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Ballett-Kritik: Theater Gera – Liberace

Mann-o-Mann

(Gera, 12.5.2018) Silvana Schröder lässt mit ihrem neuen Ballett Liberace eine legendäre US-Showgröße wiederauferstehen

vonJoachim Lange,

„Immer des Guten zu viel ist etwas Wunderbares“ – das sagt irgendwann Liberace in Gera und breitet die Arme aus, als wollte er sein Publikum umarmen. Genau das ist das Geheimnis seines Erfolgs, aber auch sein (eigentlich unser) Problem. Dieser Tick zu viel ist der Grund, warum Liberace bei all seinem Las Vegas- und Fernsehruhm, bei all seiner Extravaganz und auch seines gewaltigen ökonomischen Erfolgs ein amerikanisches Phänomen geblieben ist.

Es sind wohl ähnliche Quellen und daraus erwachsende Ströme des Unbewussten, die einen Selbstdarsteller mit Ausnahmetalent in den US-Show-Olymp und einen Donald Trump ins Weiße Haus getragen haben. Während seiner letzten Auftritte in der Radio City Music Hall residierte der Entertainer als Gast des heutigen Präsidenten im New Yorker Trump Tower – es wäre ein Wunder, wenn sich diese besondere Übernachtung nicht in seiner Biografie finden würde.

Pelz-, Pailletten-, Luxusauto- und Juwelenfimmel

Szenenbild aus "Liberace"
Liberace/Theater Gera

Dass es Liberace auch hierzulande zu einiger späten Bekanntheit gebracht hat, ist vor allem dem Darstellermut vor spießigen Zuschauersofas zu danken, den die Hollywoodstars Michael Douglas und Matt Damen an den Tag legten, um das Glamour-Paar aus alternder Diva und jungem Lover zu zelebrieren. Was in Hollywood immer noch nicht so ganz ohne ist … Der Aufstieg von Władziu Valentino Liberace (1919-1987) ist ein Beispiel des amerikanischen Traums schlechthin.

Vom Kind armer Leute mit Ausnahme-Begabung zum Pianisten und Showstar, der sich selbst als Marke erfindet, sich jenseits aller Grenzen von Genrezuschreibungen und des guten Geschmacks hemmungslos vermarktet und Erfolg damit hat. Sein Pelz-, Pailletten-, Luxusauto- und Juwelenfimmel wurde zur Bezugsgröße für King Elvis und Elton John, für Michael Jackson, Madonna oder Lady Gaga. Das ist schon was.

Im Pool mit seinen Loverboys

In Gera ist er nun der Held des neuen Balletts von Silvana Schröder. Perspektive: backstage. Im Bett mit dem Schwan, das wohl auch Ludwig II. gefallen hätte. Mit seinen fünf weißen Pudeln, die fünf Tänzerinnen auf Spitze oder auf allen Vieren – irgendwo zwischen den Bunnys von Playboychef Hugh Hefner und den Vierbeinern der Jacob Sisters – Schwänzchen wedelnd beisteuern. Oder im tatsächlich mit Wasser gefüllten und als Swimmingpool genutzten Orchestergraben mit seinen Loverboys. Denn die schmucken Jungs waren so bekannter- wie verschwiegenermaßen das Objekt von Liberaces Begierde.

Szenenbild aus "Liberace"
Liberace/Theater Gera

Er hat das hemmungslos ausgelebt und konsequent (bis hin zu etlichen, immer gewonnenen Prozessen) geleugnet. Das eine zelebrieren Silvana Schröder und ihre fabelhaften Tänzer mit Lust an der Show. Und mit einem Rückgriff auf die Tunten-Klischees der Schwulenwitze mehrerer Jahrzehnte. Das macht einen guten Teil des Unterhaltungswertes aus, den dieser Abend hat und der das Publikum mitreißt.

