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Opern-Kritik: Grand Théâtre de Genève – Götterdämmerung

Magischer Realismus

(Genf, 16.2.2019) Wie die Altmeister Dieter Dorn und Jürgen Rose dem Dirigenten Georg Fritzsch mit Wagners „Götterdämmerung“ zu einem Triumph verhelfen.

vonPeter Krause,

Leerer kann eine Bühne nicht sein. Keine Toten und keine Überlebenden, auch keine Kinder als kleine Hoffnungszeichen, dass es mit dieser Welt nach dem Untergang der alten Götter schon irgendwie weitergehen will. Ausstatter Jürgen Rose und Regisseur Dieter Dorn lassen der Musik das letzte Wort. Wir dürfen, ja wir müssen also genau hinhören, was der Richard Wagner uns da am Ende in seinem orchestralen Epilog der „Götterdämmerung“ mit auf den Nachhauseweg gibt.

Ein Motiv von überströmender romantischer Hochspannung kündet von Erlösung, wie der Bayreuther aus Sachsen es seinerzeit nannte. Wir können heute andere Worte dafür finden oder aber einfach unsere Gefühle fragen. „O hehrstes Wunder!“ hatte Sieglinde auf das wunderbare Motiv gesungen – zwei Opernabende zuvor, als Brünnhilde ihr in „Die Walküre“ ihre Schwangerschaft verkündete: „Ein Wälsung wächst Dir im Schoß.“ Die Musik kündet jetzt also wieder von Geburt, davon dass es weitergeht, dass nach dem Untergang wieder neues Leben entsteht.

Szenenbild aus "Götterdämmerung"
Götterdämmerung/Grand Théâtre de Genève © Carole Parodi

Neues altes Vertrauen in die Musik

In handelsüblichen Inszenierungen des Regietheaters wird solchen Botschaften gern misstraut. In Genf, wo sich jetzt zur Wiedereröffnung des Grand Théâtre an der Place de Neuve der „Ring“ rundete, der im März in noch zwei weiteren Zyklen erklingen wird, da traut man der Musik, und man traut der Geschichte und ihren Figuren. Das funktioniert erstaunlich gut, obwohl es zwei Abende zuvor im „Siegfried“ noch stimmiger aufging. Denn der märchenhaft magische wie schnörkellos einfache Erzählstil passt zum Naturstück und mit einigem Witz durchsetzten Satyrspiel des „Siegfried“ ideal, die „Götterdämmerung“ freilich ist viel mehr Gesellschaftsanalyse und politische Parabel.

Szenenbild aus "Götterdämmerung"
Götterdämmerung/Grand Théâtre de Genève © Carole Parodi

Da prallen Machtinteressen krass aufeinander, Naivlinge wie Siegfried werden nach allen Regeln der Intrigenkunst instrumentalisiert, Sieger gibt es am götterdämmernden Ende keine. Oder doch? Die Rheintöchter! Sie nehmen das fluchbeladene Ding namens Ring von Brünnhilde, die aus dem selbst gelegten Feuer ins Wasser geht, endlich wieder an sich, waschen es im Rhein rein, stellen den Urzustand vor der Entfremdung der Natur wieder her – so weit das denn möglich ist.

Götterdämmerung: Ein paar archetypische Zeichen reichen

Während der Intrigenstadl am Hofe der Gibichungen zuvor denn doch allzu opernroutiniert und schick in einer weißen Box abgehandelt wird, mit einigem szenischem Leerlauf wie einiger sängerdienlicher Statik und einer stimmigen Darstellung der inszestiösen Verbindung des Geschwisterpaares Gutrune und Gunther, kommt der magische Realismus des Regieteams in den Naturbildern wiederum zu seinem Recht.

Im Hintergrund wogen die Wellen des Rheins mit Hilfe von schwarzen Tüchern. Unter denen tauchen im Vordergrund zu Beginn des 3. Aufzuges die Rheintöchter wieder auf. Und mit einem ebensolchen Tuch verhüllen die drei Fabelwesen den in der Handlung übrig gebliebenen Bösewicht Hagen, will sagen: Sie ziehen ihn mit sich in die Tiefen des deutschesten aller Flüsse. Solche wunderbar simplen Bilder stehen für die szenische Stärke des Genfer „Rings“, der so ganz ohne eine über das Stück hinausgehende Haltung auskommt, dafür den Archetypen des „Ring“ vertraut: Wasser und Feuer, Brünnhildes Ross Grane, das als größeres Spielzeugpferdchen mitspielt, und Wotans Botschaften durch die Lüfte tragende Raben. Viel mehr brauchen Rose und Dorn nicht für ihre „Ring-Sicht“, die sich vor Text und Musik verbeugt.

