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INTERVIEW THOMAS HENGELBROCK

„Wer Ohren hat, der höre“

Der Dirigent Thomas Hengelbrock über neue Wege, Kriegserklärungen und seine Vision einer Musikstadt

vonPeter Krause,

Mutig geht Thomas Hengelbrock mit dem NDR Sinfonieorchester neue Wege: Er entdeckt Musik aller Stilepochen und entwickelt eine neue Kultur des orchestralen Miteinanders. In concerti spricht der Chefdirigent des NDR über die Geheimnisse seines Erfolgs, seine programmatischen Pläne und seine Vision, mit seinem Klangkörper alsbald in die internationale Spitzenliga aufzusteigen.

Herr Hengelbrock, welches Erlebnis in der Zusammenarbeit mit Ihrem neuen Orchester hat Sie ganz besonders glücklich gemacht?

Wirklich ungewöhnlich sind ja unsere bisherigen Erweiterungen des Repertoires in Richtung Alte Musik: Telemann, Händel und Johann Sebastian und sein Sohn Carl

Philipp Emanuel Bach. Da haben die Musiker z. B. auf drei Naturtrompeten gespielt. Das war mutig und im Ergebnis ganz ausgezeichnet. Was mich daran glücklich macht, ist, dass die Kollegen diesen Weg nicht mitgehen, weil der von vorne vorgeschrieben wird, sondern weil ich das Gefühl habe, dass alle verstanden haben, um was es hier geht: um eine moderne, lebhaft-lebendige und auch freudige Auseinandersetzung mit Musik aller Stilepochen.

Wenn ich an Ihre aufregenden Lesarten der Eroica oder Haydns 104. Sinfonie denke, darf ich wohl eine merkliche Kulturveränderung konstatieren, die Sie gerade mit behutsamer Bestimmtheit in Ihrem Orchester einleiten. Warum klappt die eigentlich so gut und vor allem so schnell?

Es ist unglaublich schwer, nur 20 Meter gegen den Strom zu schwimmen, aber es ist leicht, 500 Meter oder gar fünf Kilometer mit dem Strom zu schwimmen. Wenn Sie die Orchesterenergie hinter sich haben und mit dieser Energie gemeinsam etwas entwickeln, dann kommen Sie sehr viel schneller voran, als wenn sie über einen kontroversen Weg gehen. Das heißt nun nicht, dass wir irgendwelche musikalischen Kompromisse machen, sondern wir spielen unseren Haydn schon so sehr radikal und ungewöhnlich – ob nun in den Tempi oder in der vertieften musikalischen Dialogstruktur. Im Trio, wo Oboe und Fagott ganz filigrane Girlanden auszuführen haben und die Streicher dann folgen müssen, habe ich das Orchester alleine spielen lassen. Das hat perfekt funktioniert, nachdem ich nur gesagt habe: Hört Euch zu und musiziert zusammen. Hierin liegt das eigentliche Geheimnis: Wir machen das zusammen. Und weil wir das wollen, haben wir diese Energie.

Wundert Sie die einhellige Akzeptanz dieses durchaus neuen Ansatzes, zum Beispiel auch einen der Heiligen Meister des Orchesters, Ludwig van Beethoven, neu anzugehen? Nicht ein Buh trübte den Jubel nach IhrerEroica

Ich weiß das auch nicht genau. Ich stehe so freudig und fassungslos vor dieser Tatsache wie Sie. So finde ich es einfach sehr beglückend zu sehen, dass das Hamburger Publikum sehr neugierig und sehr wach ist und sich absolut gern verführen lässt. Die Menschen warten eben nicht streng hanseatisch ab, wie der Hengelbrock da drei Jahre seinen Job macht – und dann heben oder senken sie den Daumen. Nein: Die Menschen folgen uns auf nicht ausgetretenen Pfaden. Und wenn diese ihnen gefallen, artikulieren die Leute das. Für das Orchester ist das ein enormer Vertrauensbeweis und eine Ermutigung, von hier aus weiterzugehen.

