Startseite » Interviews » Blind gehört » „Eine Stimme zum Sterben…“

Blind gehört Gerold Huber

„Eine Stimme zum Sterben…“

Der Liedbegleiter Gerold Huber hört und kommentiert CDs von Kollegen, ohne dass er erfährt, wer spielt

vonDorothe Fleege,

Gerold Huber lehnt sich weit aus dem Fenster und winkt aufmunternd: „Hallo, hier herauf, zweiter Stock – aber kein Aufzug …“ In der Wohnung dominiert vor allem einer: der große Flügel, umringt und umrahmt von Spielzeug-Rennautos, Kinder-Fotos und Noten. Im Flur steht bereits sein schmales Reisegepäck: Der Pianist ist offensichtlich kein Mann der großen Koffer. Höflich-charmant bietet er dem Gast den bequemsten Sessel an nebst leckerem Cappuccino – selbst gebraut, nicht aus der Maschine! 

 

 Schumann: Ausgewählte Lieder

 „Du bist wie eine Blume“

 Margret Price (Sopran), James Lockhart (Klavier)

 1983.Orfeo


Fantastisch! Das ist eine wunderbare Stimme, das Timbre ein Traum – aber mir ist es zu einheitlich, vom Inhaltlichen zu gleich … wer könnte das sein? … Margaret Price – als Engländerin so artikulieren zu können, das ist unglaublich! Da hat man doch irgendwie das Gefühl: Uuuhh, solche Stimmen gibt es heute nimmer. Aber es verlässt den Schöngesang nicht, da müsste man doch noch einen Schritt weiter gehen. Doch keine Frage, unglaublich schön. Das ist so eine Stimme zum Sterben …

Wolf: Italienisches Liederbuch, „Schweig› einmal still“

Irmgard Seefried (Sopran), Erik Werba (Klavier)

Deutsche Grammophon

 

Leicht zu erkennen, es handelt sich auf jeden Fall um eine historische Aufnah­me aus dem Italienischen Liederbuch. Ich kenn’ mich allerdings nicht so sehr aus mit den damaligen großen Sopranistinnen … ob es eine Schwarzkopf ist? Ach, es ist die Seefried. So etwas aus den 60er Jahren: Man merkt das ganz deutlich an der Diktion der damaligen Zeit, wo die „Rrrs“ so übertrieben, wo alles fast „altdeutsch“ ausgesprochen wur­de. Heute unterrichtet man eine völlig andere Art der Diktion. Am Klavier ist es sehr trocken, relativ langsam und undramatisch. Brav ist jetzt zu viel gesagt, aber so hat man halt früher begleitet: Zurückhaltend, ja nicht zu sehr störend oder eingreifend, sehr gediegen

Wolf: Italienisches Liederbuch

„Was für ein Lied soll Dir gesungen werden“

Dietrich Fischer-Diskau, Jörg Demus 

   

Dieskau natürlich! Das ist der junge Dieskau, das klingt ganz toll! Da hat er noch eine ganz weiche Tongebung, das mag ich ja wahnsinnig gerne. Zeitlich eingrenzen würde ich das auch in die 60er Jahre … ach, ist das nicht herrlich?! Da hört man auch, dass das noch sehr aktuell ist: Ich selber bin heute nicht weit weg, wenn wir das Italienische Liederbuch machen. Es liegt einfach alles an der Diktion: Die ist im Vergleich zur Aufnahme vorher einfach schon viel weiter entwickelt – obwohl wir in der gleichen Zeit liegen. Dieskau verkörpert da schon eine andere Sängergeneration als die Seefried.

