Sind wir Erwachsenen nicht offen genug für Neues? Die Opernspielpläne lesen sich hierzulande wie eine in Stein gemeißelte Repertoire-Liste. Wer einer Uraufführung beiwohnen möchte, muss gar langfristig planen und oft quer durch das halbe Land fahren. Deutlich vielfältiger ist da das Angebot von sogenannten Kinderopern, die vielerorts mit enormem Engagement realisiert werden. Über Humperdincks romantischen Klassiker „Hänsel und Gretel“ hinaus sind längst zahlreiche Werke entstanden, deren künstlerischer Anspruch ähnlich hoch ist und die so aufwendig umzusetzen sind wie ein groß besetztes Repertoirestück.
Häufig steht die Kinderoper aber im Verdacht, primär von einem pädagogischen Ansatz her konzipiert worden zu sein. Dann geht es in erster Linie darum, was Kinder nach der Meinung von Erwachsenen lernen sollen, wenn sie den Weg in ein Opernhaus finden. Die Gefahr, es mit lehrreichen Intentionen zu übertreiben, ist besonders hoch, wenn man ein bestehendes Werk für Kinder bearbeitet. Da wird dann eine reduzierte Instrumentierung in Auftrag gegeben und die Geschichte vereinfacht. Warum vertraut man nicht einfach darauf, dass authentisch dargestellte zwischenmenschliche Konflikte auch Kinder berühren? Und setzt ergänzend auf hochwertige Einführungen?
Märchen- und Sagenschatz als Vorlage für Kinderopern
Das Volkstheater Rostock hat beispielsweise den Komponisten Malte Hübner und die Librettistin Babette Bartz damit beauftragt, das Märchen „Das singende klingende Bäumchen“ zu einer Kinderoper zu gestalten. Die Geschichte von der verzogenen Prinzessin Gabriele erzählen drei Schauspieler gemeinsam mit dem Kinderchor der Rostocker Singakademie und der Norddeutschen Philharmonie Rostock. Verständlicherweise sind Stoffe aus dem Märchen- und Sagenschatz beliebte Vorlagen für Kinderopern.
So gibt es in Würzburg eine neue Auseinandersetzung mit dem Nibelungenmythos. Adrian Siebers arbeitet in „Siegfried, der kleine Drachentöter“ auch mit Wagner-Zitaten, eigentlich geht es bei ihm aber um etwas ganz anderes: Sein Siegfried ist ein Junge, der die Geschichte vom Drachenschatz liest und daraufhin mit seinem Freund Regin den Hort sucht. Eine abenteuerliche Reise beginnt, die ihn letztlich mit der Frage konfrontiert, ob er für Reichtum und Macht eine Bluttat begehen würde.
Die Staatsoper Unter den Linden bringt mit Humperdincks „Schneewittchen“ einen Klassiker auf die Bühne, den der Komponist Wolfgang Mitterer erst 2016 für Kammerorchester zusammengestellt hat. Humperdincks Werk ist ein Fragment, das Mitterer um Nummern anderer Werke des Vaters der Märchenoper ergänzte und mit elektronischen Instrumenten kontrastierte. Marius Felix Lange hat schon 2011 in Köln seine Oper „Schneewittchen“ uraufgeführt, die seitdem an vielen Häusern gegeben wurde. In Leipzig erarbeitet Patrick Rohbeck nun eine Neuinszenierung des modernisierten Stoffes, in dem sich die Stiefmutter-Königin mit Schönheitsoperationen entstellt hat.
Neue Werke und historische Stoffe
Am Theater Duisburg kommt dagegen ein modernes Märchen auf die Bühne. Der amerikanische Komponist James Reynolds hat 2017 Musik zu Cornelia Funkes Roman „Geisterritter“ geschaffen. Es ist ein Werk in üppiger Besetzung für die große Bühne entstanden. Und das Staatstheater Kassel nimmt Hans Krásas Kinderoper „Brundibár“ wieder auf. Das 1938 entstandene Werk wurde nach Krásas Deportation über fünfzig mal im KZ Theresienstadt gespielt. Die Geschichte um Aninka und Pepíček, die mit Straßenmusik Geld für ihre Kranke Mutter verdienen wollen, wird in Kassel von Kindern und Jugendlichen umgesetzt.