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Interview Martin Stadtfeld

„Die Musik macht uns ein Riesengeschenk“

Martin Stadtfeld über die Freiheit in der Musik, das Zeitlose in barocken Stücken und sein persönliches Zwiegespräch mit Beethoven.

vonJan-Hendrik Maier,

Perfekt ausgeleuchtet sitzt Martin Stadtfeld kurz nach Release seines 28. Albums im Berliner Büro seines Plattenlabels, als er sich per Videotelefonie zum Interview schaltet. Darin spricht der frisch zum Professor berufene Pianist nicht nur über seine neue CD „Baroque Colours“.

Auf vielen Alben spielen Sie Werke von Bach oder aus dem Barock. Was fasziniert Sie an dieser Epoche, dass Sie immer wieder zu ihr zurückkehren?

Martin Stadtfeld: Die Verbindung der Menschen zueinander, die man sowohl emotional in der Musik spürt als auch in der Art, wie diese gemacht wurde, nämlich mit großer Offenheit für neue Impulse. Ständig wurden spannende Gedanken von Metropole zu Metropole weitergetragen. Es fand – in rasender Geschwindigkeit auch verglichen mit der heutigen Zeit – ein permanenter innereuropäischer Austausch statt. Keiner ist vom anderen zu trennen: Bach nicht von Vivaldi, Purcell nicht von Händel. Das zeigt Menschlichkeit.

Ist dieser Moment der Inspiration auch der Grund für die erstaunlich kleinteilige Auswahl der Stücke auf Ihrer jüngsten Einspielung „Baroque Colours“?

Stadtfeld: Wenn man eine Reise durch den Barock und durch Europa macht, möchte man sich nicht zu lange an einem Ort aufhalten, sondern kurz in eine Welt eintauchen und mit vielen Einzeleindrücken und einem kaleidoskopischen Gesamteindruck heimkehren. Ich fokussiere hier auf die Komponisten, die Impulse eingebracht und sich gegenseitig befruchtet ­haben.

„Die Kunst des Barock ist ein Spiegel, in dem wir uns selbst betrachten können“, haben Sie einmal geschrieben. Was sehen Sie beim Blick in diesen Spiegel?

Stadtfeld: Das ist einerseits eine emotionale Momentansicht. Die barocke Musik ist für mich stets zeitgemäß und wohltuend, sie spendet mir Kraft und Trost, insbesondere an Tagen, an denen ich mit mir selbst hadere. Andererseits verläuft das Leben in Stufen. Je mehr man in die Barockmusik schaut, desto klarer erkennt man im Spiegel, wenn man wieder eine neue Stufe erklommen hat. So empfinde ich Werke immer wieder anders.

Martin Stadtfeld wollte schon mit sieben Jahren Konzertpianist werden
Martin Stadtfeld wollte schon mit sieben Jahren Konzertpianist werden

Seit einigen Jahren präsentieren Sie vermehrt eigene Arrangements und Improvisationen. Inwiefern verändert das Ihren Blick auf die ursprünglichen Kompositionen?

Stadtfeld: Das ist ja mal genau andersherum gefragt! (lacht) Stimmt. Das verändert auch etwas. Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Wenn man mit einem Motiv spielt, schafft das eine Befreiung gegenüber der ursprünglichen Komposition, zugleich wächst die Bewunderung für diese. Beim Improvisieren wird mir erst klar, wie viel Freiheit die barocken Formen jedem überlassen.

Wirkt sich das auf Ihre Interpretation der Originale aus?

Stadtfeld: Das Bewusstsein dafür, dass das Original letztlich eine genial ausgearbeitete Improvisation ist, wird größer. Barocke Stücke wirken so, als ob sie schon lange am Klingen wären und ewig weiterklingen könnten. Man steigt ein und steigt wieder aus, weil es eben eine zeitliche Begrenzung in einem Musikstück geben muss.

Von Jean-Philippe Rameau stammt die Bezeichnung Ihres Lieblingsakkords, der „Sixte ajoutée“. Was macht seinen Klang besonders?

Stadtfeld: Er hat etwas Verspieltes und sehr Sinnliches, das ich liebe. Einerseits strebt er in der Kadenz stark in die Dominante, andererseits haben die Spätromantiker wie Wagner erkannt, dass er nach allen Seiten hin geöffnet und damit prinzipiell in die völlige Freiheit führen kann. Vor allem bei der Anwendung in Moll ist das krass.

