Startseite » Interviews » „Alter Sänger, junger Dirigent“

Interview Philippe Jaroussky

„Alter Sänger, junger Dirigent“

Countertenor Philippe Jaroussky hat soeben ein Herzensprojekt auf CD veröffentlicht, ist auf dem Zenit seiner Karriere – und hat schon ein weiteres Ziel vor Augen.

vonChristian Schmidt,

Es kommt nicht oft vor, dass ein Asteroid nach Opernsängern benannt wird. 2016 erreichte der Franzose Philippe Jaroussky nach zahlreichen internationalen Preisen auch das. Dabei denkt der 41-Jährige auf dem Höhepunkt seiner Karriere auch darüber nach, seine ­musikalische Laufbahn radikal zu verändern.

Zu Beginn des neuen Jahres wollten Sie ein Sabbatical einschieben. Was machen Sie, wenn Sie nicht singen?

Philippe Jaroussky: Ich habe kurz vor Weihnachten aufgehört zu singen, und meine nächsten Konzerte waren dann erst im März, aber ich hatte trotzdem genug zu tun und vorzubereiten: Ich musste über meine Zukunftsprojekte nachdenken und Entscheidungen treffen, ich musste mich um meine Akademie kümmern, und nicht zuletzt musste ich mir über die Programme in der nächsten Zeit Gedanken machen. Es ist schön, diese Dinge auf so entspannte Weise anzugehen, weil man sich dann voll darauf konzentrieren kann. Auf Tourneen finde ich dafür keine Ruhe. Manchmal ist es auch einfach gut, einmal nicht zu singen, obwohl das meine Leidenschaft ist, weil man sich dann von außen betrachtet und vorstellt, wie es wäre, nicht zu singen.

Philippe Jaroussky

Wie oft legen Sie so eine Pause ein?

Jaroussky: Ich habe das erst zum zweiten Mal gemacht. Es hilft, die Stimme auszuruhen und die Technik aufzufrischen. Umso mehr erfreue ich mich danach wieder am Musizieren und kann diese Freude hoffentlich viel besser ans Publikum weitergeben. Sobald ich morgens unter der Dusche wieder anfange zu üben, merke ich: Es kann wieder losgehen!

Trainieren Sie eigentlich auch Ihren Bariton oder ausschließlich die Kopfstimme?

Jaroussky: Als ich anfing, hat mein Gesangslehrer beide Register trainiert, denn der Bariton liegt meiner Sprechstimme näher. Es kann sehr sinnvoll sein, in dieser natürlichen Lage die Mechanismen der Stimme zu verstehen, um die ­Erkenntnisse dann auf den Counter anzuwenden. Da ich kein Tenor bin, sind die tiefen Lagen des Counters auch nicht gerade meine Spezialität, daran arbeite ich kontinuierlich. Denn auf der Bühne braucht man für die Oper auch das Brustregister, und da singt man eine Arie ja nur einmal. Das ist bei CD-Aufnahmen ganz anders, wo ich sieben oder acht Stunden am Tag nur singe, das ist in gewisser Weise ein ganz anderer Job.

Fast jedes Jahr bringen Sie ein neues Album heraus, dabei sagt man ja schon länger der Studio-CD den Tod voraus. Wie schaffen Sie es, sie mit am Leben zu erhalten?

Jaroussky: Meine Plattenfirma und ich sagen manchmal, wir sollten tatsächlich das Tempo drosseln. Mein letztes Soloalbum ist im November 2017 herausgekommen, zwischendurch war ich auch auf anderen Aufnahmen vertreten. Es gibt zum Glück weiterhin sehr viele Projekte. Selbstredend möchte man als Sänger in der Lebensphase am meisten machen, in der man sich am besten in Form fühlt. Schließlich weiß ich gar nicht, wie lange ich noch CDs aufnehmen kann.

Ihr neues Album „Ombra mai fu“ zitiert eine Arie aus Francesco Cavallis Oper Xerse, die durch Händel berühmt wurde. Wer ist für Sie der bessere Komponist?

Jaroussky: Sicherlich ist Händels „Serse“ die beste Version. Für das große Publikum ist Monteverdi bestimmt auch berühmter als Cavalli. Aber ich wollte mit dem Titel ein bisschen provozieren, denn die erste Vertonung dieser Arie stammt immerhin von Cavalli! Das macht neugierig. Interessant an ihm ist zum Beispiel, dass die ersten Violinen nicht wie bei Händel colla parte mit dem Solisten spielen, sondern höher. Das ist sehr originell und hat seinen ganz eigenen Reiz.

Philippe Jaroussky

Welche Qualitäten sehen Sie in Cavalli noch?

