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Opern-Feuilleton: Greek National Opera

Immer mehr Mut

Die Greek National Opera hat sich seit ihrer Neueröffnung vor fünf Jahren im spektakulären, am Wasser gelegenen Kulturkomplex glänzend entwickelt.

vonPeter Krause,

Wohl nur hier können sich Antike und Avantgarde so natürlich begegnen und befruchten – in der Heimat der Demokratie, wo eben in fast schon mythischen Vorzeiten auch das erste Konzerthaus und der erste Theatersaal das Licht der Welt erblickten. Giorgos Koumendakis bringt es im Gespräch auf den Punkt: „Alles in Griechenland steht in Verbindung mit der Vergangenheit.“ Und der Intendant der Greek National Opera gibt die Losung aus, „mit dem Bewusstsein von unserer Geschichte jung zu bleiben.“

Die Modernität der vierhundert Jahre alten Gattung Oper schreibt er sich auch programmatisch auf die Fahnen und will das traditionelle Repertoire auf seinen Gegenwartsbezug hin befragen. Da klingt der auf Kreta geborene Komponist und künstlerische Leiter durchaus ganz ähnlich wie seine mitteleuropäischen Kollegen. Nur kann er seine Thesen um eine ganze Spur authentischer mit den philosophischen Gedanken von der Antike über die Aufklärung bis in die Zukunft verknüpfen. Zu allererst aber kann er wuchern mit dem auf- und anregendsten Opernneubau unseres noch jungen Jahrhunderts. Vor fünf Jahren wurde er nun eröffnet; der Große Saal bietet 1.400 Plätze.

Nicht nur ein spektakulärer Solitär

Doch das vom italienischen Stararchitekten Renzo Piano entworfene, die traditionelle – und bekanntlich akustisch günstige – Hufeisenform neu definierende Opernhaus ist nicht einfach ein spektakulärer Solitär, sondern integraler Bestandteil eines enormen kulturellen Komplexes, der vom Land geradewegs gen Wasser führt: Da krönt dann eine Riesenantenne auf dem Dach wie der Mast eines Segelboots das hohe Haus der Kultur und gemahnt an die reiche maritime Historie Griechenlands. Ausgangspunkt des etwas anderen grünen Hügels abseits des Stadtzentrums der griechischen Hauptstadt aber ist eine Gartenanlage von imposanten 210.000 Quadratmetern, die den Athenern mit ihren unzähligen Olivenbäumen zumal am Wochenende als ein Ausflugsziel für die ganze Familie dient.

Der Intendant des Opernhauses Giorgos Koumendakis
Der Intendant des Opernhauses
Giorgos Koumendakis

Wer von dort gen Meer wandert, der landet zunächst auf der Agora – jenem Marktplatz für alle, auf dem sich das Volk der Demokraten von jeher versammelt: Der Antike nachempfunden, tummelt sich in diesem Treffpunkt heute eine muntere Mischung der Generationen. Ältere sitzen zum Plausch beiein­ander, Kinder spielen auf dem Dionysos-Marmor. Wissbegierige aber lockt die Nationalbibliothek, die auf fünf Ebenen derzeit 800.000 Buchtitel zur Gratisausleihe bietet und mit ihrem durchweg natürlichen Licht ein Musterbeispiel an Transparenz ist. Zugänglichkeit und Niedrigschwelligkeit ist in Athen keine Attitüde, sondern fürwahr demokratisches, der Realität standhaltendes Selbstverständnis.

Wahrgewordene Träume

Letzteres löst sich vollends ein, wenn man die Mensa durchschreitet, die das geistige Reich der Bibliothek mit dem sinnenfreudigen der Oper trefflich verbindet, wo sich nun die Dialektik von Tradition und Zukunft vollends erweisen muss. Sein Haus wolle ja kein „archäologisches Museum“ sein, konstatiert dessen Chef mit der Ernsthaftigkeit eines uneitlen Intellektuellen und belegt, mit welcher Konsequenz er seine Absicht einlöst: In den ersten fünf Jahren der Existenz des neuen Heims der Hochkultur habe man einhundert Auftragswerke vergeben.