So viel hemmungsloser Kitsch war selten

Die zweite, eher tragische Seite von Liberaces Leben, und der von der borniert puritanischen Gesellschaft auferlegte Zwang zum Heucheln, der wird nur angedeutet. In einer kurzen Szene, in der aus einer Autobiografie etwas von der Liebe seines Lebens (einer Frau) schwadroniert wird. Und dann am Ende, wenn ihn sein Lover Scott (tänzerisch und emotional überzeugend: Filip Kvacák) besucht und er schon von den Spuren seiner (natürlich auch geheimgehaltenen) AIDS-Erkrankung gezeichnet ist. Diese Fallhöhe freilich, die Silvana Schröder ihrem Liberace-Porträt dann doch noch verordnet, wirkt etwas aufgesetzt.

Ihr Untertitel „Glitzer, Schampus und Chopin“ ist da deutlich treffgenauer. An den hat sich auch Ausstatterin Verena Hemmerlein gehalten: Ein Flügel auf dem Hubpodium. Glitzervorhänge. Samt Michelangelos berühmter Erschaffung Adams, jener Fingerberührung zwischen dem Herrgott und seinem Geschöpf. Ein Schelm, wer Böses (respektive Schwules) dabei denkt. Zitate berühmter Liberace-Kostüme (hoffentlich billiger als die Originale). Eine Luxuskarre. Bett, Bar und Pool. Kurzum: soviel hemmungsloser Kitsch war selten! Anders kommt man diesem Phänomen aber auch nicht bei.

Szenenbild aus "Liberace"
Liberace/Theater Gera

Banal, macht aber dennoch Spaß

Was dann konkret im ersten Teil des Abends zu 17 und im zweiten zu 19 Querbeet-Musiknummern (von Chopin, Liszt, Gershwin u. a.) routiniert erzählend getanzt über die Bühne geht, ist im Grunde eine Lovestory mit Prominenz. Nur dass die Diva, die die Liebhaber aussucht, verwöhnt und dann auswechselt, keine Frau, sondern eine männliche Liz Taylor (zumindest dieses Formats) ist. Das ist eigentlich ziemlich banal. Macht aber dennoch Spaß. Nur, dass man halt nicht in irgendeinem Wartezimmer in der Yellow Press blättert, sondern im Theater sitzt und einer hochmotivierten Truppe zuschaut, wie die ihre Attraktivität zelebriert. Und hier gehört der Blick durchs Schlüsselloch ja schließlich zum Prinzip.

Der Moshammer-Effekt

Liberace selbst gibt‘s gleich drei Mal. Der Schauspielkapellmeister von Theater & Philharmonie Thüringen, Olav Kröger, ist als Pianist im Dauereinsatz! Jon Beitia Fernandez ist der junge Liberace. So jung, wie sich der alte Liberace selbst sehen möchte. Sein Problem mit dem Älterwerden ist die zweite Geschichte, die Silvana Schröder erzählt. Und da kommt der alte Liberace ins Spiel, für den Gera seinen früheren Tänzer, Ballettdirektor und Choreografen Peter Werner-Ranke reaktiviert hat. Allein der Mut, mit dem er seinen Körper ungeschützt dem Vergleich mit den smarten Jungs aussetzt, ist bewundernswert. Verliert aber durch das Selbstbewusstsein und die reflektierte Abgeklärtheit, mit der er immer wieder seine Weisheiten von sich gibt, und die große Showgeste von ehedem imitiert (oder seinen Körper sich daran erinnern lässt!) jede Peinlichkeit, ja weckt Mitgefühl. Was übrigens auch für das eingeblendete Video des fröhlich plaudernden Originals gilt. Eine Art Moshammer-Effekt. Seltsam, aber nicht unsympathisch.

Am Ende haben sich alle gut unterhalten und wissen, dass es bei Schwulen auch nicht anders zugeht, als bei allen anderen. Jung und schön ist halt allemal besser als nicht mehr jung und nicht mehr schön. Und, dass viel Geld an diesem Unterschied auch nicht viel ändert. Was ja auch tröstlich ist.

Theater Gera
Schröder: Liberace

Silvana Schröder (Konzept, Regie & Choreografie), Verena Hemmerlein (Bühne & Kostüme), Daniela Siekhaus (Dramaturgie)

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