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Interview Rufus Wainwright

„Oper ist eine Art Kriegskunst“

Singer-Songwriter Rufus Wainwright über seinen Werdegang als Komponist, seine Liebe zur Oper und sein Projekt mit der Amsterdam Sinfonietta.

vonSusanne Bánhidai,

Es ist schwierig, sich mit Rufus Wainwright nicht über die Oper zu unterhalten, die eine seiner wichtigsten Inspirationsquellen ist. Doch auch andere klassische Welten reizen den Singer-Songwriter: Mit dem Barockensemble Amsterdam Sinfonietta geht er bald auf Tour – zum zweiten Mal. Wer ihn live nicht erleben kann, kann jetzt immerhin den Konzertmitschnitt von 2017 hören. 

Herr Wainwright, Sie blicken auf ein mannigfaltiges Œuvre zurück. Gibt es schon eine Einteilung in Schaffensperioden?

Rufus Wainwright: Ja, die gibt es schon. Da ich als Komponist, Songwriter und Sänger tätig bin, muss ich auf diese Frage allerdings dreimal antworten. Als Sänger bin ich jetzt besser als jemals zuvor. Ich habe schon als Kind begonnen zu singen, und ich habe mich, unter anderem durch verschiedene Genres wie Folk, Pop oder Oper, stetig weiterentwickelt. Man singt die großen Opern-Rollen ja auch zwischen dreißig und vierzig, da ist die Stimme auf dem Höhepunkt. In Bezug auf mein Songwriting ist jede Phase so unterschiedlich. Es gibt Songs, die sind so voller Jugend, Unschuld und Magie, dass ich wünschte, mir würde so etwas auch heute gelingen. Andere Songs kann man erst schreiben, wenn man durch die Hölle gegangen ist. Da gibt es keine lineare Entwicklung. 

Und wie ist ihr Werdegang als Komponist?

Wainwright: Das ist ein bisschen komplizierter. Ich war immer schon von der Oper beeinflusst und habe das auch in meine Songs einfließen lassen. Dieser dramatische Instinkt unterscheidet mein Schaffen von dem meiner Kollegen. Als ich begann, Opern zu schreiben, war ich bereits ein etablierter Komponist, dennoch fing ich fast von vorne an. Meine Werke in diesem Bereich wurden herausfordernder und komplexer. Die Philosophie meines Komponierens wird von Teilen der Klassikwelt und einem großen Teil des Publikums geschätzt. Ich habe aber auch viele Kritiker. Um mich an die ästhetischen Debatten zu gewöhnen, brauchte ich ein bisschen Zeit. 

Sie hatten ein anderes Feedback für Ihre Musik erwartet?

Wainwright: Die Welt der Oper ist ein gefährlicher Dschungel. Als ich mich vollkommen auf die Oper einließ, war ich sehr überrascht, wie viel es mich kosten würde. Ich dachte, es gibt mehr Wertschätzung für Schönheit und Tiefe. Da gab es schon ein böses Erwachen. Aber jetzt habe ich meinen Frieden damit gemacht. Man darf nicht aufgeben, muss hart arbeiten und die Kompositionen besser machen. Oper ist eine Art Kriegskunst.

Wie kam es denn zu dem Projekt mit der Amsterdam Sinfonietta, das ja außerhalb dieses Dschungels stattfindet?

Wainwright: Ein Agent hat mich 2017 in diese Show gebucht, und plötzlich war ich in den Niederlanden auf Tour, ohne zu wissen, worauf ich mich eingelassen hatte. Für die Konzertreihe „Beyond Classical“ der Sinfonietta habe ich dann ein Programm zusammengestellt, in dem ich die drei Stränge meiner Arbeit zusammenführen konnte. Was für ein Konzept! Und deshalb machen wir es nochmal. Ich singe meine Songs, ein bisschen Oper und arbeite mit einem klassischen Orchester zusammen. Die Arbeit mit diesen Profis macht aus mir auch einen besseren Musiker. 

Wie findet die Kommunikation mit Ihnen und dem Orchester statt?

Wainwright: Das Orchester arbeitet traditionell ohne Dirigenten. Da ist eine besondere Chemie zwischen Ihnen. Ich habe gelernt, mit einzelnen Instrumentalisten Kontakt aufzunehmen. Muss man sich auf diese Wellenlängen verlassen. Das funktioniert. 

Zu Ihren bevorzugten klassischen Komponisten auf diesem Album zählen Jean-Philippe Rameau und Hector Berlioz. Wie haben Sie sich die Welt der klassischen Kompositionen erschlossen?

Wainwright: Die Oper ist mein Ursprung. Als Opern-Enthusiast bete ich viele Komponisten regelrecht an, die für Liebhaber der übrigen Klassik nicht so interessant sind. Jules Massenet zum Beispiel finde ich brillant! Ein Musikwissenschaftler würde ihm aber nicht diesen Rang zubilligen. Klassikfans und Opernfans kommen mir manchmal vor wie zwei verschiedene Spezies. 