Welche Bedeutung hat für Sie das Komponieren?

Stadtfeld: In einer bestimmten Phase meines Lebens fühlte ich mich unfrei. Eigentlich spielt man doch immer die gleichen ­Werke und ist gezwungen, ihnen etwas Neues hinzuzufügen, um die eigene Aufnahme zu legitimieren. Nach der Geburt meines Sohnes habe ich viel glückliche Zeit mit dem Kind verbracht und meine Gedanken schweifen lassen. So ist mein erster Zyklus „Homage to Bach“ entstanden, zuerst im Kopf, dann am Klavier. Das hat mich sofort in einen wunderschönen Zustand der Freiheit versetzt. Ich konnte sagen, hier bin ich jetzt quasi Gott und jedes Stück, das ich komponiere, ist ein Spiegel der Musik, die ich liebe. Danach konnte ich mich wieder vorbehaltlos in eine Beethoven-„Appassionata“ und eine Liszt-Sonate fallen lassen.

Im Herbst wurden Sie als Professor für Klavier nach Bremen berufen. Eine Auszeichnung oder überwiegt das Gefühl großer Verantwortung?

Stadtfeld: Beides. Ich spüre die menschliche Verbindung mit den Studenten und denke darüber nach, wie ich ihnen helfen kann, Selbstbegrenzungen zu überwinden. Woran es liegt, dass die Verbindung zwischen Geist und Emotion und dem, was letztlich aus dem Klavier herauskommt, unterbrochen ist. Meine wunderschöne Aufgabe besteht darin, ihnen zu helfen, sich selbst auf dem Klavier frei ausdrücken zu können. Durch die erforderliche Bündelung der Gedanken lerne ich selbst viel dazu.

„Einfache Harmonien können in jedem von uns etwas auslösen“, ist online Ihre Biografie überschrieben. Welche Kraft geht von der Universalsprache Musik aus?

Stadtfeld: Die Harmonie hat die Fähigkeit in sehr große, aber nicht unbegrenzte Spannungsverhältnisse zu treten, die jeder Mensch wahrnimmt. Schon ein Baby spürt, wenn ein Akkord nach Auflösung strebt. Damit kann man schön spielen, denken Sie nur an das C-Dur-Präludium aus Bachs „Wohltemperiertem Klavier“. Die Musik macht uns mit dieser Universalkraft ein Riesengeschenk. Ihr sollten wir uns anvertrauen.

Mit sieben Jahren wollten Sie Konzertpianist werden. Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an Ihre Anfänge am Klavier denken?

Stadtfeld: Wie mich mein erster Lehrer Hubertus Weimar, dem das neue Album gewidmet ist, an besagtes C-Dur-Präludium herangeführt hat. Ich sollte den Harmonien lauschen. An Weihnachten war es das Schönste, wenn ich ein Notenheft geschenkt bekommen habe. Eine neue Beethoven-Sonate oder ein Stück von Chopin waren für mich wie eine Abenteuerreise, die ich sofort am Klavier erleben wollte.

Lesen Sie nach zwanzig Jahren im Musikgeschäft eigentlich noch Kritiken?

Stadtfeld: Ja, ich lese alles, was ich bekomme. Die negativen Dinge darf man nicht so sehr an sich heranlassen, aber man sollte sich auch nicht mit den Hymnen verwechseln. Mich interessiert, was Sie und Ihre Kollegen schrei­ben, denn im Grunde ziehen wir alle an einem Strang: Wir sind begeistert von der Musik und auf unsere Art und Weise Vermittler. Das ist ein großes Miteinander, das mich neugierig bleiben lässt.

Welchen Komponisten aus der Vergangenheit würden Sie gerne treffen?

Stadtfeld: Manchmal halte ich ohnehin Zwiesprache mit Beethoven. In seiner Zerrissenheit, Sinnsuche und Verzweiflung darüber, welchen Weg man überhaupt gehen soll, empfinde ich ihn als einen modernen Menschen, der uns sehr nahesteht. Zugleich hatte er das unfassbare Genie und die Kraft, durch tiefe Täler zu gehen und einen Optimismus, aus dem Großes entstanden ist. Beethoven drückt sich zutiefst subjektiv aus, das berührt mich. Die barocke Musik indes hat bereits alle Fragen des Lebens erörtert. Von ihr geht etwas Starkes, Bergendes und Wohltuendes aus, sodass sie für mich die befriedigendste Musik ist, die es gibt.

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