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Opern-Feuilleton: 100. Saison des Opernfestivals der Arena di Verona

Wahre Größe

Das Opernfestival der Arena di Verona feiert seine hundertste Saison. Die Traditionspflege bringt für Intendantin Cecilia Gasdia auch die Verpflichtung zur Erneuerung mit sich.

vonPeter Krause,

„Damit ein Ereignis Größe habe, muss zweierlei zusammenkommen: der große Sinn derer, die es vollbringen, und der große Sinn derer, die es erleben.“ Der sprachmächtige wie musik­affine Philosoph Friedrich Nietzsche zielte mit seinem Bonmot zwar ausdrücklich auf die seinerzeit revolutionären Bayreuther Festspiele und ihren Gründer Richard Wagner, der seinem Werk und sich selbst darin ein Denkmal setzte: absolut exklusiv, unter striktem Ausschluss von Opern anderen Komponisten. Das Opernfestival in der Arena di Verona konnte der vom Wagnerintimus zum krassen Feind des Meisters mutierende Nietzsche damit nicht meinen. Denn die Opernsommerfrische in Norditalien war zu den Lebzeiten des Intellektuellen noch nicht erfunden. Doch seine Sentenz passt perfekt auf jene Veroneser Vision, deren Realisierung mit der Premiere der „Aida“ am 10. August 1913 in der imposanten Arena-Ellipse ihren legendären Anfang nahm.

Arena di Verona bietet Platz für 13 500 Besucher pro Abend

Es war ein höchst symbolisches Datum, wollte man damit doch des hundertsten Geburtstages von Giuseppe Verdi gedenken, des italienischen Jahrgangsgenossen seines deutschen Konkurrenten Richard Wagner. Treibende Kräfte der Aufführung waren der Veroneser Tenor Giovanni Zenatello und der Impresario Ottone Rovato. Aus ihrer ­Vision ist alsbald eine Tradition geworden: Denn seitdem verwandelt sich das römische Amphitheater in das weltweit größte Freilichttheater – fast alljährlich, nur die beiden Weltkriege und zuletzt die Pandemie sorgten für Unterbrechungen. Wo um das Jahr 30 nach Christus erstmals Gladiatorenkämpfe stattfanden und in der Arena über 30 000 Menschen in den Wettkämpfen mitfieberten, finden heute pro Abend immer noch enorme 13 500 Melomanen Platz, um hier den Spektakeln der Neuzeit zu huldigen, in denen statt echtem Blut nurmehr Theaterblut fließt.

Die von Nietzsche beschworene „Größe“ des Ereignisses ist jedenfalls schon allein quantitativ beeindruckend. Und sie gilt eben, wie das Zitat nahelegt, für die beiden Seiten der darstellenden Kunst, die sich ja erst im energetischen Austausch zwischen Machern und Publikum ereignet: Nietzsche betont „dieses Sich-Entsprechen von Tat und Empfänglichkeit.“ So stehen den Arenabesuchern, die auf den unter der Sommersonne aufgeheizten Steinstufen Platz nehmen (die billigsten Plätze der Gratinata sind akustisch die besten!), ganze Heerscharen von Chor und Orchester gegenüber. Wer in der Arena einmal Verdis „Nabucco“ mit dem im Pianissimo intonierten Gefangenenchor „Va pensiero“ gehört hat, versteht erstmals vollends, was es heißt, durch Musik im reinen Wortsinn berührt zu werden. Zum vollendeten Arenaglück braucht es zudem natürlich auch große Stimmen und große sängerische Persönlichkeiten, die als Aida, Tosca oder Carmen, als Rigoletto oder Nabucco, als Radamès oder Cavaradossi für Begeisterung sorgen. In der Historie der Arena gab es immer wieder Besetzungssensationen wie jene vom Juli 1969, als ein junger Plácido Domingo an der Seite der längst zum Weltstar avancierten Birgit Nilsson in Puccinis „Turandot“ debütierte. Später gab es auch Phasen, in denen allein ein wohlklingender italienischer Name (nicht zwingend verbunden mit einer entsprechenden Stimme) reichte, um die Arena zu füllen.

Nicht mehr aus der Zeit gefallen, doch immer noch bombastisch: die neue „Aida“-Produktion in der Arena di Verona
Nicht mehr aus der Zeit gefallen, doch immer noch bombastisch: die neue „Aida“-Produktion in der Arena di Verona

Intendantin Cecilia Gasdia setzt kompromisslosen Anspruch an Exzellenz und Professionalität

Seit Cecilia Gasdia in Verona künstlerisch das Sagen hat, ist die Größe des Ereignisses freilich auch qualitativ gesichert. Die Operndiva verbindet durch ihre eigene Karriere persönliche Kontakte zu allen sängerischen Größen mit einem kompromisslosen Anspruch an Exzellenz und Professionalität. Italienischer Nepotismus scheint bei ihr keine Chance zu haben. Mutige Wege beschreitet Gasdia auch in Inszenierungsfragen. So stehen in der Jubiläumssaison eben nicht nur die ausstattungsopulenten Regieklassiker des 2019 verstorbenen Franco Zeffirelli auf dem Programm. Die im vergangenen Sommer wegen des Blackfacings der Titelfigur in kritische Diskussionen geratene alte „Aida“-Produktion hat sie beherzt gegen eine klug stilisierte und dennoch suggestive Inszenierung des italienischen Theatermagiers Stefano Poda ersetzt. Ein Ereignis von wahrer Größe ist unbedingt zu erwarten.

concerti-Tipp:

Arena di Verona Opera Festival
16.6.–9.9.2023
Nadine Sierra, Yusif Eyvazov, Juan Diego Flórez, Piotr Beczała u. a.
Arena di Verona

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