Wie haben Sie sich Ihre eigenen Bewertungskriterien aufgebaut?

Wainwright: Ich bin mal auf eine Musikhochschule gegangen. Nicht lange, vielleicht anderthalb Jahre. Am Konservatorium in Montreal hatte ich allerdings keine gute Zeit. Es war rigide und akademisch. Rückblickend war es eine wichtige Erkenntnis, dass ich nicht zu dieser Welt gehören wollte. So machte ich die ersten Schritte auf meinem jetzigen Weg. Der Oper blieb ich treu, entdeckte faszinierende Musik abseits des Repertoires. Eine tolle Arie ist eine tolle Arie. Es gibt Opern, über die wir nichts mehr wissen, nur zwei oder drei Stücke daraus haben die Jahrhunderte überdauert und sind zauberhaft. Das sind gute Songs, wenn man so will. Solche Juwelen findet man in jedem Jahrhundert. Ich liebe Pierre Boulez, bin ein großer Messiaen-Fan und schätze Alban Berg

Was ist mit Richard Wagner?

Wainwright: Ja, natürlich liebe ich Wagner. Wir haben einen kleinen Hund namens Siegfried. 

Wie haben Sie rein praktisch die Oper entdeckt?

Wainwright: Wir hören viele Opern zu Hause – sogar auf Vinyl, was toll klingt. Ich gehe natürlich auch viel in die Oper, ich glaube an diese Institution! Man weiß: Wenn man hingeht, geht man durch etwas Tiefgründiges hindurch. Dort gibt es Magie. Und die brauchen wir Menschen zur Zeit. 

Sie haben selbst zwei Opern komponiert.

Wainwright: Oper hatte für mich immer etwas Religiöses. Ich war dreizehn Jahre alt, als ich in dieses Universum gezogen wurde – und zwar mit einem sakralen Werk von Giuseppe Verdi, seinem Requiem. Oper war immer meine Haupt-Inspirationsquelle, und ich hatte das Bedürfnis, diesem Tempel etwas darzubringen. Doch ich habe das Rad nicht neu erfunden. Die Musik von „Primadonna“ ist leicht zugänglich. Auch wenn man kein Opernfan ist, wie es viele Klassik-Fans nicht sind, kann man sich das sehr gut anhören! 

„Primadonna“ ist auf Französisch, ihre zweite Oper haben Sie in Englisch geschrieben.

Wainwright: Ich bin ja in Montreal aufgewachsen und spreche Französisch und Englisch. „Primadonna“ ist auf Französisch, weil sie in Paris spielt. Ich hatte einen großen Streit mit der Met, denn die hatte die Oper zuerst in Auftrag gegeben und wollte, dass sie auf Englisch gesungen wird. Aber das hat für mich keinen Sinn ergeben. Ich habe für diese Sprache gekämpft. Meine zweite Oper „Hadrian“ spielt im Römischen Reich, und da passt Englisch besser, weil es weniger romantisch ist, kälter und brutaler, so, wie das Römische Reich eben war. Wenn ich über meine dritte Oper nachdenke, die eine Komödie werden soll, fühle ich mich wieder zum Französischen hingezogen. 

„Hadrian“ hat Teile des konservativen Opernpublikums auch irritiert.

Wainwright: Es gab Reaktionen wegen der schwulen Sex-Szene – möglicherweise der ersten orchestrierten Liebesszene für zwei Männer auf einer Opernbühne. Ich muss Thomas Hampson dafür danken, diese Liebe auf der Bühne darzustellen. Wir hatten einen „Intimacy-Coach“, um das sexuelle Bühnengeschehen musikalisch auszuarbeiten. So wurde es sehr geschmackvoll und alles andere als pornografisch. Aber es war halt Sex. Oper muss weitergehen, um zu überleben! Sie muss in ihren Stoffen und ihrer Ästhetik relevant bleiben – und sie wird überleben! 

Glauben Sie, dass es der Klassik- oder der Opernwelt an Diversität oder Toleranz fehlt?

Wainwright: Für „Misfits“ war die Oper eigentlich immer ein sicherer Hafen, also für Schwule, verrückte Frauen, Transsexuelle und so weiter. Hier können sie sich ausleben. Andererseits ist ein Teil des Opernpublikums tatsächlich sehr konservativ. Ja, es sollte mehr Inklusion geben. Und: Nein, die besten Musiker und Musikerinnen sollen Erfolg haben. Qualität und Anspruch dürfen dem Diversitätsgedanken nicht geopfert werden. 

Album-Tipp

Album Cover für Rufus Wainwright & Amsterdam Sinfonietta

Rufus Wainwright & Amsterdam Sinfonietta

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