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Interview Jörg Endebrock

„Ein Lebenstraum, der in Erfüllung geht“

Jörg Endebrock, der neue Kantor und Organist von St. Michaelis, schwärmte schon als Student von der Hamburger Hauptkirche.

vonMaximilian Theiss,

Mit dem Jahreswechsel wurde an St. Michae­lis eine neue kirchenmusikalische Ära eingeläutet, als Jörg Endebrock die Nachfolge von Christoph Schoener antrat. Doch schon vor seinem Einstand hatte Endebrock eine besondere Beziehung zur Stadt an der Elbe.

Hamburg ist Ihnen nicht ganz unbekannt: Sie haben hier Kirchenmusik studiert.

Jörg Endebrock: 23 Jahre ist das schon her.

Wie hat sich die Stadt verändert?

Endebrock: Zum Positiven! Man staunt, was aus manchen Ecken geworden ist – nicht nur aus der neuen Hafencity, sondern überhaupt aus der ganzen Innenstadt.

Wie war’s denn damals, als Student, in Hamburg?

Endebrock: Ich stamme ja aus der Nähe von Osnabrück, und in dem Moment, als ich aus dem Zug stieg, hatte ich sofort das Gefühl, hier zu Hause zu sein, als wäre das hier meine Heimatstadt. Das hat sich eigentlich bis heute nicht geändert. Auch das Studium selbst war wundervoll. Die Musikhochschule an der Außenalster ist für mich der traumhafteste Ort, wo man studieren kann. Und ich hatte großartige Lehrer: Rose Kirn, die mich an der Orgel sehr geprägt hat, und auch am Klavier Caroline Kirchhoff-Banfield. Das sind eigentlich die beiden, von denen ich am meisten gelernt habe.

Wie war zu dieser Zeit Ihre Beziehung zum Michel?

Endebrock: Ehrfürchtig! Ich war hier öfters bei Orgelkonzerten und durfte auch meine Abschluss-Prüfung in dieser Kirche machen. Das war schon ein überwältigendes Erlebnis. Und jetzt, Jahre später als Kantor am Michel, kommen immer wieder Leute auf mich zu, die sich noch daran erinnern, dass ich als Student wohl immer davon geträumt habe, eines Tages hier mal zu arbeiten. Es ist in der Tat ein Lebenstraum, der hier in Erfüllung geht.

Angefangen hat Ihre kirchenmusikalische Karriere als Einspringer in Ihrer Heimatgemeinde …

Endebrock: … ohne irgendwelche Erfahrung an der Orgel! Ich habe als Jugendlicher Klavier und Oboe gespielt und wollte später mal Oboist werden. Dann wurde aber der Dorforganist krank, und man trat an mich heran, ob ich denn nicht den Gottesdienst begleiten wollte. So kam ich an die Orgel und war nach vier Stunden Üben noch immer hingerissen. Das hat mich zum Nachdenken gebracht, denn bei der Oboe hatte ich oft schon nach einer halben Stunde keine Lust mehr zu üben. Und an der Orgel konnte ich gar nicht mehr aufhören damit. Ja, und dann ging alles Schlag auf Schlag und ich wollte Kirchenmusiker werden.

War es denn das Üben im Kirchraum oder das Instrument, das Sie so eingenommen hat?

Endebrock: Die Kombination vielleicht: einerseits dieses Gefühl, als einzelner Mensch so große Klangmassen zu bewegen und diesen großen Raum mit Tönen zu füllen, andererseits aber auch dieses nächtliche Üben, wenn man die Kirche ganz für sich allein hat.

Was ist aus der Oboe geworden?

Endebrock: Die habe ich an den Nagel gehängt. Das kann man leider nicht nebenher pflegen. Man muss jeden Tag um die zwei Stunden üben, sonst macht das keinen Sinn.

Jörg Endebrock
Jörg Endebrock

Als Organist sind Sie später viel herumgekommen.

Endebrock: Die ersten Jahre nach meinen Abschlüssen in Hamburg und Paris habe ich relativ viel gespielt, in Südfrankreich, Holland, auch in der Westminster Cathedral in London. In den letzten Jahren habe ich mich mehr und mehr in Richtung Chor entwickelt.

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Was fasziniert Sie so an der Chorleitung?

Endebrock: Ich arbeite sehr gerne mit singenden Menschen. Es ist für mich sehr befriedigend, aus einer heterogenen Masse von Menschen eine Einheit zu formen. Jeder hat eine eigene Stimme, aber alle wollen dasselbe – dann entsteht eine große Magie, die die Belohnung ist für viele Monate Arbeit.

Klingt so, als ob bei Chorleitern Geduld eine unabdingbare Tugend ist.

