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INTERVIEW LISA BATIASHVILI

„Jetzt möchte ich Georgien etwas zurückgeben“

Die Geigerin Lisa Batiashvili über ihre Kindheit im Kommunismus, Musizieren mit dem Ehemann und ihren Kulturschock in Bayern

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Im Gespräch wirkt Lisa Batiashvili unprätentiös, uneitel und pragmatisch. Auf der Bühne aber kann sie zum „Teufelsweib“ mutieren, wie es ein Kritiker der „Welt“ formulierte. Und auch der große Alfred Brendel schrieb eine Eloge auf sie. Gerade hat die Geigerin und zweifache Mutter Brahms’ Violinkonzert mit der Staatskapelle Dresden eingespielt, das sie im März auch mit der Berliner Staatskapelle spielen wird.

Frau Batiashvili, lieben Sie Brahms?

Aber ja! Mit zwölf, kurz bevor ich endgültig nach Deutschland kam, spielte mein Vater schon ein paar Mucken in Hamburg mit einem Laienorchester und Brahms’ Vierter. Ich habe bei den Proben zugehört. Bis heute erinnere ich mich, wie sehr ich mich in diese Musik verliebt habe. Es ist für mich eine leidenschaftliche Musik. Als Kind braucht man zugegeben etwas Zeit, um sich daran zugewöhnen. Doch wenn man das einmal getan hat, dann kommt man nicht mehr davon los. Brahms’ Musik ist so menschlich. Sptäer habe ich seine Kammermusik entdeckt.

Nun haben Sie Brahms’ Violinkonzert eingespielt. Pablo Sarasate lehnte das Werk ab mit der Begründung, er lasse sich die einzige Melodie des Konzerts – gemeint war der Anfang des Adagios – nicht von der Oboe vorblasen…  

(lacht) Ja. Aber was soll ich bloß dazu sagen? Mein Mann, François Leleux, ist ja Oboist!

Gut also, dass der Oboist der Sächsischen Staatskapelle nicht Ihr Ehemann ist…

Ja. Ich habe wohl noch mal Glück gehabt! Aber im Ernst: Warum Brahms ausgerechnet der Oboe dieses Thema zuordnete, weiß ich nicht. Ich träume allerdings auch davon, dass ich das Konzert einmal mit François spiele.  

Brahms Freund Joseph Joachim spielte das Werk bei der Uraufführung. Sie spielen es auf einer Stradivarius „ex Joachim“ von 1715. Gibt es so etwas wie eine Geigenseele? 

Wenn man daran glaubt, vielleicht. Joachim hatte übrigens fünf Stradivari aus dem gleichen Jahr und deshalb ist es schwierig zu sagen, auf welcher er das Konzert gespielt hat. Ich weiß gar nicht, warum er die alle aus dem gleichen Jahr gekauft hat.

Vielleicht waren sie billiger…

(lacht) Ja. Sale! Das kann gut sein. Als ich Brahms spielte, hatte ich das Gefühl, dass die Musik zu diesem Instrument passt. Die Geige ist sehr klar, hat keinen bombastischen Klang, ist eher zierlich, von warmem durchdringendem Ton, aber nicht zu voluminös. Eine eher weibliche Geige, die trotzdem zu dem männlichen Werk passt. Auf meinen Reisen denke ich immer nur an drei Dinge, meine beiden Kinder und meine Geige. 

Mit 12 kamen Sie 1991 nach Deutschland. Welche Erinnerungen haben Sie an Tiflis?

Sehr viele und sehr starke. Meine Mutter ist Pianistin und Lehrerin, mein Vater Geiger und spielt seit über vierzig Jahren im Georgischen Streichquartett – in der gleichen Besetzung. Die haben sehr oft bei uns geprobt. Er hat mich bis zum elften Lebensjahr unterrichtet. Mit vier stand ich bereits auf der Bühne, all dies war für mich sehr natürlich, mit zwei hatte ich bereits angefangen, mich mit der Geige zu beschäftigen.

Die Musikerausbildung in der damaligen Sowjetunion galt seinerzeit als sehr intensiv und sehr gut.

Ja, doch dann änderten sich die Dinge, die Mentalität. Früher stand die Musikschule neben der normalen Schule. Beide Systeme ergänzten sich und waren aufeinander eingespielt; man wurde bereits als Kind schon zum Musiker erzogen, und nicht wie hier, wo man erst nach dem Abitur entscheidet, ob man auf die Musikhochschule geht. Es war viel einfacher, man wusste, wir sind Musikerkinder und wurden unterstützt. Das Problem war vielmehr der geringe Kontakt zur Außenwelt. Für mich war es immer wichtig, was in Europa los war.

Inwiefern hat die kommunistische Politik eine Rolle in Ihrer Kindheit gespielt?

