Vom New Yorker Nightlife auf die großen Opernbühnen der Welt: Jonathan Tetelman ist zweifelsohne einer der aufsteigenden Sterne am Opernhimmel und sorgt derzeit mit seinem kraftstrotzenden Tenor diesseits und jenseits des Atlantiks für Furore. Doch nicht nur stimmlich gibt sich der junge US-Amerikaner mit chilenischen Wurzeln außergewöhnlich, auch sein Weg ist im wahrsten Sinne des Wortes nicht immer klassisch verlaufen.
Herr Tetelman, in einem Interview haben Sie mal gesagt, dass Ihre Lieblingsaufnahmen Michael Jacksons „Thriller“ und Steely Dans „Aja“ seien, als Ihr größtes Konzerterlebnis nannten Sie Earth, Wind and Fire. Ist in Ihnen doch ein Popstar verloren gegangen?
Jonathan Tetelman: Jedes Mal, wenn ich unter der Dusche singe, bin ich davon überzeugt, dass ich ein großartiger Popstar geworden wäre (lacht). Aber ich glaube, der extreme Lebensstil wäre nichts für mich. Als Opernsänger jeden Monat in einer anderen Stadt zu sein, ist schon manchmal hart, aber als Popstar jeden Tag woanders zu sein, das ist zu anstrengend für Körper und Geist. Da gehe ich lieber hin und wieder in die Karaoke-Bar, das genügt mir vollkommen.
Wie sind Sie denn zur klassischen Musik gekommen? Es gibt für Sie ja offenbar noch jede Menge andere Musikrichtungen …
Tetelman: Vor allem einfachere! Aber die Klassik hat mich gepackt, als ich etwa sieben oder acht Jahre alt war. Damals trat ich in einen Chor ein, besuchte später auch eine Chorschule und verstand zum ersten Mal, was klassische Musik wirklich bedeutet und auch, was es bedeutet, ein klassischer Musiker zu sein. Konzerte geben mit Sinfonieorchestern und großen Dirigenten, auf den Bühnen der ganzen Welt auftreten – das hat mich begeistert.
Ursprünglich kommen Sie aus Chile, wurden im frühsten Kindesalter adoptiert und sind dann in den USA aufgewachsen. Haben Sie noch Verbindungen zu Ihrem Heimatland?
Tetelman: Nun, es war eine geschlossene Adoption, daher weiß ich nichts über meine leibliche Familie. Aber wer weiß, vielleicht wird sich das eines Tages ändern. Ich fände es schön. Jetzt, wo ich selbst eine kleine Tochter habe, ist der Ansporn auf jeden Fall wieder größer, etwas über meine Wurzeln und all diese Dinge zu erfahren. Ich habe auch mal versucht, einen chilenischen Pass zu bekommen, aber das wurde abgelehnt.
Heute sind Sie in der ganzen Welt unterwegs. Macht es in puncto Opernkultur für Sie einen Unterschied, ob Sie in den USA oder in Europa auf der Bühne stehen?
Tetelman: Auf jeden Fall! Und zwar in vielerlei Hinsicht. In den Vereinigten Staaten ist Oper viel mehr auf Unterhaltung ausgerichtet und weniger auf diese Art von kultureller Ausdruckskraft, wie es etwa in Europa der Fall ist. Deshalb werden in amerikanischen Inszenierungen auch häufig weniger Risiken eingegangen; die künstlerische Freiheit wird nicht so extrem ausgereizt. Hinzu kommt, dass die Opernhäuser in den USA unglaublich groß sind. Das Haus in San Francisco beispielsweise, wo ich kürzlich mein Debüt hatte, hat rund 3.200 Plätze. So etwas gibt es in Europa nicht. Die Oper in Paris kommt da gerade so in die Nähe, aber das sind insgesamt ganz andere Maßstäbe.
Hat sich Ihr persönliches Opernleben während der Pandemiejahre verändert?
Tetelman: Meine Karriere hat während der Corona-Zeit überhaupt erst richtig Fahrt aufgenommen. Meinen großen Durchbruch hatte ich 2021 als Paolo in „Francesca da Rimini“ an der Deutschen Oper Berlin, eine Partie, die ich dort auch in diesem Jahr wieder singen werde. Das war ein wirklich großer Moment für mich. Natürlich musste auch ich mit Rückschlägen durch die Pandemie fertig werden. Aber Tenöre sind zum Glück immer viel gefragt.
Auf Ihrem Instagram-Kanal sieht man Sie unter anderem beim Tauchen, Fallschirmspringen, Skifahren, Reisen – suchen Sie stets das Abenteuer?
