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INTERVIEW JULIAN STECKEL

„Das Fenster ist nicht lange auf“

Warum der Cellist Julian Steckel zur Zeit fast pausenlos unterwegs ist

vonArnt Cobbers,

Unter den jungen Cellisten-Stars hat er zuletzt für besonders viel Aufsehen gesorgt: Julian Steckel. Beim ARD-Wettbewerb 2010 gewann er gleich vier Preise, seine ersten CDs wurden hochgelobt. In seiner Wahlheimat Berlin ist der gebürtige Pirmasenser derzeit nur sporadisch. Doch für ein kurzes Interview auf einen Kaffee fand er in den drei Tagen zwischen zwei Konzertreisen noch Platz – nach einer Unterrichtsstunde und vor einer Probe.

Herr Steckel, kaum gewinnen Sie den ARD-Wettbewerb, haben Sie schon eine Professur in Rostock und einen prall gefüllten Konzertkalender – und können Ihre Orchesterstelle wieder aufgeben. Wettbewerbe machen also doch Karrieren.

Offensichtlich. Aber es hängt nicht alles mit dem Wettbewerb zusammen. Es ist ja so, dass ich schon von 21 bis 25 die großen Wettbewerbe gespielt habe. Und nur zweite Preise errungen hatte. Eigentlich hatte ich keine Lust mehr und schon genug zu tun. Die erste CD mit Mendelssohn hatte ich auch schon vor dem Wettbewerb aufgenommen. Aber ich bin ein rastloser Mensch. Und irgendwie hat es mich gewurmt: immer nur knapp daneben, als eine Art Geheimtipp gehandelt, aber dann doch nicht zu Konzerten eingeladen. Ich hatte gerade meine Stelle beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin bekommen, aber ich dachte mir, irgendetwas muss noch kommen. Und so habe ich nochmal beim Wettbewerb mitgemacht. Auf die Professur hatte ich mich schon Monate vorher beworben, weil ich eigentlich schon zu viel zu tun hatte, um das Orchester vernünftig bedienen zu können. Das war eine gute Erfahrung, die ich nicht missen will, aber auf einer Professur ist man flexibler, und das Unterrichten interessiert mich. Es gab zwei Bewerbungsrunden mit Vorspielen und langen Gesprächen. Die bürokratischen Mühlen mahlen langsam, und als der Ruf kam, war der Wettbewerb schon ein halbes Jahr vorbei und mein Kalender rappelvoll. Im Moment bin ich ständig unterwegs, und etwa einmal pro Woche, wenn ich gerade keine Konzerte spiele, rase ich nach Rostock und kümmere mich um meine Studenten.

Ist das eine Übergangsphase, um den Schwung mitzunehmen, oder soll es so bleiben?

Ich mag diese Herausforderung. Ich komme gerade von einer zweiwöchigen Tour zurück, da fühlt man sich schon so wie an einen Strand ausgespuckt und muss sich wieder aufrappeln. Aber das gehört einfach dazu, ich bin es gewohnt und kann damit umgehen. Es ist gerade sehr sehr viel, aber das Fenster nach so einem Wettbewerb ist auch nicht fünf Jahre offen, man muss die Zeit nutzen. Ich freue mich, dass sich viele tolle Sachen ergeben, schon nächstes Jahr mache ich bestimmte Dinge nicht mehr.

Nach den ersten Erfahrungen – würden Sie sagen, es ist eine komische Branche?

Unbedingt – wie überall. Natürlich müssen Sie etwas mitbringen, Sie müssen hohe Hürden überspringen. Aber beim schnellen Erfolg geht es nicht nur um Qualität. Man braucht ein gutes Timing, Sie brauchen ein paar Leute, die Sie unterstützen. Ob jemand wie Miklos Perenyi oder Boris Pergamenschikow sich besonders bemüht um die Musik und besonders intensiv arbeitet – das interessiert erstmal nur die Insider: uns Musiker und die Leute, die die Musik wirklich lieben. Den „Markt“ interessiert das wenig – wobei ich trotzdem davon überzeugt bin, dass sich besondere Qualität immer irgendwie durchsetzen wird.