Wie Sie in der Stadt angekommen sind und in Ihren Konzerten sogleich deutliche Zeichen gesetzt haben, hat allseits großen Enthusiasmus ausgelöst. Entsprechend groß sind aber auch die Erwartungen, die man mit Ihnen verknüpft. Ihr Name wird mitunter mit dem Nimbus eines musikalischen Messias verbunden, der uns nun die Musikstadt vom Himmel holt, nach dem Abschied von Simone Young gleich noch die Staatsoper übernimmt und möglichst irgendwann auch noch das SHMF leiten soll. Wie fühlen Sie sich angesichts dieser durchaus übermenschlichen Erwartungen?

Dazu bin ich zu sehr protestantischer Arbeiter und sehe zu sehr die Dinge, die noch vor uns liegen und die wir anpacken müssen. Um das klarzustellen: Ich mache lieber wenige Dinge und die dafür gut. Ich bin nicht jemand, der unbedingt auf vier, sechs oder acht Hochzeiten tanzen muss. So würde ich meine Kräfte verschleudern und das Besondere verlieren. Ich finde, dass diese Kombination „Thomas Hengelbrock und NDR Sinfonieorchester“ eine ganz eigene Identität schaffen kann. Es kommen ja noch in dieser Saison viele tolle Programme. Darin steckt genug Arbeit. Es gilt auch bei uns: Von Nichts kommt Nichts. Nur mit Hurra-Geschrei und großem Helau kommt man nicht voran. Ich bereite mich extrem gut vor auf unsere Programme, studiere sehr lange. Wir haben dann sehr intensive Proben und verbreiten eben nicht einfach nur gute Stimmung auf dem Podium.

Welche nächsten Schritte sind erforderlich, um Hamburg musikalisch voranzubringen?

Ein ganz wichtiger Schritt von uns wird die Oper von Simon Wills sein, die wir im Februar auf Kampnagel aus der Taufe heben – eine echte Uraufführung, die wir in Koproduktion mit dem Theater in Luzern herausbringen. Ich komme gerade von Proben mit den Sängern und dem Komponisten, der ein ganz tolles Stück geschaffen hat. Es ist für uns ganz wichtig, dass wir auch in diesem musiktheatralischen Bereich dem Publikum emotional tief nachempfindbare Erfahrungen ermöglichen und die Menschen erkennen, wie berührend zeitgenössische Musik tatsächlich sein kann – genau wie eine Haydn-Sinfonie. Das wäre so ein Wunsch für einen nächsten Schritt. Und dann kommt im März ein französisches Programm mit Rameau: Barockmusik dieser Provenienz ist sehr schwierig für das Orchester. Da betreten wir schon wieder neues Terrain. Schließlich steht noch eine große Tournee und eine ganz wichtige Uraufführung von Jörg Widmann in unserem Kalender. Wir werden in unserer ersten Saison somit eine enorme Bandbreite von Stücken präsentieren und damit aufzeigen, wohin die Reise noch gehen kann. Wer Ohren hat, der höre.

Kritische Stimmen behaupten, mit der Elbphilharmonie entstehe eine schöne Hülle ohne Inhalte, ergo ohne Klangkörper, die über eine dem Saal adäquate Anziehungskraft verfügen. Wo sehen Sie da Ihre Verantwortung?

Die Elbphilharmonie ist zweifellos ein tolles Ziel, auf das wir hinarbeiten können. Die Dinge, die wir jetzt machen, gehören aber selbstverständlich zu unserer Arbeit. So muss sich ein modernes Sinfonieorchester aufstellen. Ich habe ja in den letzten Jahren in vielen internationalen Metropolen mit Erfolg bei Spitzenensembles gearbeitet. Den Anspruch, mit dem NDR Sinfonieorchester in absehbarer Zeit in der Top-Liga zu spielen, erhebe ich durchaus. Und das können wir auch, gerade weil eine so enge emotionale Bindung zwischen Orchester und mir als Chefdirigent besteht.

