Joana Mallwitz’ umjubeltes Debüt bei den Salzburger Festspielen – es stand Mozarts „Così fan tutte“ auf dem Plan – bestätigte aufs Neue, dass die gebürtige Hildesheimerin die Dirigentin der Stunde ist. Vor den Probenarbeiten hatte sie noch Zeit für ein Interview.
Frau Mallwitz, anstatt zu dirigieren, mussten Sie sich das Frühjahr über mit den Corona-bedingten Umstruktierungen am Nürnberger Staatstheater befassen.
Joana Mallwitz: Wir alle mussten uns erst einmal in dieser neuen Situation orientieren und die größten Feuer löschen. Im zweiten Schritt haben wir damit begonnen, neue Programme und Konzertformate zu kreieren, die auf die Umstände Rücksicht nehmen und so die Staatsphilharmonie Nürnberg überhaupt wieder zum Spielen bringen. Im Herbst hätten wir eigentlich die Spielzeit mit der „Frau ohne Schatten“ eröffnet, in der Regie unseres Intendanten Jens-Daniel Herzog. Stattdessen steht jetzt Monteverdis „L’Orfeo“ auf dem Spielplan, wofür ich zusammen mit dem Komponisten Frank Löhr eine eigene Nürnberger Fassung arrangieren werde.
Wie verlief der Weg dorthin? Vermutlich gab’s viele Videokonferenzen …
Mallwitz: Wir standen auch nach der Schließung in engstem Austausch mit täglichen gemeinsamen Planungskonferenzen. Diese Pläne mussten oft am nächsten Tag wieder umgeworfen werden, weil sich auch die Vorgaben der Ministerien und Gesundheitsämter täglich – um nicht zu sagen: stündlich – geändert haben. Deshalb haben wir auch zunächst einmal nur verkündet, was wir im September und Oktober spielen, damit man sich offenhalten kann, wie es überhaupt weitergeht. Danach werden wir immer im Zweimonatsrhythmus unseren Spielplan veröffentlichen.
Klingt so, als wären Sie in den letzten Wochen eher Kulturmanagerin als Dirigentin gewesen.
Mallwitz: Absolut! Dirigieren war gar nicht, Musik nur wenig, stattdessen viel Stille und gleichzeitig riesiger Stress – ich habe nicht gedacht, wie stressig Stille sein kann (lacht)! Täglich war man von morgens bis nachts mit Telefonkonferenzen, Emails und Planungen beschäftigt. Normalerweise wird ja fast nirgends so schnell gehandelt wie im Theater- und Kulturbetrieb. Da werden Entscheidungen getroffen und dann passiert das. Jetzt dauert alles viel länger, weil jeder Schritt bei den zuständigen Ämtern eingereicht und geprüft werden muss.
Was wollen die denn wissen?
Mallwitz: Wir müssen beispielsweise klarstellen, wie viele Musiker und wie viele Zuschauer wir für unsere Veranstaltungen vorsehen können, wo und mit wieviel Abstand wir sie platzieren dürfen, die Auf- und Abtritte müssen genauestens organisiert werden, noch schwieriger gestalten sich Einlass, Aufenthalt und Pausen für das Publikum. Alles muss abgestimmt und gewissenhaft durchgeplant werden, bis hin zur Desinfektion der Notenständer. Von den Gesundheitsämtern kommen die allgemeinen Maßgaben, aber wir Kulturschaffenden haben die Verantwortung, selber konkrete Vorschläge zu entwickeln, wie dies in der Praxis und im laufenden Betrieb aussehen könnte: Und all diese Vorschläge werden dann von den Ämtern geprüft und im besten Falle abgesegnet.
Bereits im April konnten Sie und die Staatsphilharmonie aber schon die erste digitale Ausgabe Ihrer in Nürnberg so beliebten Reihe der „Expeditionskonzerte“ geben.
Mallwitz: Das Konzert haben wir schon ganz am Anfang des Shutdowns mit riesigem Aufwand produziert. Am Ende hatten wir im Video etwa zwei Minuten mit Tutti-Musik. Diese kurze Passage haben wir an drei ganzen Tagen aufgenommen, in einzelnen kleinsten Gruppen, die später audiotechnisch übereinandergelegt wurden. So etwas würde man natürlich nie machen in normalen Zeiten. Aber es war unglaublich wichtig. Es hat uns auch gezeigt, was geht und wie wir weitermachen können.
War ja auch ein voller Erfolg.
