende GMD des Opernhauses von Kiel, versteht sich auf das feinste Dosieren und Austarieren

Am Pult steht aber auch ein Mann, der ganz genau weiß, wie Wagner geht. Georg Fritzsch, der Wagner-Landsmann, der scheidende GMD des Opernhauses von Kiel. Sein Dosieren im Sinne des nie zu frühen oder schellen Anpeilens von Höhepunkten ist ideal. Er versteht die Aufzüge Nr. 1 und 2 sehr zu recht als perfekt austarierte Konversationsstücke und nicht als wogende Klangorgie, er trägt die Sänger auf Händen, die niemals forcieren müssen, sondern Wagner wirklich singen, das heißt: niemals brüllen. So geht gesundes Wagner-Singen. Ideales Beispiel: Der nie brachiale Heldentenor des Michael Weinius in der Titelpartie.

Szenenbild aus "Siegfried"
Siegfried/Grand Théâtre de Genève: Brünnhilde und Siegfried © Carole Parodi

Seine herrlich helle, frische, von einer leichten Höhe her gedachte Stimme kennt keine Ermüdungserscheinungen, dafür eine lyrische Grundierung, von der aus jeder Aufschwung mühelos gelingt. Die in seinem Fach selten gewordenen Piano- und Pianissimo-Fähigkeit beherrscht er noch nach fünf Stunden. Sein „So starb meine Mutter an mir“ hat eine zu Herzen gehende Intimität. Dazu spielt Weinius den jungen Siegfried als großes, allzu kräftiges und ebenso unbedarftes Kind.

Von dieser Besetzung können andere Häuser nur träumen

Szenenbild aus "Siegfried"
Siegfried/Grand Théâtre de Genève: Wotan und Erda © Carole Parodi

Das Konzept singender, also nicht stemmender Wagner-Sänger setzt sich konsequent fort. In Dan Karlströms punktgenau charakterisierendem hellstimmigem Mime-Tenor. In Tómas Tómassons viril prachtvollen Wotan-Wanderer. In Petra Langs sich aus der Mezzo-Mittellage zu strahlenden Hohen Cs aufschwingenden Brünnhilde, die in der Premiere nur in den leisen Phrasen mitunter intonationsungenau war. Und mit der Erda von Wiebke Lehmkuhl ereignete sich im dritten Aufzugs ein Opernwunder: Eine längst sehr gute Aufführung mit sehr guten Sängern wird hier durch eine ganz besondere Sängerin auf einsames Weltniveau gehoben. Jedes Wort wägend und dennoch jedes Wort in die Legatolinie einwebend, die Lagen ihrer traumhaften Altstimme wie Ebenholz verschmelzend – so gebührt Wiebke Lehmkuhls Urmutter die sängerische Krone des Abends. Schade nur, dass ihre Partie so kurz ist.

Grand Théâtre de Génève
Wagner: Siegfried

Georg Fritzsch (Leitung), Dieter Dorn (Regie), Jürgen Rose (Bühne & Kostüme), Tómas Tómasson, Tom Fox, Dan Karlström, Taras Shtonda, Petra Lang, Michael Weinius, Wiebke Lehmkuhl, Mirella Hagen, Orchestre de la Suisse Romande

Sehen Sie den Trailer zu „Siegfried“ aus dem Grand Théâtre de Génève:

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Weitere Termine: 8. & 15.3.2019

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