Herr Lieben-Seutter hat das Fehlen eines echten internationalen 1a-Orchesters in unserer Stadt festgestellt, sieht also auch Ihr Orchester noch nicht so ganz in dieser Liga spielen. Wo sehen Sie Ihr Orchester?

Da müssen Sie mal Christoph Lieben-Seutter fragen, denn er war ja in unseren Kon

zerten. Ich glaube, er ist zugleich überrascht und entzückt von der Entwicklung. Aber es ist ja nicht meine Aufgabe, die Dinge von außen zu betrachten. Ich versuche hier die bestmögliche Arbeit abzuliefern. Und dann sehen wir, wie sich die Ergebnisse auch im internationalen Vergleich darstellen lassen. Die entsprechenden Weltklasseorchester sind ja hier zu Gast und werden es verstärkt sein. Und genau diesen Vergleich herzustellen, ist dann Ihre Aufgabe. Ich freue mich jedenfalls immer, nach Gastdirigaten in der großen weiten Welt, wieder nach Hause zu kommen.

Wenn Sie jetzt die Oper The Stolen Smells aufführen, setzen Sie ein programmatisches Zeichen, das Kritiker gern als Kriegserklärung an Simone Young auslegen. Was entgegnen Sie?

Wir stellen kein Programm gegen jemand anderen auf. Darauf lege ich großen Wert! Ich spreche mich mit Simone Young ja ab, wenn es darum geht, wer welche Bruckner- oder Mahler-Sinfonie in einer Saison spielt, um Dubletten zu vermeiden. Ich hatte ursprünglich die Idee, im kommenden Jahr eine Verdi-Oper konzertant zu machen, in derselben Zeit hat die Staatsoper vor, mehrere Verdi-Opern auf die Bühne zu bringen. Da ist es für mich ein Akt der Kollegialität, hier etwas anderes Schönes zu finden oder meine Idee zu anderer Zeit zu verwirklichen. Eine konzertante Oper kann da durchaus mal dabei sein, wie das beim NDR immer wieder der Fall war. Ich bin also eine sehr unergiebige Person für solche Ableitungen von heimlichen Kriegserklärungen.

Was ist Ihre Vision einer Musikstadt?

Im Zuge der Verwerfungen durch die Finanzkrise wünsche ich mir etwas ganz Wichtiges: dass wir als Gesellschaft nicht weiter auseinander driften, sondern den Laden zusammenhalten. Das mag nach einer Selbstverständlichkeit klingen, mit Blick auf die Geschichte ist es das aber nicht. Die Demokratie ist ein fragiles und komplexes Gebilde, an dem wir ständig weiterbauen müssen. Ich sehe mit Sorge die politische Entmündigung von uns allen, die auf keinen Fall auf die Kultur übergreifen darf. Ich hoffe also, dass wir als Bürgergesellschaft selbstbewusster werden und uns solidarisch gegen diese Verwerfungen stellen. So ein Solidaritätsprinzip muss dann gerade auch für die zukünftige Elbphilharmonie gelten. Sie muss ein Haus für die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt werden und kein Elitetempel für einige vermeintlich Auserwählte. Ich wünsche mir, dass die Hamburger stolz sein werden auf ein kulturelles und architektonisches Wahrzeichen. Entsprechend müssen wir die Bespielung und die Gestaltung von Eintrittspreisen daraufhin ausrichten. Kunst muss wieder in ihrer Leitfunktion begriffen werden, die Zukünftiges vorlebt und vorspielt und so Prozesse initiiert, die der Gesellschaft zu Gute kommen – denken wir zurück an Beaumarchais oder Schiller. Ich glaube an die Wirkungsmacht der Musik als Kraftwerk der Gefühle.

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