Die Bayerische Staatsoper in München erlaubt sich zwar (wie Bayreuth ja auch) ringfreie Jahre. Aber zu viel sollten es denn auch nicht sein. Der Start von Andreas Kriegenburgs und Kent Naganos „Ring“-Projekt ist auch schon wieder zwölf Jahre her. Und für den Intendanten Serge Dorny und GMD Vladimir Jurowski wird es Zeit, mit einem „Ring“ zu punkten und ihren Kritikern eine so kluge wie theaterwirksame Inszenierung auf hohem musikalischem Niveau entgegenzuhalten. Dass ihnen Tobias Kratzer trotz seiner bevorstehenden Intendanz in Hamburg, deren Auftakt er ja auch als Regisseur untermauern wird, nicht abhanden kam, sondern er seinen „Ring“ in München jetzt mit „Das Rheingold“ begonnen hat, spricht für ihn.
Der Mann aus Landshut hat nicht nur einen hinreichenden Vorrat an szenischen Ideen, sondern auch eine bislang allemal funktionierende Methodik für den intellektuellen Zugang zu den Stoffen, die er sich vornimmt. Obendrein verfügt er über eine handwerkliche Souveränität, um einen lustvollen Theaterabend zu formen, der – wie bei seinem grandiosen „Tannhäuser“ in Bayreuth – auch viele von denen mitzunehmen vermag, die Regieexperimenten (oder auch -Meisterstücken) skeptisch gegenüberstehen. Dabei sieht keine Inszenierung aus wie die andere.
Flügelhelm und Businessanzug
Als Schauplatz hat Ausstatter Rainer Sellmaier diesmal das Innere einer Kirche auf die Bühne gesetzt, in der der Altar restauriert wird und die Götter auf den Gerüsten und daneben campieren. Bei den Kostümen überrascht er sogar mit diversen historischen Rückgriffen. Man muss beispielsweise schon eine Weile in den Archiven kramen, um auf einen Wotan zu stoßen, der mit Umhang, Speer und geflügeltem Helm aussieht wie aus einem Bilderbuch des vorvorigen Jahrhunderts. Für den Weg nach Nibelheim freilich muss er seine historischen Klamotten wechseln und auf einen Businessanzug umsteigen.
Das ist hier nämlich eine Flugreise, die ihn gemeinsam mit Loge in unsere Gegenwart und in eine der vielbeschworenen Garagen für die großen Erfinder (bzw. Überwachungsspinner oder Waffennarren) führt, in die sich Alberich (mit Mime) verzogen hat, um von hier aus die Weltherrschaft anzustreben. Im grauen Straßenanzug freilich erkennt erst recht niemand den Gott auf Dienstreise. Wenn er dann auf dem Rückweg seinem Sitznachbarn im Flugzeug stolz die Tupperdose mit der Alberich-Kröte darin unter die Nase hält, kann man an dessen Blick ablesen, was der von diesem kauzigen Typen hält.
Reise-Video mit Witz und Hintersinn
Das Nibelheim-Reise-Video durch die Zeit und in die Neue Welt und zurück, an dem diesmal sogar gleich drei Videoexperten gewerkelt haben, hat die Mischung aus Witz und Hintersinn, die für Kratzer dann doch typisch ist. So wie der Umgang mit den Äpfeln Freias, deren Genuss die Götter ja ewig jung hält. So ganz geschmeidig ist diese Metaphorik bei Wagner nicht ins Geschehen eingebaut.
Hier ist es so, dass sich immerhin noch ein einzelner Apfel in der Vorratsbox gefunden hat. Da der Loge des prägnant artikulierenden Sean Panikkar hier aber kein szenischer Hallodri, sondern ein smarter Analyst im schwarzen Look der Existenzialisten ist, schnappt der sich das Äpfelchen nicht einfach für sich selbst, sondern zerschnippelt es als kraftspendenden Reiseproviant für Wotan, so dass der mal nachvollziehbar bei Kräften bleibt.
