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Interview Markus Becker

„Ich habe alles gespielt, was sich nicht gewehrt hat“

Markus Becker gehört zu den wenigen Pianisten, die einen hervorragenden internationalen Ruf haben und gleichzeitig dem Starrummel aus dem Weg gehen

vonMaximilian Theiss,

Markus Becker setzte sich bereits mit drei Jahren regelmäßig ans Klavier. Bemerkenswert früh zog es ihn immer wieder zum gemeinsamen Musizieren hin, gründete Kammermusik-Ensembles, sang im Knabenchor und spielte in Jazz- und Rockbands. Dem geselligen Musizieren ist er seither ebenso treu geblieben wie der Stadt Hannover.

Herr Becker, Sie sind in Hannover aufgewachsen, haben dort studiert und haben hier eine Professur inne. Was ist eigentlich typisch Hannoveranisch?

Markus Becker: Das ist in der Tat nicht so offensichtlich wie meinetwegen bei Köln oder Hamburg, was ein auch bisschen unserer neutralen Sprache geschuldet ist. Außerdem neigen die Hannoveraner zu einer Art Lokalmasochismus und preisen ihre Heimat nicht so gerne an. Hannover ist vielleicht keine wunderschöne Stadt, aber für Familien ist sie großartig: Es gibt kurze Wege, bezahlbare Wohnungen und, das durfte ich als Kind erleben, ein musikalisch unglaublich fruchtbares Umfeld.

Wie sind Sie denn musikalisch großgeworden?

Becker: Ich war im Knabenchor Hannover, habe dort auch als Solist gesungen. Damals haben wir zum Beispiel auch mit Gustav Leonhardt und Philippe Herreweghe zusammengearbeitet, auch wenn mir damals als Kind nicht klar war, mit wem wir da eigentlich arbeiten durften. Außerdem hatte ich das Glück, dass es hier Karl-Heinz Kämmerling gab, bei dem ich erst Privatunterricht hatte und dessen Student ich später wurde.

Als Teenager spielten Sie aber auch in einer Jazzband.

Becker: Ich war als Jugendlicher sehr neugierig. Was speziell den Jazz anbelangt, kam bei mir hinzu, dass ich als Kind das Klavier stets ohne Noten traktiert habe, weil es mir mehr Spaß gemacht hat, nach Gehör zu musizieren. Eine Freude, die sich bis heute gehalten hat, denn ich spiele immer noch gerne in Jazzesembles.

Sie scheinen aber kein Fan von Crossover-Projekten zu sein…

Becker: Weil es oft anbiedernd ist und ich das Gefühl habe, dass sich die eine Musikrichtung hinter der anderen verstecken will. Wenn man jedoch solche Sachen mit einem Augenzwinkern versieht und sie nicht allzu ernst nimmt – warum nicht?

Arbeiten klassische Kammermusikensembles und Jazzbands denn so unterschiedlich?

Becker: Man kann schon viele Gemeinsamkeiten entdecken: In beiden Fällen geht es um Impulse, um die Frage, in welche Richtung ein Musikstück gehen soll, um Phrasierungsideen, um Transparenz. Jedoch wird in der Klassik minutiöser gearbeitet, während es im Jazz vor allem auf die Architektur der Musik ankommt, die dann oft erst am Konzertabend selbst ausgefüllt wird. Die wichtigste Disziplin wiederum ist bei den Ensemblearten gleich: einander zuzuhören.

Wie schätzen Sie sich selbst als Kammermusiker ein?

Becker: Ich denke, dass ich meine Spiel- und Klangfreude bewahrt habe, dass ich nicht ins Kopfgesteuerte übergegangen bin, wobei im glücklichen Fall beides zusammenkommt, denn das eine bedingt das andere.

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Markus Becker

Sie sind gleichermaßen Interpret und Professor – hilft Ihnen Ihre Lehrtätigkeit dabei, sich auch künstlerisch zu entfalten?

Becker: Absolut! Durchs Unterrichten konnte ich ein großes Repertoire kennenlernen, das ich teilweise gar nicht gespielt habe. Man darf auch nicht unterschätzen, wie viel man lernt, wenn man einem Ensemble nur zuhört und dabei ein Stück erarbeitet.

Wie schätzen Sie eigentlich die äußeren Umstände ein, mit denen Ihre Studenten heutzutage nach dem Abschluss vorlieb nehmen müssen?

