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Interview Matthias Goerne

„Ich habe ein gutes Leben“

Matthias Goerne über moderne Empathie, die Gemeinsamkeiten von Schubert und Eisler – und über das Glück, ein Sänger sein zu dürfen

vonChristian Schmidt,

„Ge“ umschreibt auf thüringisch „nicht wahr“. Dieser gemütliche, beinah inflationär gebrauchte Ausdruck ist das einzige, woran man in Matthias Goerne noch den Weimarer erkennt. Der seit seinem Festspieldebüt 1997 weltweit gefragte Bariton, pausenlos zwischen Salzburg, New York, London und seiner Wahlheimat Hamburg unterwegs, spricht im Interview lieber über das, was ihn ausmacht. Seine Herkunft, meint der 46-Jährige, spielt für den Beruf praktisch keine Rolle.

Vor kurzem haben Sie beklagt, wir lebten in einer kalten, herzlosen Zeit. Was haben Sie damit genau gemeint?

Das war im Zusammenhang mit meinen Schubert-CDs und Liederabenden. Die Frage ist ja: Kann man Leute noch berühren? Die moderne Zeit hat uns geprägt, aber die emotionalen Bedürfnisse sind die gleichen geblieben. Zwar gibt es einen starken Kontrast zwischen der Romantik und der Gegenwart; damals war ja das aufbrechende lyrische Ich um so anerkannter, je emotionaler es sich entäußerte, was heutzutage undenkbar ist. Aber ich weiß auch: Das Bedürfnis nach dem Ausdruck von Empfindsamkeit wächst mit dem Bewusstsein für ihren Mangel.

Sie meinen, wir verleben unser Dasein in einem zu hohen Tempo mit sehr irdischen Bedürfnissen und Statussymbolen?

Das schon, aber ich erlebe ebenso, dass die Menschen abseits vom Streben nach Profit und Karriere einen Gehalt, einen anderen Sinn für ihr Leben suchen – in einer philosophischen Dimension.

Ist das der Grund, warum Sie jetzt ein neues Hanns-Eisler-Album herausbringen?

Einen Teil der Lieder habe ich schon mal aufgenommen, einige noch nicht. Besonders die Orchesterlieder liegen mir sehr am Herzen. Die Ernsten Gesänge sind von solch einer unglaublichen Tiefe, Klarheit und Substanz, dass ich sie zu meiner Visitenkarte gemacht habe.

Was mögen Sie an Eisler?

Die Echtheit. Ich kann keinen Unterschied zwischen Schubert und Eisler in der Meisterschaft erkennen, Konflikte mit Raffinement zu beschreiben. Sie haben so viel gemein! Die humanistische Idee, die in der Persönlichkeit verinnerlicht ist, findet sich im Schaffen wieder. Beide treffen immer den richtigen Gestus für den Text, extrem unterschiedlich in Form und Farbe.

Und wer will das hören?

Mein Hollywoodliederbuch hat sich damals genauso oft verkauft wie die Aufnahme der Dichterliebe mit Ashkenazy. Das Publikum sollte von Konzertmanagern oder Plattenfirmen nicht unterschätzt werden, andauernder Mainstream führt in die falsche Richtung. Der CD-Markt spiegelt die gesellschaftlichen Verhältnisse wider: Im Vergleich zu aller modernen populären Unterhaltungsmusik sind wir an eine Grenze gestoßen, weil die Liebhaber alles schon haben. Also brauchen wir die Nische.

Wir sind überrascht!

Es ist doch so: Künstlerischer Sinn überträgt sich auf Dauer – wie die liebevolle Erziehung eines Kindes. Dabei kann man Fehler machen, aber das, was prägt, ist die Wiederholung. So ist das generell bei Menschen. Den größten Erfolg habe ich bei meinen Liederabenden mit dem Eisler-Block immer bei den Leuten, die den Komponisten nicht kannten.

Warum ist er dann heutzutage immer noch so unpopulär?

Aus Nazideutschland vertrieben, fiel er in Amerika als Kommunist in Ungnade. Von der DDR wurde er totgeküsst und umarmt. Als Österreicher war er aber unantastbar und unangepasst gleichermaßen, das ist seine Tragödie.

