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Flötistin Kathrin Christians im Interview

„Keine Zukunft zu haben, kam für mich nicht infrage“

Kurz vor dem Erscheinen ihres Debütalbums erlitt die Flötistin Kathrin Christians einen Schlaganfall. Gut vier Monate später hat sie ihren Weg zurück ins Leben gefunden. Die Musik hat ihr dabei geholfen

vonNicole Korzonnek,

Und plötzlich ist da dieser Schicksalsschlag, der einen komplett aus der eigenen Lebensbahn herauskatapultiert. So erging es der Flötistin Kathrin Christians vor gut vier Monaten, als sie, kurz bevor ihr Debütalbum erschien, einen Schlaganfall hatte.

Wie sahen die ersten akuten Tage nach dem Hirnschlag für Sie aus?

Kathrin Christians: Zuerst lag ich auf der Stroke Unit, gemeinsam mit älteren Menschen, denen es deutlich schlechter ging als mir. Zwar hatte ich viele körperliche Einschränkungen, aber mein Kopf funktionierte ohne Pause ganz normal weiter. Aber ich war müde. Alles was geschah und was ich versuchte, war sehr anstrengend. Ich biss die Zähne zusammen und sah nach vorne. Keine Zukunft zu haben, kam für mich nicht infrage.

Ab wann konnten Sie wieder an Musik denken?

Christians: Ganz ehrlich? Bereits nach der ersten Nacht. Meine eine Gesichtshälfte hing, was ich zum Glück nicht sehen konnte. Und ich überlegte für mich, was geschehen würde, wenn ich nicht wieder Flöte spielen könnte. Das Cello hat mich schon immer begeistert und ich konnte es mir gut vorstellen, da die schwächere Hand nicht so viel Feinarbeit hätte leisten müssen. Was mich außerdem begeistert ist dirigieren. Also lag ich nach der zweiten Nacht in meinem Bett, schaltete alle Geräusche durch Kopfhörer ab und dirigierte – oder machte das, was ich als ungelernte Dirigentin dafür hielt. Also Hände hoch und runter und seitlich bewegen. Oder fuchteln. Jeder Dirigent hätte mit mir darüber gelacht.

Hat Ihnen die Musik bei der Genesung geholfen?

Christians: Bestimmt. Nicht nur das Hören an sich, weil ich mich damit immer wieder in eine wunderschöne oder düstere Welt flüchten konnte. Auch, dass man bei einem Instrument lernt, sehr detailverliebt zu arbeiten. Ich habe das auf meine verschiedenen therapeutischen Maßnahmen super übertragen können. Kontrollierte Bewegungen, nicht einfach über Fehler hinweg gehen, wenn man übt, Bewusstsein. Aber auch, den Gefühlen freien Lauf zu lassen. Emotionen zuzulassen und dadurch Stress abzubauen. Und wenn das nur für mich war.

Kathrin Christians
Kathrin Christians © Banditbloggers Fred Bschaden

Stand es irgendwann zur Debatte, dass Sie aufgrund Ihrer Erkrankung eventuell nicht mehr Querflöte spielen können würden?

Christians: Für mich eigentlich nicht. Aber selbst wenn, wäre für mich damit keine Welt zusammen gebrochen. Ich bin sehr glücklich, wenn ich mich mit dem Instrument an meine Grenzen bringen kann, mit ähnlichen Menschen zusammenarbeiten darf und diese mit meiner Detailverliebtheit in den Wahnsinn, aber auch zur Freude treibe.
Daneben habe ich aber viele andere Interessen im kulturellen Sektor. Ein Büchlein begleitet mich immer in dem ich meine Ideen aufschreibe: wie kann ich meine Begeisterung für Klassik an gleichaltrige und jüngere abgeben, wie kommuniziere ich am besten mit ihnen… Ich glaube, ich bin die einzige Klassikerin mit einem Fansong von Fußballfans. Ich habe sie dafür nicht einmal bestechen müssen und sie waren nüchtern. Hallo, Beni und Christian.
Außerdem sitze ich in einem Gremium für Musik und Medizin und noch ein paar andere Dinge. Langweilig wird mir dadurch nicht.

Wie sah Ihre erste Begegnung mit Ihrer Querflöte nach dem Schlaganfall aus?

Kathrin Christians
Kathrin Christians © Banditbloggers Fred Bschaden

Christians: Doch ernüchternd. Ich schleppte mich aus meinem Rollstuhl an eine Tischkante, um aufrecht zu sein. Und machte langsame Tonübungen. Die Muskulatur wollte ich langsam an die Normalität gewöhnen, ohne selber desillusioniert zu sein. Tonleitern, in Duolen- und Triolenschritten. Nach fünf Tagen wurde ich gebeten, ein paar Patienten, die sich nie aus ihrer Station bewegten, ein wenig vorzuspielen.

Welche spielerischen Defizite hatten Sie?

Christians: Die rechte Hand ist in den Fingerkuppen nach wie vor pelzig. Ich konnte vom Mittelfinger abwärts die Finger nicht gut platzieren. Lesen ging gar nicht. Ausatmen war ok und Einatmen einfach viel zu langsam. Ich musste nach zehn Tagen Üben einen Notstop einlegen, da die Ärzte eine Komplikation feststellten. Als ich dann nach sechs Wochen wieder loslegen durfte, war vieles von alleine besser geworden. Mein Ansatz und Klang waren nach dem ersten Tag wieder wie vor dem Unfall und Ausatmen und Fingersetzen ging wie von alleine.

Wie lange hat es gedauert, bis Sie erste Fortschritte erkennen konnten?

Christians: Auf jeden Fall täglich. Es war ähnlich wie mit meinen körperlichen Übungen; nachdem ich drei Einheiten mit Wiederholungen gemacht hatte, war immer ein Schritt nach vorne bemerkbar.

Wie gestaltet sich Ihr musikalischer Alltag derzeit?

Christians: Ich übe täglich, beginne langsam Stücke zu spielen, die in den nächsten Konzerten auf mich warten. Auf jeden Fall spiele ich weniger lange, aber noch konzentrierter. Fokussiert.

Welches Repertoire ist für Sie schon wieder möglich?

Christians: Debussys „Syrinx“ zum Beispiel, fast wie immer. Ich arbeite eigentlich schon am gesamten Repertoire. Pläne für die nächste CD eingeschlossen.

Treten Sie bereits wieder auf?

Christians: Ich hatte vier kleinere Konzerte in Frankreich, bei denen ich die Widor Suite, Mozarts Quartett, Bornes Carmen Fantasie und Debussys „Six Epigraphes Antiques“ aufgeführt habe. Mein erstes Recital habe ich für Ende November geplant.

Wenn Sie an die Zukunft denken, dann …

Christians: … freue ich mich darauf! Und freue mich besonders über einen offenen, neugierigen und experimentierfreudigen Horizont. Denn dieser Unfall hat nichts von meinem Charakter genommen.

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