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Opern-Feuilleton: Zur Situation der Opernhäuser

Sozialdemokratisierte Hochkultur

Die Nachwirkungen der Pandemie, eine Kostenexplosion durch die Inflation und sinkende Subventionen machen den Opernhäusern zu schaffen. Sie sollten der Krise mit beherzten Schritten der Öffnung und echten Reformen begegnen.

vonPeter Krause,

Hinter den Kulissen brodelt es. Selbst die Aufführungen von Hits wie „La Bohème“ und „Die Zauberflöte“ waren zum Jahreswechsel nicht wie früher üblich ausverkauft. Große Opernhäuser spielen mitunter Vorstellungen von eigentlichen Repertoire-Rennern vor wenigen Hundert Besuchern. Die wirklich eingefleischten Fans strömen mit dem Ende der Pandemie zurück in die Tempel der Hochkultur, doch zumal das zahlungskräftige ältere Stammpublikum hat in Corona-Zeiten auch die kostenlosen Streaming-Angebote schätzen gelernt – und bleibt auch jetzt noch aus Angst vor Ansteckungen lieber zu Hause. Die Deutschsprachige Opernkonferenz, die zweimal jährlich aktuelle Herausforderungen der Branche diskutiert, verbreitete im November 2022 nach ihrem Treffen in Leipzig allerdings noch Zweckoptimismus. Susanne Moser, Ko-Intendantin und Geschäftsführende Direktorin der Komischen Oper Berlin und neue Vorsitzende der Konferenz, hält Theater als emotionale Nahrung für unverzichtbar, die Menschen kämen wieder zurück: „Ihre Sehnsucht nach dem Analogen und emotionalen Erlebnissen macht die Oper zu einem Ort der Zukunft. Tiefe menschliche Erfahrungen werden immer existenziell für die Gesellschaft sein – daher müssen Bühnen geöffnet bleiben, auch in Zeiten knapper werdender Ressourcen.“

Ein Teufelskreis

Wie ernst die Lage ist, ummanteln die Verantwortlichen mit Wünschen, statt die Tatsachen zu benennen. Die Kartenerlöse bröckeln, Plätze werden im Vorverkauf nicht mehr von den besten zu den billigsten verkauft, sondern umgekehrt. Weit weniger Melomanen wollen sich durch Abonnements langfristig festlegen. Auf der anderen Seite steigen die Ausgaben der Institutionen dramatisch an, nicht nur durch die explodierenden Energiekosten, sondern auch durch für das zahlreiche Personal gültige höhere Tarifabschlüsse, die durch nach oben angepasste Subventionen längst nicht mehr vollständig aufgefangen werden. Ein Teufelskreis entsteht. Nur wo können die Opernhäuser nun ansetzen, um – zu allererst – die Menschen wieder in ihre Heil’gen Hallen zu locken?

Museen in den USA machen vor, wie Niedrigschwelligkeit mit Solidarität zu verknüpfen ist und praktizieren schon lange erfolgreich das „Pay what you want“-Prinzip. Die Ticket-Sonderaktion der Deutschen Oper am Rhein übernahm den Ansatz für Vorstellungen im einst nachfragestarken November und Dezember. Da hieß es dann zu deutsch: „Zahl, so viel Du willst!“ Unter diesem Motto war das Publikum in Düsseldorf und Duisburg eingeladen, den Eintrittspreis erstmals selbst festzulegen. Über das Mindestgebot von zehn Euro hinaus entschied es selbst, wie viel es für einen Abend in Oper oder Ballett zahlen wollte und konnte. Generalintendant Christoph Meyer begründete seine Entscheidung so: „Als offene Kulturinstitution, die ein breitgefächertes Publikum aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und Einkommensgruppen anspricht, sehen wir uns verpflichtet, auf die besonderen Herausforderungen der momentanen Lage zu reagieren.“

Neue Konzepte, grundsätzliches Umdenken

Über solche sofort wirksamen Anreize hinaus schlägt just der Intendant der Bayerischen Staatsoper, somit der Chef des Branchenprimus mit den deutschlandweit höchsten Ticketpreisen, ein Umdenken vor. Serge Dorny regt an, das Konzept von Kartenpreisen grundsätzlich neu zu fassen: „Schließlich werden wir staatlich bezuschusst, und es ist unser Auftrag, Kultur für alle offen zu halten.“ Sein legendärer Vorgänger Sir Peter Jonas hatte einst das Motto „Oper für alle“ ausgegeben, an das es jetzt anzuknüpfen gilt. Eine extrem günstige Monatskarte für täglich gültige Stehplätze gehörte in München zu den so kuriosen wie charmanten Konzepten, die Kulturbeflissene mit kleinem Geldbeutel den Weg ins Nationaltheater ebnete. Daran ließe sich ebenso anknüpfen wie an das Preiskonzept, das Intendantenlegende Rolf Liebermann einst für die Hamburgische Staatsoper einführte. Da kosteten einst alle Plätze im vierten Rang vier Mark, im dritten Rang zehn Mark. Auf dem Weg hinab ins Parkett gab es im zweiten Rang dann einen deutlichen Preissprung. Seine Haltung in Sinne einer Art sozialdemokratisierten Hochkultur, die ein Viertel der Plätze zu einem Preis unterhalb eines Kinotickets anbot, sorgte dafür, dass auch wirklich alle Interessierten sich regelmäßig in das Haus an der Dammtorstraße wagten.

Zu einem Best Practice-Beispiel der Gegenwart, das den für die Zukunft so entscheidenden Publikumsnachwuchs im Blick hat, zählt längst die „ClassicCard 2.0“, die als App ein in Deutschland bislang einzigartiges, institutionenübergreifendes Kultur-Angebot für alle Berliner ermöglicht, die bis dreißig Jahre jung sind. Die drei großen Berliner Opernhäuser sind als attraktive Kooperationspartner ebenso dabei wie die berühmten Berliner Philharmoniker. Ausreden, Kultur sei zwar schön, aber nicht erschwinglich, darf es zukünftig nicht mehr geben. Ein Lust machendes, mutiges Marketing muss dazu beitragen, solche Vorurteile endgültig zu begraben.

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