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Opern-Kritik: Grand Théâtre de Genève – Der Rosenkavalier

Wien ohne Schmäh

(Genf, 13.12.2023) Als Schauspieler ist Christoph Waltz ein Weltstar, seinen ersten Ausflug in die Welt der Oper wagte er vor zehn Jahren – damals noch mit mäßigem Erfolg als Opernregisseur. Das ist nun anders. Dirigent Jonathan Nott und die famosen Sänger haben daran großen Anteil.

vonPeter Krause,

Die Last der Tradition, die der Wahlwiener Gustav Mahler einst mit Schlamperei verglichen haben soll, ist die bleibende große Hypothek, die wie Mehltau auf „Der Rosenkavalier“ liegt. Mit ihrem extrafein austarierten Räderwerk des Humors lecken Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss die Wunden einer Zeitenwende des „S’ist halt vorbei“. Die vorgeblich absoluten Rechte einer alten (aristokratischen) Gesellschaft schwanden. Doch die stolzen Inhaber dieser Privilegien wollten die Zeitenwende nicht wirklich wahrhaben, sie machten vorerst weiter, als wäre nichts geschehen. Anders gesagt: Sie spielten das Spiel weiter, dessen Spielregeln ihre Vorväter einst geschaffen und möglichst felsenfest verankert hatten. Doch die Basis bröckelte. Um all dies zu zeigen, sind in Textbuch wie Partitur allerhand Rokokoperücken, gepuderte Gesichter und lustvoll wankende Walzertakte vorgegeben, die nostalgisch von der alten Welt künden. Gern schwelgen Inszenierungen in Bühnenbild wie Kostümen immer wieder in den Klischees einer schönen heilen vergangenen Welt. Das Schwelgen setzt sich dazu im Klanglichen fort: Der große Strauss-Rausch wird entfesselt.

Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“ am Grand Théâtre de Genève
Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“ am Grand Théâtre de Genève

Mozart als Vorbild

Am Grand Théâtre de Genève ist nun beides – der musikalische wie der szenische Zugriff – deutlich anders. Freilich sind die Verantwortlichen dabei gar nicht beseelt vom Furor der Dekonstruktion, sondern von der Freude der Durchlüftung. Und die beginnt im größten Opernhaus der Schweiz mit einem unverstellt frischen Blick auf die Musik. Die kommt unter den befeuernden Händen von Jonathan Nott so leichtgängig, transparent und (pardon: rosen-)zart daher, als hätte sein Orchestre de la Suisse Romande direkt zuvor, gleichsam zum Aufwärmen, Mozarts „Le Nozze di Figaro“ auf den Pulten liegen gehabt. Drängend in den forschen Tempi, dazu delikat im Aushören von Zwischentönen, Mittelstimmen und Farbabmischungen dirigiert der Chef des Orchesters einen dezidiert südeuropäischen Richard Strauss: sehr französisch in der „Clarté“ und voller Pianissimi – und dabei doch als deutsches Konversationsstück angelegt, in dem man die Sänger unbedingt verstehen soll.

Sublimierter Strauss

Das Zelebrieren schöner Stellen ist dabei weniger die Sache des Briten in der an Frankreich grenzenden Westschweiz. Er tritt also nicht vorab auf die Bremse, wenn ein Lieblingsmoment des Publikums – wie die Rosenüberreichung – in der Partitur auftaucht. Jonathan Nott hält alles im steten Fluss, meidet jede musikalische Überwältigungsgeste. Nott und das Orchestre de la Suisse Romande sublimieren Strauss. Diese musikalische Finesse und Noblesse sind an diesem Premierenabend immer wieder zum Niederknien. Ganz besonders im ersten Aufzug und im Finale des dritten. Und sie laden zum schmunzelnden (Neu-)Entdecken dieser „Komödie für Musik“ ein, wie die Autoren ihr gemeinsames Meisterwerk nannten.

Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“ am Grand Théâtre de Genève
Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“ am Grand Théâtre de Genève

