Ich versuche immer, das Stück am meisten zu mögen, mit dem ich mich gerade beschäftige. Aber zu den Werken, die mich mein Leben lang begleitet haben, gehört unbedingt das Violinkonzert von Tschaikowsky. Ich wuchs in der DDR auf und hörte es zum ersten Mal auf einer LP des dort sehr präsenten David Oistrach. Ich war zwölf und total begeistert. Im Studium habe ich es gelernt und mehrfach gespielt, dann aber eine lange Pause gemacht und mich intensiv mit seinem Gesamtwerk befasst. Auf dieser Basis entwickelte ich eine neue Liebe zu ihm. Als das Konzert wieder in meinen Fokus kam, setzte ich mich ganz neu damit auseinander.
Sehnsuchtsvoll versunken: Das Violinkonzert op. 35 von Tschaikowsky
Heute sehe, verstehe und spiele ich es ganz anders. Tschaikowsky halte ich für einen extrem sensiblen, versunkenen, sehnsuchtsvollen Menschen, der weit weg ist von einer virtuosen Einstellung. Natürlich sind hohe Fingerfertigkeit und technische Überlegenheit gefragt, aber das braucht man für jedes Stück. Den schwierigen Stellen liegt dabei eine wichtige Idee zugrunde: der Ausdruck von Verzweiflung und innerer Zerrissenheit. Die Virtuosität ist also kein Selbstzweck. Seine vom Ballett geprägte Musik ist nobel und in aller Trauer stets elegant. Weil die Musizierpraxis bis heute stark von einer Tradition geprägt ist, die sich sukzessive von der Partitur entfernt hat, ist es in Orchesterproben oft nicht leicht, einen unvoreingenommenen Zugang zu bekommen. Dabei ist es eine zu Herzen gehende, fast schon traurig machende Musik. Ich werde nicht müde, das Konzert zu hören und zu spielen.
Sehen Sie hier Antje Weithaas mit Johann Sebastian Bachs Chaconne aus der Partita Nr. 2: