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Opern-Kritik: Bregenzer Festspiele – Carmen

Zigeuner lieben’s bunt

(Bregenz, 30.7.2017) Kaspar Holten bebildert Bizet mit spektakulären Effekten als massentaugliches Spiel auf dem See

vonPeter Krause,

Es ist ein Abendrot wie aus dem Bodensee-Bilderbuch, dass uns noch vor dem ersten Takt von Bizets immergrüner „Carmen“ in die rechte Open-Air-Stimmung versetzt. Zur Premiere, elf Tage zuvor, hatte noch ein Gewitter für sehr viel Wasser von oben gesorgt und die Prominenz einschließlich des österreichischen Bundespräsidenten in Verlegenheit gebracht. Die Darsteller freilich müssen in der Neuinszenierung von Kaspar Holten Abend für Abend ihre Abkühlung erfahren: Tänzer und Statisterie, die den Prager Philharmonischen Chor szenisch vertreten, der wie die Wiener Symphoniker aus dem Festspielhaus zugespielt wird, sie vollziehen ein veritables Wasserballett – auf jenen Spielkarten, die Es Devlin zum spektakulären Signet der Produktion erkoren hat. Die Bühnenbildnerin, die schon die Eröffnungs- und Abschlussfeiern Olympischer Spiele designt hat, greift auf der Bregenzer Seebühne jene Szene des dritten Aktes auf, in der Carmen die Karten befragt und so von ihrem baldigen Tod erfährt.

Regisseur Kaspar Holten setzt auf dekorative Deutlichkeit

Szenenbild aus "Carmen"
Carmen/Bregenzer Festspiele © Karl Forster/Bregenzer Festspiele

Herz Dame und Kreuz Bube stehen da natürlich für das ungleiche Paar aus Carmen und Don José. Das Klischee der Karten lesenden Zigeunerin bedient Bizet so selbstverständlich wie seine aktuellen Interpreten, die hier einen Opern-Bilderbogen entfalten, der so ziemlich jede Erwartung erfüllt, die Novizen des Musiktheaters an diesen Hit haben können. „Zigeuner“ sind zwar längst kein politisch korrekter Begriff mehr, hier sind sie indes so kunterbunt gewandet wie in einem rumänischen Dorf weit weg vom Rest der Welt. Das Einflechten von Subtext, gar das Befragen oder Hinterfragen der berühmtesten Femme fatale der Operngeschichte muss beim Spiel auf dem See keine Rolle spielen. Kaspar Holten setzt auf dekorative Deutlichkeit, die einen Monat lang pro Abend bei knapp 7.000 Menschen und mit Hilfe von drei alternierenden Sängerbesetzungen ankommen muss. Er verschenkt aber auch die Chance, all die aufregenden Einfälle mit einer echten Exegese des Stücks zu versöhnen. Schöne Bilder und sinnhafte Deutung schließen sich nicht aus, wie die sommerlichen Open-Air-Festivals von Heidenheim bis Macerata beweisen.

Ganze 62, jeweils 4,30 mal 7 Meter große Spielkarten zieren die gigantische Seebühne

So wirkt es denn durchweg beliebig, wenn Micaëla (Elena Tsallagova mit mädchenhaft entzückendem Sopran) ihre Arie in schwindelerregender Höhe singen muss. Immerhin werden die riesigen Carmen-Hände, die ein Kartenspiel in die Luft werfen, auf diesem Wege auch wirklich bespielt, bleiben nicht unbeweglicher Dekor.

Szenenbild aus "Carmen"
Carmen/Bregenzer Festspiele © Karl Forster/Bregenzer Festspiele

Doch ist die Inszenierung deshalb auch qualitativ ein großer Wurf? Mehrwert entsteht in der Tat durch die ausgefeilt variablen Projektionen auf die jeweils 4,30 mal 7 Meter großen Spielkarten – stolze 62 Karten sind es insgesamt. Sie mutieren schon mal zu herrlich altmodischen Postkarten, mithin zu Grüßen aus Sevilla, die zu Zeiten versandt wurden, als die Stierkampf-Folklore stolzer Toreros noch ungebrochen war. Sie werden, als Carmen „La Mort“ gezogen hat, in fatalistisches Tiefrot getaucht. Und sie werden nicht zuletzt von tollkühnen Stuntmen in atemberaubender Höhe wie Schweizer Berggipfel erklommen.

Paolo Carignani ist am Pult der Wiener Symphoniker der Garant für hohe musikalische Qualität

Musikalisch aber ist die Welt am Bodensee mehr als in Ordnung. Gaëlle Arquez, die attraktive Premieren-Carmen, leiht der Titelfigur trefflich gurrende Mezzotöne, gibt das selbstbestimmt ihre Freiheit lebende Vollweib. Daniel Johansson als Don José ist der ihr angemessen unterlegende Mann, sein mitunter forcierter Tenor hat dennoch Strahlkraft. Überaus baritonviril sein Gegenspieler Escamillo, dem Scott Hendricks angemessen präpotente Statur verleiht. Paolo Carignani setzt am Pult der Wiener Symphoniker auf druckvolles Tempo und starke Farben, die dank der ausgefeilten Tontechnik auch bestmöglich transportiert werden. Im Sommer 2018 wird „Carmen“ wiederaufgenommen. Ab 2019 folgt dann Verdis „Rigoletto“.

Bregenzer Festspiele
Bizet: Carmen

Ausführende: Paolo Carignani (Leitung), Kaspar Holten (Regie), Es Devlin (Bühne), Anja Vang Kragh (Kostüme), Bruno Poet (Licht), Olaf A. Schmitt (Dramaturgie), Gaëlle Arquez, Daniel Johansson, Scott Hendricks, Elena Tsallagova, Wiener Symphoniker, Prager Philharmonischer Chor

Termine: 19.7. (Premiere), 2.-6., 8.-13., 15.-20.8.2017

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