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Interview Kristian Bezuidenhout

„Und dann wird Beethoven zum Serienkiller!“

Kristian Bezuidenhout über Mozart-Interpretationen am Steinway, Beethovens wahren Charakter und Bach als Kosmopoliten.

vonHelge Birkelbach,

Kristian Bezuidenhout kann staunen. Und schwelgen. Vieles ist für ihn immer noch „unglaublich“ – sein Lieblingswort. Ob es der Klang des Freiburger Barockorchesters ist, dem er als Künstlerischer Leiter vorsteht, oder die Möglichkeiten des Hammerklaviers, dessen Geheimnisse er immer aufs Neue erkundet – einfach unglaublich!

Sie sprechen ausgezeichnet Deutsch. Wie kommt das?

Kristian Bezuidenhout: Ich bin in Dundee geboren, südöstlich von Johannesburg. Mein Vater ist Afrikaner, die Familie meiner Mutter kommt aus Deutschland. Ich bin multilingual aufgewachsen: Wir sprachen überwiegend Englisch, aber auch Deutsch und Afrikaans. Unsere Familie wohnte auf einem Landgut. Die problematische Situation in Südafrika und die Gewalt waren überall spürbar. Kein Ort, wo man sein Kind gerne aufwachsen sieht. Als ich neun Jahre alt war, zogen wir nach Australien. Ich dachte mir: Was machen wir jetzt in Australien? Ich muss alle meine Freunde verlassen. Dann stellte sich die neue Heimat aber als ziemlich positiv heraus, eine sehr ruhige Zeit im Vergleich zu Süd­afrika, das damals unter der Apartheit litt.

Welche musikalischen Erinnerungen an Südafrika haben Sie?

Bezuidenhout: Von Südafrikas musikalischer Kultur habe ich überhaupt nichts mitgekriegt. Mein Bruder und meine Schwester haben Klavier studiert, meine Großmutter, so heißt es, war eine ziemlich begabte Pianistin. Ich selbst habe damals kein Instrument gespielt, sondern wahnsinnig viele CDs gehört. Eigentlich nur klassische Musik. Aber in unserem Haushalt gab es auch Pop-Platten. Für uns als Familie war Musik äußerst wichtig. Aber ohne großen Druck, es war ganz relaxt. Keiner von uns dachte jemals daran, Wettbewerbe zu gewinnen oder Berufsmusiker zu werden. Es ging einfach nur darum, seine eigene Stimme zu finden.

Wie haben Sie Ihre eigene Stimme gefunden?

Bezuidenhout: In Australien bekam ich meinen ersten Klavierunterricht. Was mich verwundert hat: Meine Lehrerin war wahnsinnig streng und wollte, dass ich besser als alle anderen spielen sollte. Ich dachte, das ist doch völlig unlogisch, ich will doch gar kein Profi werden. Für mich war es wichtig, dass ich dieser inneren Einstellung folgen konnte und dass mich sonst niemand zur Musik gezwungen hat. Erst später kam die Erkenntnis: Aha, mit mehr Arbeit und mehr Konzentration wird man besser. Ich muss dazu allerdings sagen, dass ich als Jugendlicher wahnsinnig damit gekämpft habe, vom Blatt zu lesen. Es hat eine lange Zeit gebraucht, bis mein Selbstbewusstsein stark genug war, die Herausforderung anzunehmen.

Ihre Klangvorstellungen schulten Sie im exzessiven Hören von CDs. Es heißt, dass Sie schon als Kind angefangen haben, ein umfangreiches Archiv anzulegen.

Bezuidenhout: Ja, das stimmt (lacht). Als die ersten CDs erschienen, war der Klang sehr eigenartig. Ungewöhnlich scharf, fordernd, fast hässlich. Alles war sehr präsent aufgenommen, breit im Raumklang, auch in der Alten Musik. Ich habe die CDs wie ein Wahnsinniger gesammelt und konnte so recht früh meine Repertoirekenntnisse erweitern. Erst vor etwa zehn Jahren habe ich mit dieser Obsession aufgehört. Heute kann man Musik ja ganz anders konsumieren, digital speichern und streamen. Aber nicht nur Musik, sondern auch Partituren und historische Quellen findet man im Netz. Für wissenschaftliches Arbeiten ist das unglaublich wertvoll.

Hören Sie viel unterwegs?

Bezuidenhout: Absolut. Eine lange Zeit waren es Bach-Kantaten, die ich studierte. Ich war besessen davon. Auf Spreadsheets habe ich mir jede einzelne Kantate herausgesucht und Besetzung und Spielweisen studiert. Und dann Satz für Satz analysiert. Nicht unbedingt Klaviermusik habe ich auf diese Weise entdeckt, sondern eher Vokal- und Instrumentalmusik. Das befeuert meine Vorstellungskraft und ist ergiebiger, als Stücke zu hören, die ich sowieso auf dem Klavier, Cembalo oder Piano­forte spiele.