Poesie für Ohren und Augen

Die klangliche Poesie, wie sie aus dem Orchestergraben dringt, findet in der psychologischen Poesie der Regie ihre subtile Entsprechung. Für sie zeichnet ein Schauspielerstar verantwortlich, der einst für Tarantino und Polanski vor der Kamera stand. Christoph Waltz ist indes schon seit jungen Jahren auch ein Liebhaber der Oper. Das sieht man. Doch ist der Österreicher dabei zwar konservativ im besten Sinne, doch keineswegs rückwärtsgewandt traditionsverhaftet, wie das in seiner Wiener Heimat seit Urzeiten zum guten Ton gehört. Er hat sich einfach seine Hauptfiguren sehr genau angeschaut, hat mit deren Sängerdarstellern an Blicken und Gesten gearbeitet und gefeilt – und sich dazu mit ihnen in der weisen Kunst des Weglassens geübt. Ja, dieser Ochs ist so übergriffig wie manche der männlichen Kollegen von Waltz in Hollywood. Ja, der (weibliche? jungfräuliche?) Popo des Mariandl (der in perfektem Genderhopping einem jungen Mann gehört, der in diesem Moment verkleidet als junge Frau auftritt, wobei die Sängerin der Partie wiederum eine Frau ist) hat es dem Ochs angetan. Doch der Herr Baron hat dennoch die alte Schule des Anstands durchlaufen, simples Grabschen hat der joviale, in die Jahre gekommene Don Juan nicht nötig. Ein gieriges Hinterherschauen kann da mehr sagen als die Hand auf dem Hinterteil der jungen Dame. Wirklich vulgär muss Matthew Rose als Ochs daher nie agieren, der Brite lauscht seinem imposanten Bass dementsprechend weniger brachiale, denn geschmeidige Töne ab. Und „MeToo“ schwingt eben dennoch stets mit in der Wahrnehmung des Publikums.

Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“ am Grand Théâtre de Genève
Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“ am Grand Théâtre de Genève

Sexuelle Abwechslung

Das stolze Stadtpalais, das Annette Murschetz für Waltz‘ Regiearbeit gebaut hat, ist wandelbares Einheitsbühnenbild, das in seiner klassizistischen Klarheit jegliche Rokokoranken meidet – und in seiner Strenge (auch dank der subtilen Ausleuchtung von Franck Evin) die Aufmerksamkeit seinerseits ganz auf die singenden Menschen lenkt, die sich darin begegnen dürfen. Das imposante Himmelbett der Marschallin im ersten Akt ermöglicht darin genderfluide Gedankenspiele: Wurde da in der gemeinsamen Nacht mit Octavian ein lesbisches Liebesspiel praktiziert? Androgyn in Stimme (farbenreich und dennoch erotisch kühl) und Spiel gibt Mezzosopran Michèle Losier das schillernde Wesen. Und Maria Bengtsson als herrlich pianoedle Marschallin lässt die sexuelle Option der „Varietas delectat“ (mal darf ein Mann, mal eine Frau sie glücklich machen) durchaus als glaubwürdige Variante erscheinen, die in ihrem Leben (bei häufiger Abwesenheit des Gatten) eben keine Langeweile aufkommen lässt.

Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“ am Grand Théâtre de Genève
Szenenbild aus „Der Rosenkavalier“ am Grand Théâtre de Genève

Humor schlägt Holzhammerregie

Statt Holzhammereinfällen ist bei Christoph Waltz somit subtiler Humor zu sehen, der allen Figuren (ausdrücklich auf dem Ochs) ihre Würde bewahrt. Denn der Regisseur weiß, dass „MeToo“ ja nicht einfach nur neue brave Männer gegenüberstehen, sondern auch eben eine Cancel Culture, deren Ideologie er durchaus nicht bedienen will. So sehr die musikalische Lesart und die Regie somit auf Zwischentöne setzten, so sehr leben auch die Kostüme von Carla Teti von dezenten Verweisen auf Zeitenwenden (und damit verbundenen Endzeiten) diverser Epochen. Die Italienerin akzentuiert Zeichen vom Barock (der italienische Tenor als Karikatur eines Kastraten) über das Kaiserreich der Entstehungszeit der Oper anno 1911 (der Polizeikommissar) und den bald darauf aufkeimenden Faschismus bis zur postaristokratisch großbürgerlichen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Den aufstiegswilligen wie blasierten Brautvater Faninal stattet der dänische Bariton Bo Skovhus (welch‘ ein Sängerdarsteller!) auf des Messers Schneide mit Attributen eines Edelnazi aus. Sein Töchterchen Sophie (trefflich sopranzwitschernd: Mélissa Petit) könnte als Spross von Jackie Kennedy durchgehen. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus ob all der Referenzen und Andeutungen. Um sie wirklich alle zu genießen, muss man einfach mal nach Genf in die Oper fahren.

Grand Théâtre de Genève
R. Strauss: Der Rosenkavalier

Jonathan Nott (Leitung), Christoph Waltz (Regie), Annette Murschetz (Bühne), Carla Teti (Kostüme), Franck Evin (Licht), Alan Woodbridge (Chor), Maria Bengtsson, Michèle Losier, Matthew Rose, Bo Skovhus, Mélissa Petit, Thomas Blondelle, Ezgi Kutlu, Giulia Bolcato, Omar Mancini, Stanislas Vorobyov, Louis Zaitoun, Marin Yonchev, William Meinert, Chor des Grand Théâtre de Genève, Orchestre de la Suisse Romande

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