Jahrhundertelang erfreuten erst die Kastraten, dann die Primadonnen das hörende Herz der Melomanen. Sängerinnen und Sänger beherrschten die Bühnen mit ihrer Kunst der Koloraturen, des seelentief transportierten Gefühlsausdrucks, der puren Schönheit ihrer Stimmen. Statt der Primadonnen übernahmen dann phasenweise die Pultstars das Sagen. Nach dem Zweiten Weltkrieg pilgerten unsere Großeltern nicht nur zur Tosca der Callas, sondern auch zum Tristan eines Herbert von Karajan. Und heute? Das Vorurteil sagt: Profilneurotische Provokateure des Regietheaters projizieren ihre persönlichen Altherrenfantasien auf unseren Wagner und Verdi. Und die Opernfreunde erkennen ihre heiß geliebten Werke kaum mehr wieder. Das mag im Einzelfall tatsächlich stimmen. Und mitunter führt die Projektion von Zeitgeist sogar zu erhellenden Neubetrachtungen des sattsam Bekannten.
Mitdenken statt Brüllen: Das Arbeiten in Regie-Teams liegt im Trend
Doch die Wahrheit ist: Die Zeit der Einzelkämpfer ist vorbei. Egomane Regisseure, die wutentbrannt die Probe verlassen, wenn ihre angeblichen Untergebenen nicht spuren – die existieren primär in Anekdoten aus der guten alten Zeit des Regietheaters. „Ich kann so nicht arbeiten“ zu brüllen, wirkt heute noch lächerlicher, als es immer schon war. Denn der Trend ist ein ganz anderer. Längst begreifen sich Regisseure als Partner von gleichberechtigten Mitgliedern eines Teams, zu dem Bühnen- und Kostümbildner ebenso selbstverständlich gehören wie Sängerinnen und Sänger, die mitdenken, eine Meinung haben und diese auch vertreten.
Regiekonzepte entwickelt man gemeinsam, Dramaturgen erforschen dazu fundiert die Kontexte der Werkentstehung und Rezeption, fungieren als Korrektiv, wenn der Regisseur sich in den Proben mal vom gemeinsam eingeschlagenen Interpretationspfad zu entfernen droht. Dirigenten sind längst keine die Musik über alles stellende Nein-Sager mehr, die Sopran und Tenor vorne an der Rampe stehen haben wollen, nur damit sie den Maestro besser sehen können.
Gesamtkunstwerk geht nur gemeinsam
Die bedeutenden Macher des Musiktheaters zeichnen sich durch eine sensible Mehrsprachigkeit des Miteinanders aus. Sie spüren und wissen, wie die anderen ticken, sie kennen und schätzen das Metier der Teammitglieder, ohne deren Expertise sie nur zu halbgaren Ergebnissen kommen könnten. Gesamtkunstwerk geht nur gemeinsam. Zahlreich sind die Beispiele gut funktionierender Regieteams, die mitunter auch längst im Namen-Doppelpack genannt werden. Regisseur Jossi Wieler gibt es nur im Verein mit Dramaturg und Co-Regisseur Sergio Morabito. Tobias Kratzer als Regisseur und Rainer Sellmaier als Ausstatter bucht man im Duo.
Ähnliches gilt für die französische Regisseurin Mariame Clément und die deutsche Ausstatterin Julia Hansen – sie harmonieren perfekt. Der Norweger Stefan Herheim wiederum würde keine Inszenierung ohne seinen Dramaturgen Alexander Meier-Dörzenbach übernehmen. Regelmäßiges Ergebnis der Zusammenarbeit solcher Regie-Teams sind Inszenierungen, die nicht durch billige Gags verärgern, sondern durchdachte, konsequent ausgearbeitete Lesarten liefern.