Endebrock: Ja! Und ein gutes Maß an Sturheit. Ich bin von Sternzeichen Stier, und das merkt man auch. Ich verliere selten die Beherrschung, bin aber unglaublich dickköpfig. Dadurch habe ich die Chorsänger musikalisch immer dorthin bekommen, wo ich sie haben wollte (lacht).

Als Kirchenmusiker muss man sich intensiv mit einzelnen Orgeln und der speziellen Akustik von Kirchenräumen auseinandersetzen, als Chorleiter hat man gleichzeitig Fachmann in Stimmbildung zu sein, dann werden einem noch Improvisationsfähigkeiten abverlangt. Muss man sich permanent weiterbilden und weiterentwickeln in Ihrem Beruf?

Endebrock: Es ist zumindest wünschenswert. Und es gibt tausend Möglichkeiten, wo man sich weiterentwickeln kann. Ich lese wahnsinnig viel über die Werke, die ich gerade aufführe. Oft reise ich auch an die Orte, wo die Komponisten gelebt haben, als sie das betreffende Werk komponiert haben. Ich weiß nicht, ob es eine Auswirkung auf die Interpretation hat. Andererseits: Zu Verdi beispielsweise fehlte mir lange Zeit der Zugang, aber als ich während der Erarbeitung seines Requiems seinen Landsitz besichtigte, wurde der Komponist mir plötzlich nah. Danach hatte ich einen ganz anderen Zugang zu dem Stück. Auch als wir Edward Elgars „Dream of Gerontius“ einstudiert haben, war ich in dem Haus, in dem der Komponist aufgewachsen ist. Für mich sind solche Exkursionen hilfreich, um einen intensiveren Zugang zu den Werken und ihren Schöpfern zu bekommen.

Lesen Sie auch Komponistenbiografien?

Endebrock: Ja, sehr viele, momentan eine 900-seitige Biografie über Poulenc auf Französisch – das ist ganz schön viel Arbeit!

Poulencs „Stabat mater“ dirigieren Sie am Karfreitag, am Palmsonntag davor spielen Sie Bachs Matthäus-Passion, im Juni steht, nach der Aufführung einiger Bach-Kantaten, ein Chorkonzert in der Elbphilharmonie an. Haben Sie angesichts dieses Pensums Muffensausen?

Endebrock: Das nicht, aber die nächsten Wochen sind in der Tat sportlich. Anderseits ist die Matthäus-Passion dem Chor ja gut bekannt. Aber das Karfreitagsprogramm ist natürlich sehr anspruchsvoll, zwei schwere Stücke. Der Chor ist allerdings von der Klangschönheit und der emotionalen Ausdruckskraft von Poulencs „Stabat mater“ und Boulangers „Psalm 130“ total begeistert und das beflügelt den Ehrgeiz, das zu bewältigen.

Sie haben ein sehr breites Repertoire, dennoch nimmt Bach bei Ihnen eine besondere Stellung ein.

Endebrock: Bach ist natürlich das große Vorbild für alle Kirchenmusiker, allein sein Orgelwerk ist unfassbar toll. Das war ja Bachs Lieblingsinstrument und das merkt man den Stücken auch an. Natürlich ist da die Liebe sehr stark, wobei ich ihn nicht als meinen Lieblingskomponisten bezeichnen würde. Mein Herz schlägt eher für die Spätromantik und die frühe Moderne, sagen wir mal von 1850 bis 1930. Das ist die Epoche, in der ich mich am wohlsten fühle. Aber ich liebe auch frühbarocke Musik.

Wenn Bach nicht zu Ihren Lieblingskomponisten gehört – wer ist denn dann Ihr Lieblingskomponist?

Endebrock: Meistens ist gerade das Stück, das ich aufführe, meine Lieblingskomposition. Aber zu den Komponisten: Ich liebe – unter vielen anderen Komponisten – Jean Sibelius, der leider wenig für Chor geschrieben hat. Und ich muss zugeben: Ich bin ein Wagnerianer. Besonders nahe liegt mir vor allem auch Robert Schumann, dessen Oratorium wir in der Elbphilharmonie aufführen werden. Das wollte ich schon lange machen, aber es ist halt kein geistliches Stück. Da ist das bevorstehende Konzert im weltlichen Konzertsaal ein willkommener Anlass. Das Oratorium wurde lange als kitschig, süßlich und sentimental belächelt und geriet völlig in Vergessenheit – zu Unrecht, denn es ist eines der großartigsten Werke für Chor und Orchester!

Freuen Sie sich denn auf die Elbphilharmonie?

Endebrock: Das ist natürlich eine eine besondere Ehre. Und nach dem, was man so alles liest, habe ich davor, wie Sie vorhin sagten, schon etwas Muffensausen. Trotzdem bin ich ganz in freudiger Erwartung, was da auf mich zukommt.

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