Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Vergewaltigung im Fahrstuhl

Opern-Kritik: Grand Théâtre de Genève – Salome

Vergewaltigung im Fahrstuhl

(Genf, 22.1.2025) Dieser starke Musiktheaterabend gerät weniger emotional erschütternd als intellektuell anregend. Regisseur Kornél Mundruczó schließt dazu 1905 mit 2025 kurz. Dirigent Jukka-Pekka Saraste entdeckt in Richard Strauss die französische Noblesse, Eleganz und Clarté.

vonPeter Krause,

Während das liberale und linke Amerika in Schockstarre verharrt und wie beim Erwachen aus einem bösen Traum nicht so genau realisieren kann, ob die Amtseinführung ihres 47. Präsidenten doch so etwas wie eine Machtergreifung war, da prallen nun in der Neuinszenierung der „Salome“ am Grand Théâtre de Genève die gesellschaftlichen Fronten so krass aufeinander, dass man sich am erschütternden Ende fragt, welcher apokalyptische Unterton wohl in den Worten des Herodes lauert: „Es wird Schreckliches geschehn.“ Noch bevor sich die erste Klarinettenlinie irrlichternd in die Hörnerven schleicht, dringt die Klangkulisse des im aktuellen Amerika noch ausbleibenden Protests hinauf in das Nobeletablissement eines New Yorker Hochhauses. 18. Stock. Unten Demo, oben Party.

Zwei Welten, die sich so unvereinbar gegenüberstehen wie Demokraten und Republikaner. Kornél Mundruczó konnte während der Konzeptionsphase seiner Inszenierung nicht gewusst haben, wer denn ab dem 20. Januar 2025 die USA regieren würde. Doch seine Sicht auf Richard Strauss‘ und Oscar Wildes Abrechnung mit einer in Dekadenz verkommenen Endzeit-Society, die im biblischen Palästina des Jesus von Nazareth und Johannes des Täufers sowie ihres Widersachers König Herodes so sehr spielt wie im freudianischen Fin de Siècle des frühen 20. Jahrhunderts zur Zeit der Uraufführung anno 1905, diese Sicht passt nachgerade perfekt auf die Wiederholung der Geschichte im Jahr 2025 nach Christi Geburt.

Konsum ist alles, auch in der männlichen Triebabfuhr

Ist Herodes also Trump? John Daszak legt dies nahe, wenn er in Genf, alias New York, mit zwar nicht roter, dafür knallorangefarbener Krawatte und zwar nicht gelber, aber doch verdächtig hochgefönter Perücke einen Machtmenschen mit zu vielen Milliarden Dollar auf die Bühne bringt, der eben macht, was er will (und nicht nur, was er nach Recht und Gesetz darf), der Salome am Ende ihres Schleiertanzes mal eben im Fahrstuhl vergewaltigt und dies dann „herrlich!“ und „wundervoll!“ findet. Konsum ist alles, auch in der männlichen Triebabfuhr, immerhin steht dieser König hernach zu seinem Wort und will die sexuelle Dienstleistung bezahlen: „Komm her, du sollst deinen Lohn haben.“ Der bittere Realismus einer nach dem Missbrauch durch Herodes blutverschmierten Salome geht an die Nieren, zumal Daszak den Teatrarchen-Präsidenten diesmal eher heldentenoral auftrumpfend denn charaktertenoral schmierig gibt. Dies verleiht seiner Figur auch vokal eine krasse Glaubwürdigkeit.

Szenenbild aus „Salome“
Szenenbild aus „Salome“

Die „MAGA“-Bewegung und die Vision „Es wird Schreckliches geschehn.“

Da oben im (Trump-)Tower ist man ja eigentlich unter sich, die Klangkulisse der Andersdenkenden da unten auf der Straße tönt aus sicherer Entfernung in die Edeletage mit Security und großen Mengen dienstbaren Personals, das für Spaß, hochprozentige Drinks und Koks sorgt. Doch einer der „Anderen“ von da unten hat es zu Beginn der Handlung in den Lift geschafft: ein langhaariger Fundi-Linker in olivgrüner Schlabberhose, ausgelatschten Sneakers und einem Hoodie mit der Aufschrift „Columbia“ (die gleichnamige Universität sorgte zuletzt durch Aktionen linker Antisemiten für Schlagzeilen). Er will das System des Konsums sprengen, trägt ungefragt seine streng christlichen Thesen von einer nahenden Endzeit angesichts all dieser Verruchtheit des Kapitalismus vor. Bei den langbeinigen Damen in sehr kurzen Röcken im Hause Herodes erweckt der Revoluzzer durchaus gewisse Sympathien. Sie lassen es sich gern gefallen, mit dem hungrigen Eindringling das Brot zu brechen und sich die Drinks nun mal von ihm kredenzen zu lassen.

Szenenbild aus „Salome“
Szenenbild aus „Salome“

Doch ansonsten wird dieser Jochanaan natürlich in seine Schranken gewiesen, muss seine lästerlichen Thesen streng bewacht in jenem Fahrstuhl-Gefängnis kundtun, das Herodes später für die brutale Sex-Nummer mit Salome nutzen wird. Gábor Bretz singt Christi Propheten herrisch, gewaltig, mit metallischer Höhe, weit weniger baritonbalsamisch, als dies ein Bernd Weikl einst vermochte. Da fügt sich die stimmliche Anlage sehr genau mit der szenischen Anlage der Figur: zunächst durchaus faszinierend in seiner Dominanz einer linken Alternative, dann jedoch auch vermittelnd, dass sich einst und heute klar zwei Ideologien gegenüberstehen, die nicht auf Austausch, Vermittlung und Kompromiss zielen, sondern auf Abgrenzung zum Gegner – und im Zweifel auch auf das Mittel der Gewalt keineswegs verzichten. „Es wird Schreckliches geschehn.“ Gerade die nicht zur Bildungselite zählenden Partygäste mit nun dezidiert roten „MAGA“-Kappen lassen jedenfalls Böses ahnen.