Gilt sein tiefer Idealismus heute als naiv?

Sicher, und vielleicht stimmt das sogar, aber es ist gut, dass es diese Art von Naivität gibt. Die Welt wäre sonst schlechter. Und ärmer. Die Spirale der Erdentwicklung kann die Kunst sowieso nicht aufhalten. Woraus sollte man sonst Hoffnung schöpfen, Energie tanken, einen aufrechten Weg weitergehen?

Sie sind kein Utopist?

Gar nicht. Ein Konzert bleibt ein Konzert, letzten Endes. Die Leute fühlen sich angesprochen oder eben nicht. Woran ich festhalte, ist der Gedanke daran, dass Veränderungen nur bei schockierenden Erfahrungen passieren. Aggressivität und Ignoranz verstellen den Blick auf das Innere.

Haben Künstler, speziell Sänger, in unserer Gesellschaft eine Verantwortung?

Ich trage nur für mein Tun Verantwortung, nicht für den Rest der Menschheit. Also kann ich nur meine Überzeugungen und Fähigkeiten einbringen. Bekehren ist nicht meine Aufgabe. Mein Beruf speist sich aus meinem Artikulationsbedürfnis, nicht aus einem Sendungsbewusstsein. Nur die persönliche Note dabei ist ein eigenes Gefühl, obwohl ich ja Bestehendes reproduziere.

Aber Ihre persönliche Lebenserfahrung fließt schon mit ein.

Wer daran partizipieren will, für den hat es einen Effekt, aber auf den spekuliere ich nicht. Natürlich setzt es viel Reflexion voraus, verständlich zu singen. Erkennen und richtiges Deuten eines gemeinten Gefühls hat damit zu tun, da ist natürlich Sensibilität gefragt. Ohne Empathie hat man noch nie jemanden erreicht. Das romantische Gefühl wohnt jedem inne.

Spielt für Ihre Überzeugungen die DDR-Erfahrung eine Rolle?

Sicher hat mich die ostdeutsche Prägung und Erziehung beeinflusst, so wie jede Erziehung Einfluss ausübt. Aber letztlich sind das eher spezifische regionale Eigenschaften. Was sich vielleicht übertragen hat: Im sächsisch-thüringischen Raum, wo ich herkomme, gibt es eine große Musikalität. Ich habe im Extra- und im Kinderchor gesungen. Aber es ist pure Spekulation, ob das alles anders gelaufen wäre, wenn ich im Westen aufgewachsen wäre. Und entscheidend bleibt doch, was man ist. Nicht die Herkunft.

Außer in Afrika waren Sie ja auch schon überall unterwegs.

Eben, es gibt überall sympathische und unsympathische Menschen. Miteinander umgehen wollen ist auch einfach ein Ergebnis der Kinderstube.

Sind Sie ein Einzelgänger, was das ungewollte Sendungsbewusstsein betrifft?

Das glaube ich nicht. Ich kenne so viele wunderbare Künstler in allen Bereichen, bei denen mir diese Gedankenwelten immer wieder begegnen. Bei denen es keine Sucht nach Ruhm um der Bekanntheit willen gibt. Die Dinge begreifen wollen. Und begreifen lehren wollen.

Klingt ziemlich ruhelos.

Bei mir sind persönliche und berufliche Seite nicht getrennt. Die Übergänge sind fließend. Und das ist ein ganz glücklicher Umstand: das tun zu können, was man tun zu müssen im Inneren spürt. Es gibt keine bessere Konstellation.

Hat man als Sänger Angst vor dem Ausbrennen?

Wenn die Balance zwischen Selbstsicherheit und Selbstzweifel gesund bleibt, kann man sich wohl nicht zu weit verirren. Natürlich spielt auch die Gesundheit eine große Rolle. Man muss Grenzen erkennen und respektieren.

Wo liegen die?

Wenn ich merke, dass die Belastung größer ist als die Freude. Man muss wach sein und sich selbst beobachten. Meine Tochter sagt: Du gehst ja nie in Rente. Ich mache das gern, was ich tue, und muss mich nicht überwinden, einer Arbeit nachzugehen. Ich brauche das, ich habe ein gutes Leben.

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