Die Logik der skrupellosen Grausamkeit
Neben solchen Einfällen, die dem kleinen Witz zwischendurch frönen, gibt es aber auch die kraftvolle Zuspitzung, bei der einem der Atem stockt. Dass Alberich als echte Kröte in der Dose per Flugreise den Atlantik überquert, ist noch einigermaßen witzig. Wie er dann aber – wieder in Menschengestalt – splitternackt gedemütigt und drangsaliert ja zum Schmerzensmann wird, das wirkt wie ein emotionaler Treibsatz für Alberichs Fluch und den Weg in die Katastrophe.
Markus Brück wirft sich hier nicht nur mit vokaler Durchschlagskraft in die Rolle des Alberich, sondern überzeugt auch mit vollem Körpereinsatz. Dass ihm Wotan (prägnant souverän: Nicolas Brownlee) in dieser Konstellation nicht nur den Ring entreißt, sondern dabei auch noch den Finger abschneidet, liegt durchaus in der Logik dieser skrupellosen Grausamkeit, zu der Wotan fähig ist.
Düstere Visionen – und der Dreh zurück auf Anfang
Eine Ahnung davon, wohin all das führen wird, bekommt man beim mahnenden Auftritt Erdas. Die wohltönende Wiebke Lehmkuhl naht als gebeugte alte Frau, doch wenn sie ihren Körper strafft und damit zugleich ihre prophetische Kompetenz aktiviert, dann weiten sich ihre mahnenden Worte zu einer effektvollen und hintersinnigen Vision. Sie streift sich den Ring über und dreht mit ihm gleichsam die Zeit erst vorwärts und dann wieder zurück. Zunächst sieht man auf der sich drehenden Bühne hinter dem Altar, was passieren würde, wenn Wotan den Ring nicht an die Riesen herausgeben würde.
In Zeitlupe reißen die Riesen (Mattew Rose als Fasolt und Timo Riihonen als Fafner treten hier in Priestergewändern auf) Freia von den Göttern los und bewegen sich in einem brennenden Kirchenraum, in dem den Göttern der prophezeite düstere Tag dämmern wird, von dem Erda raunt. Diese Vision dreht sie dann aber wieder zurück auf Anfang – und Wotan gibt den Ring heraus.
„GOTT IST TOT“
Die Szene, in der Freia (Mirjam Mesak) mit Gold aufgewogen werden soll, gerät allerdings etwas verquer. Sie wird hier nämlich aufgehängt und die (Aus-)Lösung besteht darin, dass ihr so viele Koffer (mit wer weiß welchen Schätzen darin) unter die Füße geschoben werden, damit sie wieder Luft bekommt. Wobei sie ja eigentlich eh nicht sterblich ist. Das Finale dann kehrt wieder zum charismatischen Großformat der Inszenierung zurück. Da prunkt der fertig restaurierte goldene Altar mit den alten Göttern an ihren angestammten Plätzen, und das geradewegs von der Straße herbeiströmende Publikum bestaunt die aus der Zeit gefallenen Götter. Draußen stand der Schriftzug „GOTT IST TOT“. Den rechten Gegenbeweis tritt dieser Wallhall-Altar freilich auch nicht an. Ekaterina Gubanova als markante Fricka, Sarah Brady (Woglinde), Verity Wingate (Wellgunde), Yajie Zhang (Floßhilde) und Matthias Klink als Mime, Milan Sijanov als Donner und Ian Koziara als Froh komplettieren das spielfreudige Ensemble.
Vladimir Jurowski und das Bayerische Staatsorchester beginnen mit abgedunkeltem Orchestergraben und steigen dann beherzt in das Theatralische der Musik ein. Der GMD wird wie alle Protagonisten gefeiert. Beim Regieteam mischten sich auch ein paar Buhs unter den Beifall.
Bayerische Staatsoper München
Wagner: Das Rheingold
Vladimir Jurowski (Leitung), Tobias Kratzer (Regie), Matthias Piro (Mitarbeit Regie), Rainer Sellmaier Bühne & Kostüme), Michael Bauer (Licht), Manuel Braun, Janic Bebi, Jonas Dahl (Video), Bettina Bartz (Dramaturgie), Nicholas Brownlee, Milan Siljanov, Ian Koziara, Sean Panikkar, Markus Brück, Matthias Klink, Matthew Rose, Timo Riihonen, Ekaterina Gubanova, Mirjam Mesak, Wiebke Lehmkuhl, Sarah Brady, Verity Wingate, Yajie Zhang, Bayerisches Staatsorchester