Wie sind Sie darauf gekommen, zum Abschluss bei einer Geigerin, Antje Weithaas, zu studieren?

Ich hatte davor sehr starke Lehrerpersönlichkeiten wie Boris Pergamenschikow oder Heinrich Schiff, wollte nach mehreren Jahren in Wien nach Berlin zurück, und nicht zuletzt begann mich die allgemeine Sicht auf Musik mehr zu interessieren als die cellistische Sicht. Als ich das erste Mal beim Festival in Heimbach war und mit Größen wie Christian Tetzlaff, Isabelle Faust, Lars Vogt in einer Band saß, dachte ich: Wahnsinn, so lerne ich, das ist mein Futter. Antje Weithaas habe ich über Kammermusik kennengelernt, meine kleine Schwester, die Geigerin ist, fing bei ihr zu studieren an, und so habe ich Antje gefragt, ob sie mich unterrichten würde.

Wie muss man sich den Unterricht vorstellen? Sie spielen Cello, Antje Weithaas Geige?

Ja, oder wir sitzen ohne Instrumente da und unterhalten uns über die Musik und alles Mögliche. Es hat sich vom viel Spielen zum viel Reden entwickelt. Es ist eben nicht so, dass der Lehrer das, was er hört, in seinen Kosmos übersetzt und dann rät: Ich würde lieber diesen Fingersatz machen. Sondern es geht um Fragen wie: Ist es organisch? Ist es musikalisch? Das ist nicht instrumentenspezifisch. Ein guter Lehrer ist wie ein Spiegel. Und oft geht es ums musikalische Atmen, Phrasieren ist ja nichts anderes als Sprechen.

Warum haben Sie sich überhaupt damals auf die Orchesterstelle beworben?

Aus mehreren Gründen. Wenn man sich auf ein Ziel zubewegt und merkt, man erreicht es gerade nicht, dann muss man sich etwas anderes einfallen lassen. Und so habe ich meinen Solisten-Stolz runtergeschluckt und mir gesagt: Warum nicht? Das RSB ist ein Super-Orchester, ich hatte da schon ein Jahr ausgeholfen auf einer Solo-Stelle, und ich war jahrelang Solo-Cellist im Bundesjugendorchester gewesen – im Orchester zu spielen und vor tollen Dirigenten zu sitzen, hat mir schon immer viel Spaß gemacht. Außerdem reizte mich ehrlich gesagt auch das sichere Einkommen. Ich konnte meine Miete bezahlen, aber viel mehr blieb nicht. Aber ich habe schon lange gezögert, ich kann es ja ehrlich sagen: Es schadet der Sololaufbahn.

Der Marktwert leidet?

Sie kommen in eine Schublade. Ich hatte die Stelle gerade mal eine Woche, da riefen bei mir alle möglichen Top-Orchester an: Wollen Sie bei uns aushelfen? Als Solisten hätten die mich nicht mehr eingeladen.

Und wie hat das RSB reagiert, als Sie nach einem Jahr wieder gegangen sind?

Sie haben es absolut verstanden. Das RSB liegt mir auch sehr am Herzen, es ist ein total nettes Orchester, das hat mir den Abschied schwer gemacht. Aber man kann halt nicht alles machen.

Aber warum setzen Sie jetzt nicht ganz auf die Solo-Karriere, warum die Professur?

Erstens habe ich mich vor dem Wettbewerb darauf beworben. Und zweitens macht es großen Spaß. Man lernt ja auch für sich eine Menge, das ist das Tolle am Unterrichten. Karriere und Unterrichten schließen sich zum Glück nicht aus. Wenn ich meine Lehrer anschaue: Pergamenschikow, Schiff, Rivinius, und das gilt auch für Rostropowitsch – die haben alle unterrichtet und gleichzeitig viel gespielt. Gut, sie waren nicht jeden Montag um neun in der Hochschule, aber das spielt auch nicht die große Rolle. Sie haben etwas weitergegeben.