Mallwitz: Es ist, glaube ich, sehr gut angekommen. Ehrlich gesagt bin ich persönlich ein bisschen skeptisch mit Streams oder habe mich zumindest in der Vergangenheit immer gewehrt, dass Konzerte einfach mitgeschnitten oder veröffentlicht werden. In diesem Fall war daher mein großer Wunsch, dass man nicht versucht, einen Konzertersatz zu schaffen, sondern ein neues Format findet, das neugierig macht auf die echten Live-Konzerte. Meine Hoffnung ist also, dass zu Hause jemand das Video sieht und danach irre Lust hat, sobald es wieder möglich ist, ins Konzert zu gehen und sich Beethovens Siebte live anzuhören. Ich glaube, das haben wir ganz gut geschafft. Wir werden jetzt mehr Folgen davon machen.
Und im Herbst soll es dann wieder richtig mit den Liveveranstaltungen losgehen, Sie hatten schon die Premiere von „L’Orfeo“ erwähnt. Ist Frühbarock eine neue Erfahrung für Sie?
Mallwitz: Das ist schon ein neues Gebiet für mich. Ich liebe diese Musik über alles, aber dirigiert habe ich sie tatsächlich noch nicht, weshalb ich wie wild am Lesen bin und Gespräche führe mit Menschen, die in dieser Welt viel mehr drinstecken als ich. Rein inhaltlich passt diese Oper verblüffend gut in die jetzige Zeit. Das Stück beginnt mit der Hochzeitsgesellschaft, jeder ist happy und zufrieden, doch plötzlich wird man da rausgerissen in die Einsamkeit. Außerdem ist „L’Orfeo“ die erste Oper der Musikgeschichte – zumindest betrachtet man sie landläufig als solche. Sie steht also auch für einen Neubeginn, und das war Jens-Daniel Herzog und mir wichtig. Wir wollten bloß kein Notfallprojekt auf die Bühne bringen, sondern eine künstlerische Antwort auf das Jetzt finden.
Und dafür eine eigene Fassung kreieren …
Mallwitz: … die mit größtem Respekt und Kenntnis der Tradition begegnet, aber auch den Bogen schlägt und dieses Stück für ein Sinfonieorchester öffnet und die natürlich die aktuellen Sicherheitsvorgaben erfüllt, was bei Monteverdi besonders gut funktioniert – nehmen wir die Echo-Effekte, die der Komponist nutzt: Wir dürfen ja ohnehin nicht einfach achtzig Leute in den Orchestergraben lassen, und bei „L’Orfeo“ können wir sie akustisch reizvoll im ganzen Theaterraum verteilen.
In Nürnberg haben Sie neue Konzertformate etabliert, die Karten für Opern- und Konzertvorstellungen verkaufen sich so gut wie lange nicht mehr, letztes Jahr wurden Sie von der Zeitschrift Opernwelt zur „Dirigentin des Jahres“ gewählt – selbst ohne die Pandemie hatten sie zwei sehr ereignis- und erfolgreiche Jahre in Nürnberg. Wie lautet denn Ihr Fazit?
Mallwitz: Nach meiner Zeit in Erfurt hatte ich gar nicht unbedingt vor, sofort wieder eine Chefstelle anzunehmen. Doch während meines Vordirigats in Nürnberg hatte ich plötzlich das Gefühl, dass bei diesem Orchester die Chemie stimmt, dass ich mit diesen Menschen Musik machen möchte. Und dieses Gefühl hat sich mehr als bestätigt! Wir hatten im ersten Jahr einen tollen, erfolgreichen Start, hatten auch viel Aufmerksamkeit, im zweiten Jahr sind wir dann auf eine Rekordspielzeit zugelaufen, als plötzlich dieser Vollstopp kam. Gerade in dieser Krise hat sich dann gezeigt, wie viele Ideen aus dem Orchester kommen, wieviel Input, wieviel Motivation. Wie sehr dafür gearbeitet wird, um wieder zu spielen. Ich liebe dieses Orchester einfach!
Auch nicht gerade kurz waren ihre Stationen in Hannover als Frühstudentin sowie in Heidelberg und in Erfurt. Von Zwischenstopps könnte man da nicht reden …
Mallwitz: Ich bin mit 19 nach Heidelberg gegangen und war dort fünf Jahre lang Korrepetitorin und Kapellmeisterin. Und wie das mit jedem jungen neuen Theatermitglied ist, macht man erst mal alles, man ist quasi 23 Stunden am Tag im Theater, das vereinnahmt einen total. Das war also im besten Sinne mein Zuhause. Erfurt natürlich auch, da hatte ich meine erste Chefstelle. Ich scheine tatsächlich jemand zu sein, der sich an einzelne Orte länger bindet, auch wenn das nie so geplant war.