Ohad Ben-Ari, Sie sind in Israel geboren, seit wann leben Sie in Deutschland?
Ohad Ben-Ari: Inzwischen bin ich seit elf Jahren in Berlin. Davor bin ich viel zwischen Tel Aviv, den USA und Deutschland gependelt und habe in den neunziger Jahren in Frankfurt studiert.
Ist Deutschland heute ein guter Ort für israelische Musiker?
Ben-Ari: Ich denke schon, denn es gibt hier sehr viel Raum für Kunst, sowohl im geistigen als auch im physischen Sinne. Künstlerinnen und Künstler können Ideen entwickeln und umsetzen und genauso gibt es für Instrumentalisten viele Möglichkeiten, etwa in den Orchestern. Wobei sich aufgrund steigender Mietpreise langsam der für Künstler bezahlbare Wohnraum verringert.
Wie sieht es mit dem Freiraum für Künstler in Israel aus?
Ben-Ari: Es gibt in Israel viele Talente und ein reges Kulturleben. Aber es ist ein kleines Land, man muss viel mehr für seine Kunst kämpfen. Die öffentliche Unterstützung ist eher gering, zudem ist das Leben in der Metropole Tel Aviv nicht billig. Und die Atmosphäre ist immer stark davon beeinflusst, wie die verschiedenen Völker in Israel miteinander zurechtkommen. Als ich in den neunziger Jahren von Israel aus nach Deutschland gegangen bin, wurde das übrigens noch ganz anders wahrgenommen als heute.
Was war damals anders?
Ben-Ari: Zum Studium nach Deutschland zu gehen war gerade noch „koscher“, aber komplett auszuwandern, Deutschland sein neues Zuhause zu nennen, war in den Augen vieler Menschen in Israel ein Tabu. Heute dagegen ist eine Emigration nach Deutschland nicht mehr so negativ belegt, es hat sich auch rumgesprochen, dass Berlin ein guter Ort für Kultur ist, wo man von der Kunst leben kann.
Inwiefern wurden Sie von Landsleuten unterstützt, als Sie nach Deutschland kamen?
Ben-Ari: Als ich nach Berlin kam, hatte ich bereits ein existierendes Netzwerk, ich arbeitete zum Beispiel schon lange mit Guy Braunstein zusammen. Über die Jahre habe ich auch viele neue Musiker und andere Künstler kennen gelernt, Tänzer, Autoren, Philosophen, Schauspieler… Manche von Ihnen sind mittlerweile wieder zurück in Israel, andere sind gekommen – die israelische Gemeinde in Deutschland ist sehr dynamisch.
Wissen Sie auch von Künstlern, die Deutschland aufgrund antisemitischer Vorfälle verlassen haben?
Ben-Ari: Nein. Ich persönlich habe solche Vorfälle auch noch nicht erlebt in den fünfzehn Jahren, die ich insgesamt in Deutschland verbracht habe. Ich fühle mich hier sicherer als in Israel. Vor ein paar Wochen telefonierte ich mit meinen Eltern, als diese gerade in Tel Aviv im Schutzkeller saßen, weil aus Gaza hunderte Raketen abgeschossen wurden.
Mussten Sie in Israel seinerzeit zum Militär?
Ben-Ari: Ja, aber nicht die üblichen drei Jahre lang. Denn nach einem Jahr Dienst hatte ich am Arthur Rubinstein-Wettbewerb teilgenommen und dessen Ergebnis folgend haben die militärischen Behörden beschlossen, meinen Dienst zu kürzen. Wobei ich durchaus gerne beim Militär gewesen bin, das gehört zum Israelitum dazu, meine Eltern und meine Schwester hatten ebenfalls ihren Wehrdienst geleistet.
Was sind für Sie heute Merkmale israelischer Kultur?
Ben-Ari: Ich denke, dass das Aufeinandertreffen von verschiedenen Einflüssen sehr prägend ist für israelische Kultur, die Mischung zwischen Okzident und Orient, zwischen jüdisch und arabisch, zwischen religiös und säkular. Die Juden haben aus der Diaspora ganz verschiedene Dinge mitgebracht, ob aus Russland, Nord- und Südamerika, Afrika, Europa… Das hat viel zur Kultur in Israel beigetragen. Aus all diesen Elementen etwas Neues entstehen zu lassen, das ist vielleicht etwas Israelisches.
Welche Rolle spielt jüdische Identität für Sie?
Ben-Ari: Ich bin sehr säkular erzogen worden, und heute sehe ich die Kunst als meine Religion. Deswegen geht es mir auch sehr nahe, wenn die Kunst verletzt wird, wie wir es in den vergangenen Monaten durch die Corona-Schließungen erlebt haben.
2018 wurde in Hamburg Ihr „Requiem“ uraufgeführt. Wie kam es zu dieser Komposition?
Ben-Ari: Das war ein Auftragswerk für die Hamburger Symphoniker. Auch wenn ich nicht religiös bin, habe ich mich in der Vergangenheit viel mit spirituellen Texten beschäftigt, zum Beispiel aus dem Buddhismus oder Judentum, wodurch ich deren gemeinsame Wahrheit und gemeinsame Botschaft erkennen konnte. Das war für mich die Basis, um die Schönheit der lateinischen Requiem-Texte würdigen zu können.
Sie haben 2015 das israelisch-deutsche „ID-Festival“ gegründet. Inwiefern war es von Corona betroffen?
Ben-Ari: 2020 mussten wir es leider komplett absagen, und 2021 erfuhren wir im Januar, dass die Konzerte nur ohne Publikum stattfinden können. Trotzdem hat es für die Künstlerinnen und Künstler, die vor allem aus der freien Szene kommen und von den Schließungen stark betroffen waren, sehr viel bedeutet, nach so langer Zeit wieder auf die Bühne zu treten. Und von den Zuschauern haben wir viel positives Feedback bekommen.
Im Juli gibt es noch einen Festival-Termin mit Publikum. Was erwartet die Zuschauer bei „Sliding thru the Opera“?
Ben-Ari: Ich gestalte diesen Abend zusammen mit zwei Posaunisten, Tomer Maschkowski und Lars Karlin. Die Geschichte ist, dass wir als Trio eigentlich eine Opernsängerin begleiten, die uns aber im Stich lässt und nicht zum Konzert erscheint. Also spielen wir – the show must go on – einfach ohne sie, bekannte Stücke und Arien aus der Opernwelt, von Mozart, Rossini, Bizet oder Wagner. Es ist ein unterhaltsamer, szenischer Konzertabend, der etwas über uns als Musiker erzählt, der aber auch einen kritischen Blick auf den Kunstbetrieb wirft und darauf, wie Musiker oft geringgeschätzt werden.
Sie nehmen Wagner ins Programm, der in Israel nach wie vor nicht aufgeführt wird. Wie ist Ihre Haltung zu diesem Tabu?
Ben-Ari: Ich versuche nicht, es zu verstehen, aber ich respektiere dieses Tabu und würde es als Musiker in Israel auch niemals brechen. Solange es noch Menschen gibt, deren Gefühle durch so eine Aufführung verletzt werden: Warum sollte ich diese verletzen?