Bei seinem Antrittskonzert in der Hansestadt feierten die Hamburger Sylvain Cambreling mit Standing Ovations. Im Gespräch trafen wir auf einen Dirigenten, der mit seinem Publikum noch einiges vorhat.
Sie haben bei der Vertragsunterzeichnung bei den Symphonikern Hamburg gesagt, dass Sie von einer „glücklichen Zeit“ träumen.
Sylvain Cambreling: Natürlich! Das träume ich immer, wenn ich in eine neue Stadt komme, zu einem neuen Orchester und einem neuen Publikum. Ich bin sehr positiv und hoffe immer, dass alles gut funktionieren wird. Außerdem habe ich großes Vertrauen in das Orchester. Trotzdem bin ich auch bereit, Risiken einzugehen.
Welche Risiken?
Cambreling: Ich meine damit zu experimentieren und Fragen zu stellen über die heutige Funktion von Kunst und Musik – gerade in einer Stadt wie Hamburg.
Das Hamburger Publikum hatten Sie beim Antrittskonzert sofort auf Ihrer Seite.
Cambreling: Ich habe das natürlich gehofft! Aber es ist wirklich sehr gut gelaufen, was viele Leute überrascht hat. Tendenziell versuche ich ja immer, das Publikum zu überraschen und unkonventionelle Sachen zu machen. In der Wahl der Programme und in der Art und Weise der Umsetzung. Schauen wir mal, wie es funktionieren wird.
Das klingt wirklich sehr risikofreudig.
Cambreling: Ich übernehme ein sehr gutes Orchester! Es hatte immer ein hohes Niveau. Wenn aber natürlich ein neuer Chef kommt, bringt er zwangsläufig eine andere Manier, andere Methoden und andere Ideen ein – natürlich auch in der Hinsicht, wie das Orchester klingen soll, und das wiederum hat mit dem Repertoire zu tun. Man spielt schließlich die französische Musik nicht wie die russische und schon gar nicht wie die italienische. Ich glaube tatsächlich, dass es eine meiner Spezialitäten als Dirigent ist, besondere Klänge für besondere Werke zu finden.
Ihrem Amtsantritt war der unerwartete Tod von Jeffrey Tate vorausgegangen. Treten Sie ein schweres Erbe an?
Cambreling: Der plötzliche Tod von Jeffrey war für alle Menschen in seinem Kreis ein großer Verlust. Ich möchte nun versuchen, das von ihm etablierte Niveau zu halten und dem Ganzen gleichzeitig eine neue Orientierung zu geben, denn Jeffrey kam aus dem englischen Repertoire. Das kann ich natürlich nicht leisten. Aber das ist auch gut so, schließlich soll es keine Wiederholung werden. Ich hoffe jedoch sehr, dass ich diesen besonderen Kontakt, den Jeffrey mit seinen Musikern hatte, auch aufbauen kann.
Ist es denn nicht schwierig, abrupt die Richtung zu ändern?
Cambreling: Es geht ja nicht darum, die Richtung komplett zu ändern. Was Jeffrey gemacht hat, wird immer da sein. Wir profitieren davon. Außerdem verbindet uns viel. Er hatte wie ich Mozart in seinem Repertoire und plante kurz vor seinem Tod, französische Werke hinzuzunehmen.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit in Programmfragen mit Daniel Kühnel, dem Intendanten der Symphoniker Hamburg?
Cambreling: Seine Idee von dem „Thinking Orchestra“ stimmt absolut mit meinen Vorstellungen überein. Klassische Musik sollte nicht nur Entertainment sein, allerdings muss sie auch weiterhin unterhaltend erscheinen.
Was meinen Sie mit Entertainment?