Was für nordische Intendantenkollegen, mit denen er für Koproduktionen auf Augenhöhe zusammenarbeitet, wie ein Traum klingt, ist in Athen längst Wirklichkeit: Das Durchschnittsalter des Publikums ist von 65 Jahren auf 45 Jahre gesunken! Das Haus ist zudem fast immer ausverkauft, nicht nur bei Verdis „Otello“, den wir in der mit dem Festspielhaus in Baden-Baden gemeinsam verantworteten Inszenierung von Robert Wilson sehen dürfen, sondern durchaus auch bei neuen Werken – und eben auch jetzt in den für die Kultur so herausfordernden Zeiten nach den pandemiebedingten Schließungen.

Synergien der Künste

Auf der Höhe der Zeit ist Giorgos Koumendakis als ein Intendant, der eine ästhetische und programmatische Weite vertritt und mit dem Vorurteil, Oper sei das Ausstellen großer Stimme in üppigen Kostümen, beherzt bricht. Er sucht nach den Synergien zwischen den Künsten, will Musik, Installation, Tanz und Film versöhnen und damit nicht zuletzt das Interesse der Schwesterkünste an der Oper wecken. Die „Alternative Stage“ als zweiter, bühnentechnisch maximal flexibler Raum im Opernhaus dient ihm dazu als Brücke, um die junge experimentelle Oper, aber auch mal ein neues Musical, das aktuelle Themen der Stadtgesellschaft aufgreift, in den Spielplan zu integrieren.

Szene aus „The Magic Pillows“ des griechischen Komponisten George Dousis
Szene aus „The Magic Pillows“ des griechischen Komponisten George Dousis

Fragt man den künstlerischen Kopf des Hauses nach den finanziellen Perspektiven, scheint die ökonomische und damit einhergehende politische Dauerkrise seines Landes kaum mehr ein Thema zu sein. Die Subventionen sind so erfreulich festgeschrieben wie die langfristige Förderung einer großen Stiftung: Die Stavros Niarchos Foundation findet sich sogar im Namen des einem Gesamtkunstwerk gleichenden Kulturzentrums – das ist ein starkes Bekenntnis für die Zukunft. Der Spielplan der gerade beginnenden Saison zeigt nun exemplarisch, wie deutlich die Greek National Opera im Reigen der großen europäischen Häuser angekommen ist, und wie geschickt sie dazu heimische Exzellenz mit internationalen Namen amalgamiert.

Von allem noch mehr

So singen die beiden griechischen Baritonstars Tassis Christoyannis und Dimitri Platanias in Verdis „Falstaff“ die Titelpartie, mit Stephen Langridge führt der künstlerische Leiter der Festspiele des süd­englischen Glyndebourne Regie in der Shakespeare-Oper, und es dirigiert der italienische Maestro Pier Giorgio Morandi. Angesagte Vertreter des Regietheaters kommen nach Athen: So wird Krzysztof Warlikowski Jacques Offen­bachs „Les Contes d’Hoffmann“ oder David McVicar Luigi Cherubinis „Médée“ mit Anna Pirozzi in der Titelpartie in Szene setzen. Die Uraufführung zur Saisoneröffnung „Andrei: A Requiem in Eight Scenes“ der griechischen Komponistin Dimitra Trypani greift das Leben des legendären, früh verstorbenen russischen Filmemachers Andrei Tarkowksy auf.

Die Rückbindung der Avantgarde an die Antike geschieht nicht zuletzt auch im Amphitheater auf der Akropolis, wo im Odeon des Herodes Atticus kommenden Sommer Puccinis „Madame Butterfly“ und Verdis „Nabucco“ zu erleben sein werden. Nochmals mehr Mut verspricht Koumendakis für die dann folgenden Spielzeiten: Noch experimenteller will er werden, noch mehr Community-Projekte mit Schulen in dezentralen Orten will er initiieren, noch mehr Auftragswerke möchte er vergeben, noch mehr internationale Aufmerksamkeit plant er zu erregen.

Hier geht es zur Webseite der Greek National Opera.

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