Auch Sie werden nicht jeden Montag morgen in Rostock sein können.

Das weiß die Hochschule, aber ich würde behaupten, meine Schüler bekommen zur Zeit sogar mehr Unterricht, als ihnen zusteht. Einfach aus meiner eigenen Erfahrung heraus: egal ob Semesterferien oder nicht – wenn ich Zeit habe, unterrichte ich. Und wenn ich irgendwo unterwegs bin und ein Student spielt da auch gerade mit einem Orchester oder macht eine Mucke, dann unterrichte ich. Das ist alles ziemlich flexibel. Natürlich gibt man etwas Freiheit auf. Aber ich kann mich gut erinnern an Phasen, wo ich zu Hause gesessen habe und dachte: Mensch, zwei Wochen kein Konzert, was mache ich jetzt?

Wird man süchtig?

Das ist eine Typfrage. Ich persönlich, glaube ich, nicht, dazu bin ich zu gesellig. Man fragt sich natürlich ständig, was stellt man mit seinem Leben an, wie kriegt man alles unter einen Hut, man ist viel unterwegs, Freizeit und Hobbys sind zur Zeit eher Fremdwörter. Das hat etwas Süchtig-Machendes, aber ich bin kein Workaholic. Am Ende muss man das machen, was einen weiterbringt, was einem Freude macht und anderen hoffentlich auch.

Woran liegt es, dass so viele junge Cellisten den Markt beherrschen – und sich nur so wenige über 40 behaupten können?

Ist das nur bei Cellisten so? Ich weiß nicht, der Jugendwahn schlägt überall zu. Rostropowitsch hatte viele tolle Schüler, die alle unterrichten, und auf einmal haben Sie viele tolle Cellisten herumlaufen. Es liegt schon viel an Pergamenschikow und Geringas in Berlin, an Heinrich Schiff in Wien und Frans Helmerson in Köln – die haben viele gute Leute ausgebildet. Als Schüler wollte ich immer in New York studieren, aber als es soweit war, war klar: Ich muss nach Berlin. Da kommen die guten Cellisten her. Das waren zwei Top-Klassen, das war ein enormer Ansporn.

Ist denn der Markt groß genug für so viele Cellisten?

Natürlich wird die Luft nach oben hin dünner, alle kämpfen um die gleichen Fleischtöpfe. Und trotzdem geht man mit allen ein Bier trinken und trifft sich auf den Cellofestivals. Ich glaube, Cellisten sind eher ruhige Tiere.

Als Sie nach Ihrem Motorroller-Unfall drei Monate den Arm in Gips hatten – haben Sie sich da Alternativen überlegt?

Natürlich. Das Kahnbein ist der am langsamsten heilende Knochen im ganzen Körper, und oft heilt er nicht oder so langsam, das er nicht wieder völlig gesund wird. Ich bin nicht wirklich zu einem Entschluss gekommen, was ich statt des Cellospiels gemacht hätte. Ich habe mir überlegt, was mir in der Schule Spaß gemacht hat: Sprachen, Geschichte, Schreiben. Damit kann man alles machen.

Wann kommen Sie überhaupt dazu, neue Stücke zu lernen?

Die Zeit muss man sich einfach nehmen. Wenn ich den Tag über unterrichtet habe, weiß ich: Abends muss ich mich noch drei Stunden mit dem neuen Werk beschäftigen. Darüber denke ich gar nicht nach. Dann und dann muss ich es spielen, und da muss ich es draufhaben. Ich gucke mir neue Stücke ein paar Monate vorher an, um zu checken, wieviel Zeit ich brauchen werde. Beim Ligeti-Konzert reichen auch vier Monate nicht, vor allem, weil man nicht mehr jeden Tag viel Zeit zum Üben hat, da muss man echt ran, aber andere Stücke lernt man sehr schnell.

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