Gerade erst war sie als Gluck’sche Euridice aus Paris zurückgekehrt, als Regula Mühlemann sich zum Gespräch mit concerti einfand – und befand sich schon in den Startlöchern für ihren nächsten abendlichen Auftritt: als Pamina in der „Zauberflöte“ bei den Salzburger Festspielen.
Sie sind praktisch ständig auf der Bühne. Macht es immer nur Freude oder überwiegt auch mal der Stress?
Regula Mühlemann: Ich schmeiße meine Energie immer komplett rein. Das bedeutet natürlich, dass man manchmal ganz schön viele Opfer bringen muss, gerade für die Oper, wenn man lange weg von zuhause ist. Normalerweise versuche ich immer einigermaßen die Balance zu halten zwischen Oper und Konzert und jetzt aktuell merke ich, dass ich da wieder mehr den Ausgleich finden muss. Es war vielleicht auch eine Gegenreaktion auf Corona, dass ich jetzt so viel Oper gemacht habe. Man hatte einfach wieder so Lust drauf nach dieser Zwangspause. Aber seit Anfang des Jahres war ich fast nur unterwegs, und als ich dann kurz vor Salzburg noch eine Woche zu Hause war und meine Sachen in der eigenen Küche nicht mehr gefunden habe, da dachte ich, jetzt wird es ein bisschen zu viel. Aber es kommen auch wieder ruhigere Phasen und ich habe natürlich eine wunderbare Zeit hier in Salzburg. Wenn man vor Ort ein tolles Team hat, erlebt man so schöne Momente, die das dann wieder gut machen und die Aufführungen sind dann sowieso der Lohn für die harte Arbeit.
Gerade brillieren Sie als Pamina und gelten als Mozart-Expertin. Können Sie sich noch an Ihre erste Berührung mit Mozart erinnern?
Mühlemann: So mit dreizehn, vierzehn hatte mich meine Tante in Zürich mit in den Figaro genommen. Da habe ich zum ersten Mal eine Mozart-Oper gesehen. Wahrscheinlich bin ich schon viel früher damit in Berührung gekommen, aber ich wüsste jetzt kein anderes solches Schlüsselerlebnis. Vor allem als die Barbarina auf die Bühne kam, begann ich gedanklich mich da hinauf zu projizieren und dachte: Da oben möchte ich irgendwann auch mal stehen. Das war wahrscheinlich der erste Trigger, um diesen Weg zu verfolgen.
Es war also Ihre Familie, über die Sie zur klassischen Musik gefunden haben.
Mühlemann: Meine Großeltern mütterlicherseits waren leidenschaftliche Operettensänger. Sie haben sich sogar auf der Bühne kennengelernt. Außerdem hatte meine Mama eine sehr große Plattensammlung, querbeet von Beethoven bis Beatles. Ob Pop, Klassik oder Volksmusik – bei uns wurde alles gespielt und das war gut für mich, denn so hatte ich nie Vorurteile gegenüber bestimmten Genres. Für mich war das alles toll. Irgendwann gab es in meinem Dorf dann endlich – ich war vielleicht 14 Jahre alt – die Möglichkeit, Gesangsunterricht zu nehmen, vorher hatte ich Klavier gelernt. Wenig später habe ich dann schon in der Luzerner Kantorei mitgesungen. Dieser Chor war wohl der Grundbaustein für meine Karriere.
Sie sprechen in akzentfreiem Hochdeutsch und singen in sehr vielen Sprachen. Allein auf Ihrem aktuellen Album sind es sechs verschiedene. Wie machen Sie das?
Mühlemann: Durch das viele Reisen bekommt man natürlich einige Kenntnisse, ich bin ja zum Beispiel viel in Italien und Frankreich unterwegs. Aber schon dieses alte Englisch, etwa bei Purcell, ist im Grunde eine ganz andere Sprache als das, was man heute spricht. Damit in Berührung zu kommen, finde ich unglaublich faszinierend. Sprache sagt so viel über uns und über Kultur aus, und sie geht auch klanglich fast immer mit der Musik einher. Wenn Komponist und Librettist dieselbe Sprache sprechen, entsteht eine besondere Einheit aus Wort und Musik. Ich hoffe, dass wir die sprachliche Vielfalt, die Dialekte und dieses Lokalkolorit möglichst lange erhalten können.
Gibt es eine Sprache, in der Sie am liebsten singen?