Szenenbild aus "Götterdämmerung"
Götterdämmerung/Grand Théâtre de Genève: Brünnhilde © Carole Parodi

Auf Wagners „vaterländischen Belcanto“ verstehen sich die nicht-deutschen Sänger am besten

Denn sie haben in Genf ja auch Sänger, auf deren Präsenz sie sich verlassen können und die ohne Aktionismus auskommen, dafür ihre Figuren mit der Kraft ihres Gesangs füllen. Einen „vaterländischen Belcanto“ imaginierte Richard Wagner einst und legte seinen Sängern damit eine schwer zu erfüllende Dialektik aus italienischem Legato und deutscher Deklamation auf. Erstaunlich ist in Genf, dass der schwedische Siegfried und der englische Gunther dem Ideal näher kommen als die deutsche Brünnhilde.

Wortprägnant und stimmschön leiht Mark Stone dem Gunther seinen prachtvoll strömenden Bariton. Ohne jede Konditionsschwäche, mit scheinbarer Leichtigkeit und genau durchgeformter Diktion knüpft Michael Weinius an die Titelpartie zwei Abende zuvor an. Es wird nicht lange dauern, bis die größten Opernhäuser auf diese tolle Besetzungsalternative im engen Markt der Wagnersänger aufmerksam werden.

Szenenbild aus "Götterdämmerung"
Götterdämmerung/Grand Théâtre de Genève © Carole Parodi

Bei Petra Langs Brünnhilde mischen sich in die Bewunderung für ihre jubelnden Höhen, die dank ihrer Mezzovergangenheit gut gebaute Mittellage und ein emotionaler Maximaleinsatz für Wotans Lieblingstochter kleine Zweifel. Denn für ihren Wechsel ins hochdramatische Sopranfach – in Bayreuth sang sie zuletzt die Isolde – setzt sie für die Erweiterung des Ambitus nach oben alle Kraft in die pure Tonproduktion, wodurch die Klarheit der Konsonanten und die Textverständlichkeit im hohen Register leidet. Ein Kollateralschaden.

Jeremy Millner wiederum hat zwar Mittellage, Höhe und Durchschlagskraft für den Hagen, die Tiefe für den Erzbösewicht fehlt ihm noch, ebenso das Charisma des abgründig Teuflischen. Ein reifer Tom Fox wiederum legt in sein Portrait von Hagens Papa Alberich seine jahrzehntelange Wagnerexpertise, die scharfe Zeichnung der Worte lässt keine Wünsche offen. Enorm gestaltungsintensiv, nur ohne die frühere stimmliche Wucht gibt Michelle Breedt die Waltraute.

Tief hineinhören ins Orchester: Georg Fritzsch wird gefeiert

Einen Triumph ohne Abstriche feiert Georg Fritzsch am Pult des Orchestre de la Suisse Romande. Seine flüssigen, die Sänger auf Händen tragenden Tempi, blühende, gleichwohl tiefgründige Streicher und prägnant artikulierende Holzbläser machen jeden Moment zum Ereignis und halten die Spannung stets hoch. Die szenische Zurückhaltung lenkt den Hörfokus noch zusätzlich auf diese beglückende Leistung. Und das frisch herausgeputzte Opernhaus an der Place de Neuve strahlt dazu so gülden wie zuletzt im späten 19. Jahrhundert. Passender konnte die Werkwahl zur Wiedereröffnung nicht sein.

Grand Théâtre de Génève
Wagner: Götterdämmerung

Georg Fritzsch (Leitung), Dieter Dorn (Regie), Jürgen Rose (Bühne & Kostüme), Petra Lang, Michelle Breedt, Michael Weinius, Tom Fox, Jeremy Milner, Agneta Eichenholz, Mark Stone, Orchestre de la Suisse Romande

Sehen Sie hier den Trailer zu „Der Ring des Nibelungen“ am Grand Théâtre de Genève:

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Weitere Termine: 10. & 17.3.2019

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