Startseite » Interviews » „Wer will sich schon beißen lassen?“

Interview Reinhard Goebel

„Wer will sich schon beißen lassen?“

Seit Jahren hat sich Reinhard Goebel mit Carl Philipp Emanuel Bachs Musik befasst. Doch bei aller Begeisterung: Für die Zeit nach dem Jubiläum ist er skeptisch

vonChristiane Schwerdtfeger,

Seine Gedanken zu Carl Philipp Emanuel Bach hat er im Vorfeld des Jubiläums einmal aufgeschrieben – und was da steht, liest sich alles andere als fröhlich. Reinhard Goebel, Geiger, Dirigent und gefragter Kenner der historisch informierten Aufführungspraxis, hat Quellen studiert, Partituren durchforstet, Stücke erarbeitet und sagt, letztlich ist die Musik des zweiten Bach-Sohns für den modernen Konzertbetrieb kaum geeignet. Goebels Begeisterung für die Stücke tut das aber keinen Abbruch – die ist auch am Telefon in jedem Moment zu spüren.

Wie sind Sie ins Jubiläum gestartet?

Ich mache ja quasi mein eigenes Gedenkjahr abseits vom Offiziellen, nämlich mit meinen Studenten und in Berlin mit der Akademie. Begonnen haben meine Studenten am Mozarteum. Das Publikum war völlig erstaunt, weil man so etwas natürlich nicht hört in Österreich. Speziell in Salzburg nicht, denn diese Musik ist ja extrem kontrastär zur Mozartkugel und zum Mozartkugelgeschmack …

Abgesehen vom Jubiläum wird Carl Philipps Musik im Konzertleben nur wenig aufgeführt. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Es ist zu schwer! Nicht erst für moderne Orchester, sondern das war schon im 18. Jahrhundert so. Daneben spielt es unter anderem Rolle, dass die Menschen unterhalten werden wollen – und das macht Carl Philipp Emanuel eben nicht. Ganz im Gegenteil: Die Musik beißt! Und wer will sich schon beißen lassen?

Für die Musiker schwer, für das Publikum anstrengend – welche Zukunft hat die Musik Carl Philipp Emanuel Bachs?

Kaum eine. – Man muss auch bedenken, dass wir immer nur 100% Repertoire haben. Kommt etwas Neues dazu, fällt etwas anderes heraus. Natürlich versuche ich mit Furor, Carl Philipp Gehör zu verschaffen, denn wir kommen an seiner Musik nicht vorbei. Trotzdem bin ich pessimistisch.

Woher nehmen Sie trotz Pessimismus die Energie?

Ich mache das aus Wissensdrang! Vor einigen Monaten habe ich zum Beispiel den Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen wieder einmal Zeile für Zeile durchgesehen. So etwas kann man nur aus purem Interesse an Kunst, Wissenschaft und Musik machen.

Müsste das Buch mehr beachtet werden?

Nein, denn es ist sehr speziell, im Grunde nur für Dirigenten und Cembalisten. Carl Philipp Emanuel spricht hier außerdem meist die Sprache seines Vaters, das Deutsch des frühen 18. Jahrhunderts. Leopold Mozart ist viel moderner und wesentlich besser lesbar.

Und die Musik – ist dort auch Altmodisches drin, so wie im Buch?

Ja, sicher! Es gibt einerseits schon den galanten Trommelbass über weite Strecken, aber andererseits auch die verschrobene Harmonie, die er vom Vater gelernt hat.

Haben Sie Lieblingsstücke?

Das Konzert für zwei Cembali Wq 46 habe ich vor vielen Jahren als erstes Werk Carl Philipps überhaupt gehört; das finde ich nach wie vor ganz toll. Ein ganz wunderbares Stück ist auch die e-Moll-Sinfonie, von der Johann Adolph Hasse meinte, er habe nie eine bessere Sinfonie gehört. Ja – das sind meine Renner.

Noch mehr über Carl Philipp Emanuel Bach sowie zahlreiche CD-Tipps der concerti-Redaktion finden Sie hier.

Termine

Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!