Der stumme Protest der Salome

Salome, die Kindfrau aus sehr reichem, nicht zwingend auch aus sehr gutem Hause, steht dazwischen. Sie hört und träumt sich mit ihren Kopfhörern in andere Sphären. Im Rückzug schafft sie sich ihre eigene Welt. Ihr Protest ist zunächst stumm, geht nach innen. Jochanaan wäre ein Partner für sie, und wir dürfen in der durchaus von gegenseitigem Interesse getragenen Auseinandersetzung der beiden kurz mal davon träumen, dass aus dieser Liaison aus Geld und Geist eine dritte Kraft erwachsen könnte. Doch beide bleiben Gefangene ihrer fatalen Prägung. Und wir verstehen, dass in den USA all jene, die es sich denn leisten können, quasi ein Leben lang den Psychiater konsultieren. Strauss, Wilde und Freud wirken hier so gegenwärtig wie nur möglich. 1905 und 2025 kommen sich ganz nah.

Szenenbild aus „Salome“
Szenenbild aus „Salome“

Vom krassen Realismus hinein ins Surreale

Den Kampf der Systeme und Weltanschauungen verknüpfen Kornél Mundruczó sowie sein Team aus Monika Korpa (Bühne & Kostüme) und Marcos Darbyshire (Regie-Mitarbeit) mit einem Kampf der Geschlechter, der auch im Postfeminismus nichts von seiner Heftigkeit verloren hat. Nur, dass Salome eben kein schlichtes Opfer mehr ist, wenn sie Herodes im Schleiertanz gefügig ist, sie weiß nun, was sie tut und wohin es führen wird, wenn sie den alten Geilen sexuell derart auflädt. Die naturalistische Drastik ihrer Vergewaltigung, die der Regisseur mit seinen bekannten Mitteln des filmischen Realismus auf die Bühne bringt, endet dann freilich. Und Mundruczó überführt diese „Salome“ im Finale ins Surreale.

Der Umweg dahin ist die operettige Revue im Stile eines Barrie Kosky: Des Herodes Alternativangebote für den Kopf des Jochanaan, so die Salome angebotenen weißen Pfauen, stolzieren nun leibhaftig in die schicke Partyetage. Den Kopf des Jochanaan aber hatte Salome zunächst eigenhändig zur Glatze rasiert. Dass Herodes ihm dann doch das Haupt abschlagen lässt, sehen wir nicht – allerdings das Ergebnis. Zum Finale fährt ein riesiger begehbarer und bespielbarer Kopf des Propheten auf die nun leere schwarze Bühne. Sieben kesse, fast nackte Damen mutieren zur multiplen Salome, entsteigen der Kopf-Installation, vereinen sich mit dem seinerseits übermächtigen, aber toten Jochanaan. Der Konsequenz („Man töte dieses Weib“) entzieht sich Salome. Sie zieht sich einen weißen Hoodie über den Kopf und setzt sich als letzten Akt der Regression die Kapuze über die Ohren. Das Licht schaltet auf Schwarz. Und wir ahnen einmal mehr: „Es wird Schreckliches geschehn.“

Szenenbild aus „Salome“
Szenenbild aus „Salome“

Fein ziselierter Strauss-Soundtrack

Die drahtig schlanke Olesya Golovneva debütiert in der Titelpartie, setzt ihren schlanken, beweglichen Sopran zumal in der silbrigen Höhe berührend ein. Nur in der Mittellage kommt sie in den dramatischen Passagen mitunter ins Vibrato-Flackern. Das mag dem Premierendruck geschuldet sein. Eine Alternative zur großen Asmik Grigorian wächst da so langsam dennoch heran. Jukka-Pekka Saraste als Stargast am Pult liefert für ihr Debüt einen fein ziselierten Strauss-Soundtrack voller berückend ausgehörter Details. Der Finne beginnt bewusst mit Understatement, steuert nie zu früh auf den Strauss-Rausch hin.

Doch letztlich fehlen dem glänzend disponierten Orchestre de la Suisse Romande dann doch die bissigen Töne, das Aufbäumen und Aufschäumen der Höhepunkte, unter denen die psychischen Abgründe lauern. Das Klangbild bleibt innerhalb der Grenzen einer französischen Noblesse, Eleganz und Clarté. So sind die Sänger zwar nie gefährdet, es fehlt aber doch auch die düstere Magie dieser eigentlich weiterhin schockierenden Partitur. So gerät dieser starke Musiktheaterabend weniger emotional erschütternd als intellektuell anregend.

Grand Théâtre de Genève
R. Strauss: Salome

Jukka-Pekka Saraste (Leitung),Kornél Mundruczó (Regie), Marcos Darbyshire (szenische Mitarbeit), Monika Korpa (Bühne & Kostüme), Felice Ross (Licht), Kata Wéber (Dramaturgie), Csaba Molnár (Choreograhie), Olesya Golovneva, Gábor Bretz, John Daszak, Tanja Ariane Baumgartner, Matthew Newlin, Ena Pongrac, Mark Kurmanbayev, Nicolai Elsberg, Michael J. Scott, Alexander Kravets, Vincent Ordonneau, Emanuel Tomljenović, Mark Kurmanbayev, Nicolai Elsberg, Rémi Garin, Peter Baekeun Cho, Orchestre de la Suisse Romande






Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!