Als international renommierte Interpretin für zeitgenössische Musik muss Sopranistin Sarah Maria Sun nicht nur an ihre stimmlichen, sondern hin und wieder auch an ihre körperlichen Grenzen gehen: Nach einer Vorstellung von Salvatore Sciarrinos „Lohengrin“ zählte sie eine Prellung, eine angerissene Sehne, einen Holzsplitter im Fuß und 84 blaue Flecken. Beweisfotos finden sich auf ihrem mehr als bunten Instagram-Kanal, wo die Sängerin regelmäßig spannende Momente aus Laufbahn und Leben dokumentiert.
Klicken Sie sich durch die Galerie:
Das hier ist im Wiener Konzerthaus. Chaos – mein Mini-Pudel – war sieben Monate alt. Sie begleitet mich seit ihrer 15. Lebenswoche, wir sind also die „Tussies on Tour“. Bei Aufnahmen liegt sie an meinem Mikro-Stativ, bei Konzerten und Vorstellungen ist sie in meiner Garderobe. Es ist deutlich einfacher, den Job zu machen, wenn jemand sich immer auf mich freut, wenn ich von der Bühne komme. Auch wenn ich Takt 364 1/2 vermasselt habe. Meist bin ich auf das weiche Herz-für-Tiere der Administration oder der Pförtner angewiesen, ob sie mit in den Backstage-Bereich darf. Da sie sich als Neue-Musik-Pudel immer exzellent benimmt, gab es noch nie Ärger. Nur in der Hannoveraner Musikhochschule hat sie mal dem Pförtner direkt vor die Füße gekackt. Vermutlich, weil er sie nicht rein lassen wollte. Chaos ist für mich unverzichtbar.
Ein Urlaubsbild. Das war in Schottland, in den Highlands. Mein Mann und ich sind dort zu einer Wanderung aufgebrochen, von der wir gelesen hatten, dass sie zwei Stunden dauern soll. Am Ende aber waren wir achteinhalb Stunden unterwegs, und wir hatten nur einen Liter Wasser und nichts zu essen dabei. Man bekommt eigentlich schnell miese Laune, wenn man hungrig und durstig ist. Aber es gab auch acht Stunden keine nervenden Mitmenschen, nur nette stumme Schafe, Heidekraut und Ginster, und die Hügel leuchteten sensationell hübsch – da konnten wir gar nicht miesepetrig sein. Und das Bier am Abend hat so gut geschmeckt, wie nie zuvor.
Damals war ich jung und sportiv. Wenn ich nicht 10.000 Prozent Energie auf der Bühne ließ, und anschließend mindestens dreißig blaue Flecken zählte, war was falsch. Hier hatte ich die Elsa im „Lohengrin“ von Salvatore Sciarrino gespielt. Erst in Salzburg, später nochmal in der Elbphilharmonie. Das ist ein etwa einstündiges Solostück über eine schizophrene Persönlichkeit. Es war eine prächtige Vorstellung! 84 blaue Flecken, eine Prellung, eine angerissene Sehne und ein Holzsplitter im Fuß (der zwei Jahre zum Herauswachsen brauchte) waren der Beweis. Mittlerweile bin ich eher von gesunder Trägheit.
Nuria Nono-Schoenberg ist die Tochter von Arnold Schönberg und die Frau von Luigi Nono. Es war eine riesige Ehre, sie zu treffen. Sie hat einen solchen Witz und ist so blitzgescheit. Mit ihren beiden Töchtern betreibt sie das Archivio Luigi Nono in Venedig. Im Spätsommer war ich dort eingesprungen, um Nonos „La Fabbrica Illuminata“ im Teatro La Fenice zu singen. Das Stück hatte 60-jähriges Jubiläum, gleichzeitig war es das Jahr des 150. Geburtstags von Schönberg und des 100. Geburtstags von Nono. Ein tolles Event also. Nuria Nono-Schoenberg ist ja quasi selbst ein lebendes Stück Musikgeschichte. Wenn sie aus der Vergangenheit erzählt, merkt man schnell, dass das Leben und Schaffen von Komponisten nicht immer so konsequent und linear vonstatten geht, wie Musikwissenschaftler es hinterher gern aufschreiben.
Mexiko. Hier hatte ich mich mal im Apnoetauchen, also im Freitauchen ohne Sauerstoffflasche versucht. In der Gegend gibt es viele sogenannte Cenoten. Das sind sozusagen Wasserlöcher im Boden, die an unterirdische Wasserläufe angrenzen. Sie haben eine tolle Farbe, und weil es Süßwasser ist, sieht man dort eine ganz andere Artenvielfalt als beispielsweise im Meer. Das Wasser ist natürlich auch viel ruhiger, weil es keine richtige Strömung gibt. Zwanzig, fünfundzwanzig Meter kann man dann durch diese Tunnel im Fels tauchen. Man ist dort unten wie in einer verzauberten Welt.
Das hat Spaß gemacht. Anderthalb Stunden hat es in der Maske gedauert, bis ich so aussah. Stephen Sondheims „Into the Woods“ an der Semperoper Dresden, eines meiner Lieblingsstücke. Es ist tragikomisch, komplex und übermittelt eine wichtige Botschaft: Wir müssen begreifen, dass wir nicht alles haben, sein, oder wissen können. Wie Gerhart Baum, der letzte Liberale, kürzlich sagte: „Verantwortung für den anderen. Liberalismus durch Menschenwürde. Liberalismus durch Vernunft. Aufklärung des Unwissens.“ Freiheit endet dort, wo sie meinem Nächsten Freiheit nimmt – genau davon handelt Sondheims Stück.
Man wandert selig durch den Sächsischen Wald, da steht plötzlich dieses Richard-Wagner- Monument im Weg. Aus den blechernen Lautsprechern wird man, ebenso wie die schöne Natur, mit dem „Lohengrin“-Vorspiel wagnerbeschallt. Eine Zwangs-Wagnerisierung, ein Wagnerbrainwashing gewissermaßen. Da vergeht einem die Lust am Wandern. Ich denke, man sollte eine Triggertraumamissbrauchswarnung einen Kilometer vorher anbringen.
Edith Clever erleben zu dürfen, war ein Geschenk. Sie kommt aus der alten Peter-Stein- Sprech-Schule, Schaubühne, eine Legende. Wir sind zusammen mit Michael und Kai Maertens und vielen anderen tollen, erfahrenen Kolleginnen und Kollegen in der Elbphilharmonie in „My Fair Lady“ aufgetreten. Die Akustik dort im Grossen Saal ist bekanntermaßen schwierig. Edith Clever, die zierliche Dame von über achtzig Jahren, hat ihren Text in ganz normaler Sprechlautstärke gesprochen und man hat bis in die letzte Reihe jedes einzelne Wort verstanden. Ich denke, sie kann zaubern.