Kaum ein Mensch, den ich kannte, hat nicht unter dem System gelitten. Als Kind musste ich diese Pionieruniformen tragen mit diesem roten Tüchlein (lacht), an Paraden teilnehmen und Kommunistensprüche nachplappern. Kein Mensch hat daran geglaubt. Das Verhältnis von Georgien zu Russland war immer sehr angespannt und das hat man gespürt. Andererseits, wenn man als Kind nichts anderes kennt, dann stellt man auch vieles nicht in Frage und kommt irgendwie zurecht.

Was war der Anlass, dann das Land zu verlassen?

Mein Vater wusste durch seine vielen Konzertreisen, wie es im Westen zuging. Dennoch war es ein jahrelanger innerer Prozess. Schließlich wollten meine Eltern auch für uns Kinder mehr Chancen. Für meinen Vater war es eine unglaublich harte Entscheidung, weil er das Quartett und seine Arbeit an der Musikhochschule verlassen musste. Er ist bis heute eine sehr wichtige und bekannte Figur im georgischen Musikleben. In Deutschland musste er dann an einer Musikschule Anfänger unterrichten. Das war sehr hart für ihn und auch der Grund, weshalb er sich früh pensionieren ließ und zurück nach Georgien ging. Ich verstehe sehr gut, dass er zurück wollte. Meine Mutter lebt heute in Ingolstadt und unterrichtet dort. 

Was haben Sie aus Georgien damals mitgenommen?

(lacht) Mich selbst. Anfangs war es sehr schwierig für mich. Es war alles so anders, ich könnte gar nicht mal sagen, ob positiv oder negativ. Ich kam direkt auf ein deutsches Gymnasium nach Hamburg und habe sehr gute Erfahrungen gemacht, obwohl ich zunächst nichts verstanden habe. Der größte Schock aber war eigentlich der Wechsel drei Jahre später von Norddeutschland nach Bayern an ein naturwissenschaftliches Gymnasium in Ingolstadt. (lacht) Ich hätte nie gedacht, dass man hier wesentlich konservativer ist als im Norden. Ich habe dann meinen Schulabschluss an einer georgischen Schule extern gemacht, um ein Diplom für die Hochschule zu haben. Dann hatte ich das große Glück, zu Ana Chumachenco zu kommen und ihr vorzuspielen zu dürfen.

Sie kamen in die berühmte Chumachenco-Talentschmiede, aus der ja Stargeiger…

…Stargeigerinnen…

…wie am laufenden Band herauskommen…

(lacht) Ja. Julia Fischer, Arabella Steinbacher, Susanna Yoko Henkel.  

Was ist das Besondere an ihrem Unterricht?

Sie hat eine klare Einstellung zu den Dingen, ist weise und großzügig und sehr menschlich. Sie ist natürlich dadurch bekannt geworden, weil innerhalb von zehn Jahren viele ihrer Schülerinnen berühmt wurden. 

Sie wie auch Ana Chumachenco wurden in der „Russischen Schule“ unterwiesen. Ich habe viele Geiger gefragt, doch keiner konnte mir wirklich erklären, was diese Geigerschule wirklich bedeutet.

Ich habe viel mit Frau Chumachenco darüber gesprochen. Es handelt sich hier um ein bestimmtes Übungssystem, dem man folgen muss, um auf eine bestimmte Art und Weise spielen zu können. Ich muss dabei an bestimmte Stücke denken; für deren Vorbereitung wird eine feste Zeit vorgeschrieben, um etwa Tonleitern oder andere Techniken zu üben. Es ist ein sehr klares System, aber mittlerweile hat man auch festgestellt, dass jeder sich selbst einschätzen lernen muss, um das richtige effiziente System zu finden. Man muss sich selbst vertrauen und eigene Verantwortung übernehmen. Wenn man älter ist und noch andere Prioritäten als die Geige hat, dann muss man lernen, mit der Zeit hauszuhalten.

2011 waren Sie in Tiflis an Ihrer alten Musikschule, was haben Sie empfunden?

Ich war zum ersten Mal jetzt dort. Mein Vater unterrichtet dort und die Kinder haben für uns ein kleines Konzert gemacht. Das hat mich sehr berührt. Die Ernsthaftigkeit der Kinder brachte mich fast zum Weinen.

Sie waren damals auch ein solches Kind?

Ja. Aber ich will nichts verklären. Auch damals war alles nicht wunderbar und trotzdem sind phantastische Künstler aus diesen Schulen gekommen. Sie sehen Musik als etwas ganz Wertvolles an. Es ist, bei allen politischen Veränderungen, das einzige, was konstant geblieben ist.

Wie sieht man Sie, der es im Westen zum Star gebracht hat, in Georgien? 

Ich versuche mich, etwas zurückzuhalten, reise immer als Touristin ein. Ich will nicht auffallen, wenn ich meine Familie besuche. Georgien ist jetzt ein Ort geworden, dem ich etwas zurückgeben möchte. Ich will da kein Star sein, wichtig ist das, was ich dort erlebt habe als Kind. Das ist eben nicht jedem passiert.

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