Tetelman: Schon meine Großmutter legte mir ans Herz, jede Gelegenheit zu nutzen und immer das Beste draus zu machen. Wenn man sich etwas Zeit nimmt, kann alles ein Abenteuer sein. Ich glaube, es ist auch wichtig, dass man als Schauspieler und Sänger möglichst viel erlebt und sieht von der Welt. Man muss wissen, wie sich das Leben anfühlt, das hilft auch auf der Bühne. Und es hält einen jung. Wer rastet, der rostet, sagt auch Placido Domingo.
Früher haben Sie zwischenzeitlich Ihr Geld als DJ in New Yorker Nachtclubs verdient. Wie kam es damals zu dieser, wie Sie es einmal nannten, „Quarterlife Crisis“?
Tetelman: Ich lernte ursprünglich Bariton an der Manhattan School of Music, nach einer Weile wurde jedoch klar, dass man mich ins falsche Fach gesteckt hatte. Also musste ich mich auf Tenor umstellen. Dieser Wechsel vom sehr vollen, stimmlich sehr dicken Bariton zum eher dünneren Tenor braucht viel Zeit. Ich bemerkte zu lange keine Fortschritte und gab es auf. Also habe ich mir eine kleine Auszeit genommen und etwas Neues ausprobiert, und ich war auch gar nicht schlecht als DJ. Es war eine tolle Zeit. Ich meine, es ist die New Yorker Nachtclubszene; da lernt man Leute aus der ganzen Welt kennen.
Legen Sie heute noch manchmal auf?
Tetelman: Nein, ich habe mein gesamtes Equipment weggegeben. Kalter Entzug. Das war die einzige Möglichkeit, damit aufzuhören.
Wie kamen Sie zu diesem Entschluss?
Tetelman: Wissen Sie, selbst als DJ habe ich den Leuten immer gesagt, ich sei eigentlich ein ausgebildeter Opernsänger. Und die Leute sagten dann: Oh, wann und wo singen Sie denn Oper? Ich konnte darauf aber nie eine Antwort geben. Irgendwann habe ich in den Spiegel geblickt und mich gefragt, wem ich hier etwas vormache. Wenn ich ein Opernsänger sein will, muss ich auch versuchen, einer zu sein.
Dann aber als Tenor.
Tetelman: Ja. Ich meine, wenn ich die Wahl hätte, wäre ich wahrscheinlich Bariton geblieben. Aber danach geht es nicht, man kann sich das nicht aussuchen. Es ist wie bei Harry Potter: Der Zauberstab sucht sich den Zauberer. Nicht umgekehrt.
Nun haben Sie den Wechsel erfolgreich vollzogen. Tenöre gelten ja laut Klischee mitunter als allürenbehaftete Persönlichkeiten. Haben Sie irgendwelche „typischen“ Tenor-Macken?
Tetelman: Eine meiner größten Tenor-Macken ist wahrscheinlich, dass ich ein totaler Technik-Nerd bin. Ich liebe es, über die Stimme und die Stimmtechnik zu philosophieren, sie zu verstehen und zu trainieren. Ich habe sogar einen Gruppenchat mit ein paar Kollegen, in dem wir uns nur über Stimmtechnik austauschen und uns gegenseitig Videos schicken.
Ist das intensive Stimmtechniktraining vielleicht der Grund, warum Sie in der Presse einmal als „Stimme mit Sixpack“ bezeichnet wurden?
Tetelman: Oh, ich hoffe, dass niemand unter mein Hemd schaut, denn da gibt es nichts, was dieser Betitelung gerecht wird (lacht). Ich habe auf jeden Fall viele Vorbilder, zu denen diese Beschreibung einer besonders maskulinen, „muskulösen“ Stimme auch gut passt, etwa Mario Del Monaco, Enrico Caruso oder Franco Corelli. Vielleicht hat das etwas auf mich abgefärbt. Auch wenn diese großen Sänger nicht mehr leben, kann ich noch viel von ihnen lernen. Auch die etwas leichteren Sänger – Gigli, Lauri-Volpi oder Pavarotti – studiere ich genau, einfach um die gesamte Dimension des Klangs zu erfassen. Man will ja nicht die ganze Zeit mit seinem Gesang auf das Publikum einprügeln, sondern man will auch eine gewisse Intimität, Eleganz und Schönheit versprühen.
Noch ein letzter Punkt: Ich habe gehört, dass Sie den Moonwalk können. Werden Sie ihn eines Tages auf der Opernbühne zeigen?
Tetelman: Wer weiß! Es müsste natürlich die richtige Inszenierung sein. Vielleicht sollten wir dazu mal Barry Kosky fragen.
Do, 19. Dezember 2024 19:00 Uhr
Puccini: La bohème
Christine Mielitz (Regie)