Cambreling: Es gibt die Idee davon, dass man in einen Konzertsaal kommt, weil man den Alltag vergessen und sich bei der Musik entspannen möchte. Ich glaube aber, dass es anders sein muss. Kunst – und darin vor allem Musik – ist dafür da, das Nachdenken über die Bedeutung der Dinge im Leben, vor allem aber über existenzielle Fragen anzuregen. Ich glaube fest daran, dass viele Leute diese Einstellung teilen. Natürlich gibt es auch die Leute, die eine Ankündigung in der Zeitung sehen und daraufhin ins Konzert gehen. Genau diese Leute müssen wir aber überraschen! Ein Konzertsaal ist ein Ort, wo man das schaffen kann. Oder fällt Ihnen ein besserer ein? Ein Parlament? Nein! Theater? Schon. Kirchen? Vielleicht.
Sie sind Mitte des Jahres siebzig Jahre alt geworden. Sind die Symphoniker Hamburg der Beginn einer neuen Lebensphase?
Cambreling: Wenn ein Dirigent die Leitung eines Orchesters übernimmt, ist das natürlich der Beginn einer neuen Lebensphase. Aber nicht total betrachtet. Ich arbeite seit 35 Jahren in Deutschland, habe auch schon in Hamburg dirigiert, fremd bin ich daher nicht. Aber die Stadt hat sich verändert. Das Faktum Elbphilharmonie ist nicht wegzudiskutieren. Es ist ein Signal und ein Wunsch nach Veränderung in der Stadt.
Neu bei Ihnen ist, dass Sie, nachdem Sie in Stuttgart als Generalmusikdirektor aufgehört hatten, die Oper hinter sich gelassen haben. Ist dieses Kapitel nun abgeschlossen?
Cambreling: Wissen Sie, eine Opernproduktion ist im Gegensatz zu einer Konzertvorbereitung sehr aufwendig. Ich rechne immer mit sieben Wochen für die Proben, danach kommen die Vorstellungen. So viel Zeit möchte ich einfach nicht mehr investieren. Meine Liebe zur Oper ist natürlich ungebrochen. Eine Produktion pro Jahr reicht mir. So geht es mir auch mit Uraufführungen. Bitte nicht mehr überall auf der Welt 25 pro Jahr!
Aber dem Hamburger Publikum werden Sie auch neue Werke zumuten …
Cambreling: Natürlich. Man sollte ein Publikum nie unterschätzen. Zu einem gewissen Grad möchten Zuschauer neugierig gemacht werden. Besteht darin der Unterschied zum bloßen Entertainment, das ja in erster Linie gefallen möchte? Entertainment muss existieren, keine Frage! Ich glaube nur, dass das nicht die Hauptfunktion eines sinfonisches Orchesters sein kann. Ein Klangkörper ist eine Kulturinstitution. Ich habe auch Zweifel, was Crossover-Projekte angeht, weil es sich da häufig etwas zu leicht gemacht wird. Ich möchte mich nicht mehr langweilen. Man muss einfach den Mut aufbringen zu sagen: Liebes Publikum, hören Sie jetzt bitte zu, Ihr Gehirn muss nun ein bisschen arbeiten. Warum nicht?
Dem Klangforum Wien und dem Yomiuri Nippon Symphony Orchestra in Tokio bleiben sie weiterhin verbunden. Was reizt Sie an der internationalen Tätigkeit?
Ich bin ledig, ich habe keine Kinder, das macht alles einfach! Zuletzt war ich eine Woche in Polen, eine Woche in Mailand, eine Woche in Barcelona, eine Woche in Wien und eine Woche in Hamburg. Das ist selbst für mich neu. In Zukunft werde ich mich mehr auf die Arbeit an einem Ort konzentrieren und versuchen, nicht mehr jede Woche an irgendeinem Flughafen zu sein.
Wo fühlen Sie sich denn zu Hause?
Cambreling: In einem Koffer. Nein, Spaß! Ich bin Europäer, lebe in Brüssel mit 280 Regalmetern Büchern. Für einen Dirigenten nicht schlecht, oder?