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Opern-Kritik: Grand Théâtre de Genève – Cavalleria rusticana/I Pagliacci

Gemischtes Doppelpack

(Genf, 23.3.2018) Emma Dante und Serena Sinagaglia teilen sich die Verismo-Zwillinge – aber nur eine Regisseurin gewinnt

vonPeter Krause,

Die Verismo-Zwillinge von Mascangni und Leoncavallo sind zwar nicht siamesisch aneinander gekettet. Doch sind sie im Doppelpack, als abendfüllendes Duo, immer wieder unschlagbar. Zumal wenn ein Regisseur sie klug zusammendenkt, heimliche Querverbindungen aufzeigt in diesen beiden auf den ungeschminkten Naturalismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts setzenden Werken. Der Ansatz in Genf war jetzt ausdrücklich ein anderer: Jede der Opern wurde einer renommierten italienischen Regisseurin anvertraut, zwei weibliche Blickwinkel sollten die Perspektiven auf die Opernhits verschieben und schärfen. Die Ergebnisse hätten heterogener nicht ausfallen können. Emma Dante und Serena Sinagaglia haben sich fraglos viel vorgenommen, gewonnen hat freilich nur eine der Damen.

Gottesmutter Maria trifft Mamma Lucia

Eifersuchtsdrama Nr. 1 spielt an Ostern. Chorgewaltig wird in „Cavalleria rusticana“ eine Prozession zum größten Fest der Christenheit besungen. Vor der Kirche aber wird gar unösterlich gestritten, geliebt und gelitten, intrigiert, geschrien – und eine Verabredung zum finalen Duell geschlossen, bei dem dann einer der Streithähne sein Leben lässt: Das ist Turiddu, dessen alte Mutter Lucia am Ende herzerbärmlich zusammenbricht, als die Nachricht eintrifft: „Sie haben Turiddu geschlachtet.“ Meist wird in der Kirchenszene dann auch mal ein Kruzifix über die Bühne geschleppt.

Das Thema Ostern spielt sonst aber keine Rolle. Emma Dante versucht nun aus dem Bezug zweier leidender Mütter Kapital zu schlagen, indem sie die Gottesmutter Maria und Mamma Lucia zusammendenkt. Gleich mehrfach muss dazu ein gut gebauter schwarzer junger Mann christusgleich ein Kreuz von rechts nach links tragen. Eine blau gewandete Statistin mimt Schmerzensmutter Maria und legt Mamma Lucia am Ende bedeutungsschwanger ihren Mantel um. Zwei starke Frauen beweinen ihren toten Sohn.

Klischeevermeidung durch Kitsch

Cavalleria rusticana am Grand Théâtre Génève
Cavalleria rusticana am Grand Théâtre Génève © GTG/Carole Parodi

Die naheliegende Idee erweist sich allerdings als wenig tragfähig. Emma Dante, selbst in Palermo geboren, will den Klischees extremer sizilianischer Leidenschaft ausweichen, sie ersetzt sie freilich durch Schlimmeres: durch pseudoreligiösen Kitsch, der dem gefühlsintensiven Finale den Garaus macht, es ins Lächerliche zieht. Deutlicher ist ihr grundlegendes Missverständnis: Denn der in allen Zeiten gültige, überhöhte, archetypische Erlösungstod Jesu Christi und der durch eine realistisch konkrete Eifersuchtsgeschichte ums Leben gekommene Turiddu haben denkbar wenig gemein. Die Verquickung bleibt eine kühne Behauptung: Wiederholt sich in der Oper Leben und Sterben Jesu? Wohl kaum. Der Einsatz choreographischer Elemente aber führt gleichwohl immer wieder zu schönen Bildern. Die vier neckischen Tänzerinnen, die den Karren des Fuhrmanns Alfio statt seiner Pferde ziehen, sind ein solches dekoratives Element.

Gesungen wird in „Cavalleria rusticana“ großteils famos. Oksana Volkova ist eine mit brustiger Mezzo-Erotik aufwartende junge Santuzza, Roman Burdenko eine Baritonbombe als Alfio, die ins Charakterfach gewechselte Stefania Toczyska eine grandios deklamierende, gigaintensive Mamma Lucia, Marcello Giordani ein otelloheldisch extralauter, denn doch etwas zu reifer Turiddu.

Müssen Sänger wirklich weinen?

I Pagliacci am Grand Théâtre Génève
I Pagliacci am Grand Théâtre Génève © GTG/Carole Parodi

Eifersuchtsdrama Nr. 2 spielt – im Theater. Serena Sinagaglia hat erkannt, wie sehr das Stück die Diskurse des realistischen Theaters direkt auf der Bühne verhandelt. Müssen Sänger wirklich weinen? Oder spielen sie Betroffenheit? Was ist Spiel? Was ist Wahrheit auf der Bühne? Genialisch und enorm witzig setzt Serena Sinagaglia die Klammer des Prologs um das Stück „I Pagliacci“. Da bereiten Bühnenarbeiter und Regieassistenten eine Opernvorstellung vor, es geht drunter und drüber, bis ein Techniker dem Publikum erklärt, was hier gerade abgeht: Das ist Tonios Prolog, den Roman Burdenko überwältigend höhensicher singt. Die spätere Brechung des Spiel im Spiel und der Einbruch der Realität in die Ebene des künstlerischen Als-Ob ist auf diesem Wege glänzend vorbereitet.

Veritabler Vergewaltigungsversuch

Die Regisseurin führt die Oper dann mit einer Liebe zum Detail und einer Präzision durch, die sogar jedes Chormitglied einzeln motiviert, dass es eine Wonne ist. In den zuvor aus der Mottenkiste geholten historischen Kostümen schnurrt die Komödie dann aufregend und hoch spannend ab, eine Komödie, die als Tragödie endet. Sinagaglia geht in einzelnen Szenen zu Recht sehr weit, etwa, wenn sie die Tonios Anmache der von ihm begehrten Nedda als veritablen Vergewaltigungsversuch zeigt.

Bestbesetzte Hauptrolle: der Chor des Grand Théâtre de Génève

I Pagliacci am Grand Théâtre Génève
I Pagliacci am Grand Théâtre Génève © GTG/Carole Parodi

Führender Sänger von „I Pagliacci“ ist wiederum Bariton Roman Burdenko, sein Tenorkollege Diego Torre stattet den Canio mit obertonreich klingender stupender Höhe und einer angenehm timbrierten Stimme aus. Nino Machaidze ist zwar eine toll aussehende, glaubwürdige Nedda, ihr schlampiges Italienisch und ihr vibratoseliger, sehr wohl durchschlagskräftiger Sopran bleibt Geschmackssache. Dirigent Alexander Joel geht mit viel Verismo-Gespür zur Sache, lässt die Musik blühen, schärft die Kontraste. Vielleicht sogar die bestbesetzte Hauptrolle ist der Chor des Grand Théâtre de Génève, der an diesem Abend eine packende Glanzleistung abliefert.

Grand Théâtre Génève
Mascagni/Leoncavallo: Cavalleria rusticana/I Pagliacci

Alexander Joel (Leitung), Emma Dante & Serena Sinagaglia (Regie), Carmine Maringola & Maria Spazzi (Bühne), Vanessa Sannino & Carla Teti (Kostüme), Oksana Volkova, Marcello Giordani, Stefania Toczyska, Roman Burdenko, Melody Louledjian & Nino Machaidze, Diego Torre, Roman Burdenko, Migran Agadzhanyan, Mark Stone, Orchestre de la Suisse Romande, Choeur du Grand Théâtre de Génève

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Weitere Termine: 27. & 29.3.2018

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