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OPERN-KRITIK: OPÉRA ROYAL – IL RITORNO DI ULISSE IN PATRIA

Puppenspiel-Zärtlichkeit

(Versailles, 18.4.2019) Die unerhört kunstvolle Kopplung von Gesang und Marionetten der Monteverdi-Inszenierung von William Kentridge ist für die Opéra Royal wie geschaffen.

vonPeter Krause,

Frühlingsverfrühtes Sonnenkönigswetter treibt die Besucherströme in die Gärten des Schlosses von Versailles und die Gemächer von Ludwig XIV. Als am Abend dessen Pforten schließen, erhalten Opernfreunde nun schon seit zehn Jahren Eintritt in ein Kleinod, dass der legendär kunstfreudige König zwar noch erträumte, aber nach manchen Bedenken über die hohen Baukosten erst sein Urenkel Ludwig XV. erbauen ließ – die Opéra Royal, die schließlich 1770 nach nur 23 Monaten Bauzeit eröffnet wurde. Heute hat sie sich zu einem öffentlichen Opernhaus gewandelt, das eine Qualität und Quantität von barocken Preziosen präsentiert wie kaum ein anderes Theater der Welt. Es muss dabei gar nicht immer französisches Repertoire sein. Die italienischen Meister stehen auch hier hoch im Kurs. Claudio Monteverdis „Il Ritorno di Ulisse in Patria“ feierte jetzt in der ursprünglich für La Monnaie in Brüssel erarbeiteten Inszenierung von William Kentridge Premiere.

Anti-Illusion: Brechung der Figuren in Sänger, Puppe und Puppenspieler

Doch scheint die unerhört kunstvolle Kopplung von Gesang und Puppenspiel gerade für das historische königliche Theater wie geschaffen. Kentridge erweitert die raffinierte Naivität der menschengroßen Marionetten der Handspring Puppet Company zudem um eigene Videos, die leichtfüßig den Bogen vom Renaissance-Theater bis in die Gegenwart spannen. Sein Konzept der Anti-Illusion – sichtbare Puppenspieler führen die Figuren, neben ihnen ebenso sichtbare Sänger leihen ihnen ihre Stimmen – bewirkt paradoxerweise eine Glaubwürdigkeit der Darstellung, die angesichts des als unpsychologisch und oft als artifiziell wahrgenommenen frühen Barocktheaters verblüfft. Die Brechung der Figuren in Sänger, Puppe und Puppenspieler wirkt im Laufe des Abends immer natürlicher.

Le Retour d'Ulysse
Le Retour d’Ulysse

Marionetten von skulpturaler Qualität

Der geniale dramaturgische Kunstgriff funktioniert theatralisch freilich so wunderbar, weil er eben nicht nur klug erdacht, sondern mit maximalem Feingefühl aller Bühnentätigen in die Tat umgesetzt ist. Der Erfolg beginnt mit den präzise und liebevoll ausgearbeiteten Charakterköpfen der Marionetten, die dank der Künstler der Puppet Company aus dem südafrikanischen Cape Town nachgerade skulpturale Qualitäten besitzen. Und die Mitglieder der Truppe führen ihre Schöpfungen mit so traumwandlerischer Selbstverständlichkeit, dass nie der Eindruck des Gemachten und Vorgeführten entsteht. Wunderbar spielerisch und leicht gerät die Produktion.

Le Retour d'Ulysse
Le Retour d’Ulysse

Famose Akustik des großteils aus Holz bestehenden Theaters

Während die Marionetten in typisierter Überzeichnung agieren, was zu so witzigen wie berührenden Momenten führt, sind die Sänger keineswegs unbeteiligt bei der Sache, sondern agieren als heutige Wesen mit absolut glaubwürdigen Emotionen. Sie können sich jedoch – nicht zuletzt bedingt durch die famose Akustik des großteils aus Holz bestehenden Theaters – ganz auf die Feinzeichnung, Behutsamkeit, ja Zärtlichkeit des Gesangs konzentrieren. Kaum je hat man bei Monteverdi derart berückende Pianissimi erlebt. Dem nachgerade keuschen, durch Zwischentöne edel abgemischter Farben bezwingenden Singen mischt zumal der großartige amerikanische Tenor Jeffrey Thompson auch die emotionalen Extreme der Titelpartie bei, jenes Odysseus, der nach jahrzehntelanger Irrfahrt unerkannt in seine Heimat zurückkehrt, dort unerkannt gegen die intriganten Bewerber um die Gunst seiner Gattin Penelope kämpft und schließlich in einem überströmenden Duett die Wiedererkennung und Wiedersehen mit seiner Frau feiert. Romina Basso leiht ihr enorm edle, gerade geführte Mezzotöne.

Le Retour d'Ulysse
Le Retour d’Ulysse

Festival der spirituellen Musik

Die superben Spieler des Alte Musik-Spezialensembles Ricercar Consort steuern unter dem von der Viola da Gamba aus den Abend leitenden Philippe Pierlot sehnig sensiblen Monteverdi-Sound bei. Berückend. Der katalanische Alte Musik-Papst Jordi Savall hatte am Abend zuvor Bachs „Matthäus-Passion“ gleich nebenan in Chapelle Royale mit La Concert des Nation musiziert und dabei sogar selbst zur Viola da Gamba gegriffen. Geistliche Musik aus Deutschland, Italien und Frankreich bildet den Schwerpunkt der Semaine Sainte, wie hier die Karwoche und das gleichnamige Festival heißt, das Versailles jenseits des sichtbar Prunk- und Glanzvollen wie Gigantischen hörbar seine intime, spirituelle Seite hinzufügt.

Opéra Royal
Monteverdi: Il Ritorno di Ulisse in Patria

Philippe Pierlot (Leitung), William Kentridge (Regie & Video), Adrian Kohler & William Kentridge (Bühne), Adrian Kohler (Marionetten & Kostüme), Wesley France (Licht), Jeffrey Thompson, Romina Basso, Jean-Francois Novelli, Antonio Abete, Anna Zander, Hanna Bayodi, Victor Sodi, Ricercar Consort, Handspring Puppet Company

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