Becker: Man erlebt zwei Tendenzen: Einmal die – in großen Teilen politisch gewollte – Fusion von Orchestern, also den Rückbau einer hierzulande luxuriös ausgestatteten Klassiklandschaft. Das gilt auch für die Kammermusik, da die Kunst- und Kammermusikvereine nicht mehr so finanziert werden wie in den siebziger und achtziger Jahren. Andererseits: Wenn ich sehe, was es an zahlreichen großartigen Streichquartetten mit jungen Leuten gibt, die auf den Markt drängen und die sich unter bescheidensten Umständen zusammentun, dann bin ich überzeugt davon, dass diese Energie und dieser Wille der Leute auf Dauer dazu führen wird, dass zwangsläufig neue Konzertformen mit neuartigen Spielstätten entstehen. Hier haben wir zum Beispiel das Kulturzentrum Pavillon. Das war früher ein linkes Zentrum, von dem man nie so genau wusste, was die Leute da drin als nächstes ausbrüten. Heute ist das ein super Laden, der auch Klassikkonzerte veranstaltet mit erfreulich jungem Publikum.

Wie sind Sie eigentlich zur Kammermusik gekommen?

Becker: Ich persönlich bin da über die Jahre einfach reingerutscht. Da ich schon in frühen Jahren recht gut vom Blatt spielen konnte, sind meine Mitschüler gerne auf mich zugekommen, wenn sie eine Klavierbegleitung gebraucht haben. Später habe ich zwar ganz konventionell Klavier studiert, habe aber auch immer wieder an Kammermusik-Kursen teilgenommen. Am besten ist es aber sicherlich, wenn man sowohl solistisch als auch in einer Gruppe arbeitet, da das eine das andere befruchtet.

Sie treten außerdem auch immer wieder als Solist bei Klavierkonzerten auf. Ist da auch Teamwork gefragt oder gibt man als Pianist ein paar knappe Anweisungen und lässt das Orchester nach seinen Wünschen aufspielen?

Becker: Letztens habe ich wieder das 1. Klavierkonzert von Brahms gespielt und dabei für mich herausgefunden, dass es letzten Endes großartige Kammermusik ist. Manche Klavierkonzerte sind aber in der Tat so angelegt, dass das Orchester eine begleitende Funktion hat. So ist es beispielsweise in Teilen bei Max Regers Klavierkonzert mit seinem monströsen Klavierpart. Aber auch hier besteht ein ständiger Dialog mit dem Orchester.

Gewissermaßen sind Sie Reger-Spezialist, seit Sie das gesamte Klavierwerk eingespielt haben. Vermutlich haben Sie also ein recht arbeitsreiches Reger-Jahr hinter sich.

Becker: Das war ein ordentliches Pensum, in der Tat. Im Grunde habe ich alles gespielt von Reger, was sich nicht gewehrt hat. Auch die Vorbereitung ist ungemein anstrengend, weil sich die Stücke sträuben, gelernt zu werden, sie widersetzen sich dem Interpreten geradezu. Aber das macht auch den Reiz aus: Selbst nach dem Konzert ist es so, dass man von der Bühne kommt und kein einziges Thema singen kann. Die Musik von Reger ist unglaublich tief und ernst geschrieben, hat immer die Attitüde von hochromantischer, tief empfundener Musik.

Wie kam es eigentlich zur Faszination für diesen Komponisten?

Becker: Ganz profan: Ich wurde angesprochen von einer Plattenfirma, ob ich das Klavierwerk von Reger aufnehmen möchte. Das war ein fantastischer Zeitpunkt: Ich war gerade fertig mit meinem Studium, hatte noch nicht die Professur inne und auch kein Projekt dieser Größenordnung in der Tasche. Also habe ich mir die vier Bände Klaviermusik aus der Stadtbibliothek ausgeliehen und durchgespielt. Während des ersten Durchgangs habe ich nebenher die Zeit gestoppt, um die Dauer des Gesamtwerks abschätzen zu können. Am Ende waren es zwölf Stunden. Witzigerweise war auch die Einspielung gerade mal fünf Minuten länger! Vor diesem Projekt kannte ich von Reger tatsächlich nur dessen Orgelwerk. Später hat sich übrigens herausgestellt, dass Karl-Heinz Kämmerling bei Reger-Schülern in Leipzig studiert hat, und auch einige Stücke von ihm aufgenommen hat. Da hat sich dann ein Kreis geschlossen – und die Faszination Reger war perfekt!

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