Dieses intensive Hören hilft Ihnen sicher bei Ihrer Arbeit als Künstlerischer Leiter.

Bezuidenhout: Ja, aber ich verweise natürlich nicht in den Proben darauf. Was aber wichtig ist: die Gelegenheit zu nutzen, um die klanglichen Vorstellungen in ganz konkrete Worte zu kleiden und seine eigene Überraschung oder Idee gut formulieren zu können.

Kristian Bezuidenhout
Kristian Bezuidenhout

Welche Worte benutzen Sie gerne, um Ihre Vorstellungen zu verdeutlichen?

Bezuidenhout: Ich rede gerne von Konsistenz und Textur. Wie dick oder dünn ein Klang in sich sein soll. Wie viel Licht darüber streicht. Wie es schmeckt und sich anfühlt. Diese Art von Köstlichkeit, die man schätzt. Gerade bei einem Barockorchester hat man diese unendliche Vielfalt von Klangmöglichkeiten. Aber du musst vorher genau wissen, was du willst – und dann das Pferd an den Zügeln packen. Das Wissen und die Erfahrung des Freiburger Barockorchesters sind wirklich unglaublich. Was ich immer mehr sehe, ist, wie hoch das technische Niveau sein kann, wenn ein Orchester auf Darmsaiten oder Originalinstrumenten spielt. Die Farben, die ich da als Dirigent herausholen kann, machen mich fast zu einem Maler.

Mozart am Steinway zu spielen, das mache Ihnen Angst, sagten Sie. Vor wem haben Sie da mehr Angst: vor Mozart oder dem riesigen Instrument?

Bezuidenhout: Es ist der Steinway. Dieses Gefühl, sich zurückhalten zu müssen, immer vorsichtig zu sein, weil der Klang so groß ist. Ich kann mich dabei nicht wirklich entspannen. Andererseits ist es fantastisch, denn man hat mehr Körper zur Verfügung. Man kann zeigen, was man haben will. Beim Fortepiano dagegen ist es so, dass man sich immer am Rande bewegt, wo man denkt, dass man die Details gar nicht hört.

Im Dezember spielen Sie ein Beethoven-Programm in der Philharmonie. Wie viel Mozart steckt in Beethoven?

Bezuidenhout: Das ist eine wirklich gute Frage. Stellen Sie sich Beethoven in den 1790er Jahren vor. Er war wirklich glücklich darüber, welche Tiefe er in Mozarts Musik für sich entdecken konnte. Gleichzeitig fühlte er eine Art Frustration. Er schaute sich die Noten des Klaviertrios G-Dur KV 496 an, das wundervolle Melodien und Variationen enthält – und einen inversiven Kontrapunkt. Beethoven studierte Mozart immer wieder und war total frustriert, weil er das so nicht hinkriegte. Daraus resultierte – so deute ich es – eine tiefe Animosität gegenüber Mozart, insbesondere wegen der Leichtigkeit, wie dieser seine Noten quasi aus dem Kopf direkt aufs Papier brachte, ohne eine einzige Korrektur. Er verhalf ihnen zum Leben ohne sichtbare Arbeit. In Beethovens zweitem Klavierkonzert gibt es Momente, die stark an Mozart erinnern, sehr frisch und elegant. Doch dann wird Beethoven zum Serienkiller. Er konnte seinen wahren Charakter nur kurz verbergen. Plötzlich bricht das Monster wieder hervor – und der innere Haydn tritt ans Tageslicht, mit ganz einfachen, reduzierten Blöcken, die Beethoven schroff hinwirft. Für den Zuhörer klingt das wie eine Art Schocktaktik. Beethoven war eifersüchtig auf die große Legende, auf Mozarts Musik wie auch auf dessen Rolle im Konzertleben als ­europaweit erfolgreicher Komponist und Pianist.

Wer war der größere Kosmopolit: Mozart, Beethoven oder Bach?

Bezuidenhout: Am Ende wird wohl Mozart gewinnen. Nicht weil ich denke, dass Bach der weniger stilistische Kosmopolit war. Er ist nicht viel gereist, blieb mit seiner Familie immer nur in einem überschaubaren Bereich von Deutschland. Genau das beweist aber, dass er der eigentlich größere Kosmopolit war, nämlich in seiner musikalischen Sprache. Er verarbeitete italienische und französische Einflüsse auf ganz eigene, herausragende Art und verband sie mit dem distinguierten deutschen Charakter. Am Ende des Lebens komponierte er ganz elegant, ohne irgendwelche Grenzen. Nun, ich denke, dass Bach der größere Kosmopolit war.

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