Mühlemann: Italienisch, würde ich sagen. Irgendwie flutscht das. Ich liebe auch die deutschen Sprachen, aber das Angehen der Konsonanten und die Abtrennung der Worte – das ist manchmal nicht besonders sängerfreundlich. Französisch wäre ja auch sehr schön auf Linie, aber das hat dann diese Nasallaute, die nicht ganz einfach sind. Italienisch ist von der Klarheit der Vokale schon prädestiniert für den guten Sitz der Stimme.
Das Thema Ihres neuen Albums „Fairy Tales“ hat auch etwas Volkstümliches an sich. Wie sind Sie denn auf das Thema gekommen?
Mühlemann: Ich wurde in der Vergangenheit immer mal wieder für Stücke mit diesem Sujet angefragt. Dadurch habe ich festgestellt, dass diese Klarheit und Helligkeit in meiner Stimme offenbar sehr gut mit dem Feen-Thema zusammenpassen. Gemeinsam mit den CHAARTS Chamber Artists haben wir dann Literatur zusammengetragen, die zu diesem Thema passt. Es ist eine Sammlung entstanden, die von Frühbarock bis Spätromantik fast 350 Jahre Musikgeschichte umspannt. Das Instrumentarium ist bei allen Stücken ungefähr gleich – das Ensemble CHAARTS besteht aus elf Solisten, die Werke wurden von Wolfgang Renz für diese Besetzung arrangiert, alle spielen auf modernen Instrumenten –, sodass es uns möglich wurde, durch die gemeinsame Tonsprache einen Bogen über die Jahrhunderte zu spannen.
In Ihrem Gesang wirkt immer alles sehr leicht. Welche Partien haben Sie bisher besonders gefordert?
Mühlemann: Adina in Donizettis „L’elisir d’amore“ an der Wiener Staatsoper war für mich damals gleichzeitig Rollen- und Haus-Debüt und fand als Wiederaufnahme ohne vorige Orchesterproben, ohne Bühnenprobe statt. Zusätzlich war es auch noch meine erste Hauptrolle überhaupt in so einem großen Haus. Da kam so viel zusammen, dass ich nervlich wirklich an meine Grenzen gekommen bin. Letztendlich habe ich eine gute Vorstellung gegeben, aber die Wochen davor waren schon hart. Und auch die Julia in Gounods „Romeo und Julia“ am Luzerner Theater war eine wirkliche Herausforderung. Ich hatte bis dahin nur in Komödien gesungen. Das war emotional sehr intensiv für mich, plötzlich liefen mir die Tränen herunter! Aber das waren sehr wichtige Erfahrungen. In der Rolle habe beispielsweise ich gelernt, wie ich weinen und dabei meine Stimme trotzdem gut kontrollieren kann.
Die Komödie war lange ihr Hauptfach, mittlerweile habe Sie auch das Tragische für sich entdeckt. Trotzdem sind Ihre Rollen in der Regel Sympathieträger. Würden Sie auch gerne Mal die Böse sein?
Mühlemann: Natürlich würde ich so etwas wahnsinnig gerne spielen, aber ich glaube, dass meine Stimmfarbe mich da nicht hineinlässt. Ich wüsste spontan gar keine Partie, die da zu mir passen könnte. Die Königin der Nacht habe ich schon ausprobiert, aber ich finde mich da vom Klang her viel zu weich. So eine Königin muss richtig Schmackes haben und eine gewisse Schärfe, eine Dramatik, die ich selber eher nicht habe. Daher finde ich es schwierig, Bösewichte zu spielen. Aber natürlich habe ich auch schon Charaktere gespielt, die mir selber überhaupt nicht sympathisch sind, was auch wiederum spannend und reizvoll ist.
Sie haben sich selbst mal als Aufnahmen-Freak bezeichnet. Bereiten Sie sich auch mittels Einspielungen von Kolleginnen auf Ihre Rollen vor?
Mühlemann: Tatsächlich höre ich sehr viele Aufnahmen zur Vorbereitung. Allerdings nicht um etwas zu kopieren, Authentizität ist mir sehr wichtig. Mir geht es vor allem darum, mich mit dem Orchesterklang vertraut zu machen, damit man einfach eine Idee hat, wie die Klangfarben aussehen, wo Soloinstrumente hervorstechen, solche Dinge. Das sieht man ja alles im Klavierauszug nicht. Außerdem kann man beim Zuhören immer etwas lernen, und sei es nur, dass man weiß, wie man es selber nicht machen will.