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Kurz gefragt: Christian Wulff

„Wir sind hier, wir sind viele“

Anlässlich des „Jahres der Chöre“ sprach der Präsident des Deutschen Chorverbandes Christian Wulff über …

vonJohann Buddecke,

… sein Amt als Präsident des Deutschen Chorverbands

Das für mich Entscheidende an diesem Amt ist, den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu fördern. Chöre sind dazu perfekt in der Lage. Sie entfalten positive Wirkungen, sind integrativ, da einfach jeder singen kann. Ich selber bin nun weniger als Spitzensänger, sondern eher als Lobbyist für Chöre tätig.

… die Kernkompetenzen des Deutschen Chorverbands

Wir wollen eine starke Lobby sein, und zwar sowohl für die projektbezogene als auch für die wichtige institutionelle Förderung der Chorszene. Wir setzen uns beispielsweise für mehr Auftritts- und Probenmöglichkeiten der Chöre ein. Auch die Chorleiterausbildung steht im Fokus. Im Moment halte ich es für den wichtigsten Punkt, dass das Singen in Kindergärten und Schulen wieder eine größere Rolle spielt. Dort bildet sich nämlich der Nachwuchs für das Chorland Deutschland heraus.

… die gesellschaftliche Rolle von Chören

Während wir so viele Fliehkräfte in der Gesellschaft haben, so viel Freund-Feind-Denken, setzt das Chorwesen auch der Einsamkeit die Gemeinschaft entgegen, auch bezogen auf die Integration zwischen Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, beruflicher Tätigkeit oder Stellung und zwischen Jung und Alt. Singen dient der Gesundheit, steigert das Glücksempfinden und gibt Kindern entscheidende Impulse bei der Persönlichkeitsent­wicklung. Chöre sind auf so vielen Ebenen wirkungsvoll. Die ­Politik muss das viel stärker unterstützen und fördern.

… das gemeinsame Singen in Familien

Es gab natürlich immer musikalische und weniger musikalische Elternhäuser. Deshalb müssen Schulen und Kindergärten ausgleichen. Viele Eltern haben bereits in ihrer Kindheit nicht mehr gesungen. Ich selber gehöre zu diesen Jahrgängen. Das war die Adorno-Zeit in der alten Bundesrepublik, wo gegen das Singen von Volksliedern doch sehr pauschal propagiert wurde. Die Phase der 68er-Geschichtsaufarbeitung musste sein, hat allerdings Kollateralschäden mit sich gebracht.

… die Auswirkung der Pandemie auf die Chorlandschaft

Die Gefahr ist groß, dass uns während der Pandemie mehrere Jahrgänge an Nachwuchs weggebrochen sind. Auch heute noch gibt es große Unsicherheiten innerhalb der Chöre aus Furcht vor Ansteckung. Zudem fehlen unzählige Einnahmen durch Konzerte. Dennoch zeigt sich, dass die Chorszene diese Phase sehr stabil durchgestanden hat und deshalb jetzt umso mehr ein Signal des Aufbruchs braucht.

… das „Jahr der Chöre“

Wir wollen die Sichtbarkeit der Chöre insgesamt erhöhen, nach dem Motto: Wir sind hier, wir sind viele. Geplant sind verschiedene Aktionen. Unter anderem soll im Internet eine Karte entstehen, in die sich jeder Chor eintragen kann, um den Menschen jederzeit die Anbindung an ein Gesangsensemble zu ermöglichen. Zudem wird es ab dem Sommer einen Chorfilm geben, der das Kinopublikum zum Singen bewegen soll.

… das Deutsche Chorfest, das in diesem Jahr in Leipzig stattfindet

Das Programm beinhaltet 500 Konzerte an vier Tagen. Leipzig ist natürlich ein idealer Ort, mitten in Deutschland mit großartigen Aufführungsstätten. Das ist eine riesige öffentliche Plattform. Zudem soll das Fest Raum bieten für persönliche Begegnungen und um sich endlich wieder dem Publikum präsentieren zu können. Generell halte ich es für erstaunlich, dass sich so viele Chöre trotz der Schwierigkeit, nicht durchgängig geübt zu haben, den Auftritt zutrauen. Das zeugt von der Willensbereitschaft aller Sängerinnen und Sänger! Insgesamt sind wir von der Resonanz schon jetzt überwältigt und sehen es nun als große Herausforderung, auch der Weltlage Rechnung zu tragen. Wir wollen zu mehr Nachdenken anregen, gerade was auch das Zusammenleben von ­verschiedenen Nationen angeht.

… die Zukunft der Chortradition

Die entscheidet sich in den nächsten Jahren. Dass Deutschland ein Chorland ist, ist unumstritten. Dadurch allerdings, dass zwei Jahre nicht gesungen wurde, ist eine Bruchstelle entstanden, die sich noch in vierzig Jahren bei den Chören auswirken kann. Daher müssen wir jetzt unsere Angebote verbreitern, zum Beispiel auch mit Schwarmsingen, Flashmob­aktionen und Projektchören.

concerti-Tipp:

Deutsches Chorfest 2022 Leipzig
26.5.–29.5.2022
350 Chöre und Vokalensembles
Thomaskirche, Felsenkeller, Markt
Weitere Infos unter: www.chorfest.de 

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