Jaroussky: Ich habe ihn schon zu Beginn meiner Karriere entdeckt, als ich Anfang zwanzig war. Schon damals hat mich der Charme dieser Musik sehr angezogen, er hat einen sehr ausgeprägten Personalstil. Nicht umsonst werden zurzeit fast alle seiner Opern aufgeführt. Auf der CD wollte ich die besten Arien und Duette aus allen Opern zusammenfassen, auch um aufzuzeigen, auf welch verschiedene Weise er komponieren konnte – vom Lamento bis hin zu äußerst komischen Szenen. Schon zu Lebzeiten war seine Musik sehr populär. Sie ist sehr viel simpler als die von Händel und eher fragil. Cavalli schrieb sehr schnell und manchmal nur die Gesangs- und die Basslinie. Wer wann mit wem und welchen Instrumenten zusammenspielt, muss man also häufig selbst entscheiden. Das ist eine Art Neukreation allein durch die Instrumentierung. Bei Händel ist fast alles genau festgelegt. Deswegen liebe ich diese frühbarocke Musik auch so sehr, weil sie schult, den richtigen Klang zu imaginieren und den Text zu interpretieren.

Sie gelten als Spezialist auf dem Gebiet der Alten Musik. Sind Sie auch interessiert an zeitgenössischem Repertoire?

Jaroussky: Natürlich, ich hatte schon öfter Gelegenheit, neue Stücke zu singen, denn ein Countertenor ist tatsächlich wieder eine ­moderne Stimme geworden. Mein nächstes CD-Projekt wird zeitgenössische Musik nur mit Klavier enthalten, aber es ist noch zu früh, darüber zu sprechen.

Sie sind jetzt 41, haben zahlreiche Klassikpreise gewonnen, stehen weltweit auf der Bühne. Welche Ambitionen, Ziele und Herausforderungen könnte jemand wie Sie noch haben?

Jaroussky: Wenn man jung ist, träumt man viel. Damals hätte ich nie zu hoffen gewagt, einmal an der Mailänder Scala zu singen. Sie haben Recht, ich habe viel mehr erreicht, als ich dachte. Wichtiger aber ist, dass man sich aussuchen kann, was und mit wem man singt. Das ­Publikum ist sehr dankbar, und diese Momente möchte ich intensiver wahrnehmen, eben weil ich nicht weiß, wie lange ich das noch kann.

Klingt ein wenig hedonistisch.

Jaroussky: Das mag sein, aber wenn Sie keine Freude am Singen haben, geht es nicht. Und ein weiteres Ziel in meinem Leben ist es seit vielen Jahren, Dirigent zu werden. In drei oder vier Jahren werde ich schon meine erste Barockoper dirigieren, worüber ich sehr glücklich bin. So werde ich gleichzeitig ein alter Sänger und ein junger Dirigent sein. Beide Aktivitäten werden sich zunächst mischen, und nach und nach werde ich immer weniger singen zugunsten des Pults. Ich möchte mehr Verantwortung für meine ­musikalischen Botschaften übernehmen.

Philippe Jaroussky

Entspringt daraus auch Ihre Motivation für Ihre Musikakademie, die Sie für Kinder und junge Erwachsene gegründet haben?

Jaroussky: Ich komme selbst aus einer Familie, die völlig unmusikalisch war. Meine Lehrer sagten zu meinen Eltern, ich solle Musik machen, und so begann ich mit der Violine. Das veränderte mein Leben. Zwanzig Jahre später habe ich nun die Chance, das Leben von anderen Kindern bestenfalls positiv zu beeinflussen. Ich wurde oft gefragt, ob ich finde, man müsse mehr für die musikalische Bildung tun. Immer habe ich Ja gesagt, aber nie selbst etwas dafür getan. Diesen Mangel versuche ich nun wenigstens bei fünfzig Studenten pro Jahr aufzulösen. Und sie müssen dafür keinen Cent bezahlen.

Ist das Ihre Art der Work-Life-Balance?

Philippe Jaroussky: Daraus kann man selbst etwas lernen! Wenn Sie unterrichten, sind Sie gezwungen, Gedanken zu ordnen, Ansichten zu formulieren, den Schülern auch mal etwas vorzusingen. Manche Impulse kommen auch von den Schülern und Studenten selbst. Das prägt und bereichert das eigene Musizieren immens. Und nicht zuletzt: Es macht enorm viel Freude, ein Lehrer zu sein!

Sehen Sie hier Philippe Jaroussky mit „Ombra mai fu“ von seinem gleichnamigen Album:

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Album-Tipp

Termine

Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!