  

Schubert: Winterreise

Jonas Kaufmann (Tenor), Helmut Deutsch (Klavier)

2004. Sony Classical

   

Oh, sehr schnell! … Das hat mir zu wenig Stimmung, fast ein bisschen zu pianistisch gespielt. … Mein Gott, ist ja unglaublich: Jonas Kaufmann? Mein erster Eindruck war: Wer ist denn das – ein Bariton, der so verdunkelt, unten ein bisschen drauf drückt? … Mir rollt es zu schnell ab. Ein bisschen wenig Magie, auch im Klaviervorspiel – das ist dann Helmut Deutsch, nicht wahr? Es ist schon sehr weich, das gefällt mir gut. Man glaubt ja immer, Müllerin sei für den Tenor und Winterreise für den Bariton gedacht, aber das stimmt so nicht: Ein dunkler Tenor für die Winterreise ist gut angelegt. Also, ich habe seinen Fidelio hier in München gehört und hab’ echt gedacht: Ich werd’ wahnsinnig! So etwas habe ich noch nicht gehört – unfassbar! Mit seinen hohen Tönen, das ist wirklich einzigartig. Was mir nicht so gefällt, ist sein Umgang mit der Tiefe: Das Offene, fast etwas Kehlige, das ist nicht so mein Geschmack.

R. Strauss: Lieder, „Herr Lenz“ op. 37/5

Daniel Behle (Tenor), Oliver Schnyder (Klavier)

2012. Capriccio

  

Super gespielt. Das klingt nach jemanden, der ganz viel Strauss gespielt hat und zwar schon lange, da ganz zu Hause ist … könnte auch Helmut Deutsch sein – nein? Dann müssen Sie mir jetzt helfen … Olivier Schnyder? Oh, Entschuldigung, den Namen kenne ich überhaupt nicht. Das Timbre vom Tenor kenne ich gut, das ist der Behle. Das ist sehr gut gemacht, klingt nach wasserdichter Technik. Ich muss gestehen, ich bin jetzt nicht der Fan von den witzigen Strauss-Liedern: Das macht Spaß zu hören, auch Spaß zu spielen, das mache ich ja auch immer wieder einmal – aber, ehrlich gesagt, ich reiße mich nicht unbedingt darum. Viel Geklingel … schon der Gerald Moore hat gesagt, davor würde ihm doch etwas grausen.

Brahms: Lieder, „Therese“ op. 86/1

Jessye Norman (Sopran), Daniel Barenboim (Klavier)

Deutsche Grammophon

  

Ach, ich liebe diese Aufnahme, die habe ich auch: Das ist der Barenboim mit Jessye Norman. Mögen Sie die auch so gerne? Ich habe die gesamte Brahms-Aufnahme mit ihr. Jessye Norman, das ist eine der Stimmen des Jahrhunderts: Wie so eine große Stimme mit so kleinen Sujets umgeht, das finde ich schon sensationell. Ich hätte sie so gern einmal live gehört: Das bedaure ich enorm, dass ich das nicht geschafft habe. Diese Brahms-Aufnahme habe ich ganz früh in meiner Studienzeit kennengelernt und war total begeistert.

 ”Es waren zwei Königskinder“

 Julia Banse (Sopran), Juliane Ruf (Klavier)

 2011.Carus

   

Das ist die Banse, keine Frage. Wenn es einen Sopran gibt, der diese warme Tiefe von einem Mezzo hat, dann ist das die Banse. Die Aussprache ist einfach vorbildlich, ganz modern, natürlich, fast wie ein Schauspieler, der spricht. Sehr schön bei der Aufnahme ist die Balance: dass das Klavier so nah dran ist, dass es wirklich einen Zweiklang gibt, eine Korrespondenz zwischen den beiden. Was mir auch gefällt – darauf lege ich selber im Unterricht auch viel Wert – ist die Beschäftigung mit dem Wort: Wie spreche ich es aus, wie nahe bin ich dann dran, wenn ich es singe. Wenn man so ein natürliches Sujet wie ein Volkslied hat, ist es wichtig, dass es bloß nicht gekünstelt wirkt.

Wolf: Lieder, „Nein, junger Herr“

 Elisabeth Schwarzkopf, Wilhelm Furtwängler

 1953.EMI Classics

 

Das ist natürlich die Schwarzkopf. So würde man heute weder singen noch spielen: Heut’ spielt man das fast doppelt so schnell und ich glaube, das hat auch mit unserem Zeitgeist zu tun… Ist doch spannend, wie sich im Laufe der Jahrzehnte die Gewohnheiten verändern: Früher hat man halt so affektiert gesprochen, am Anfang so ein kleines bisschen „geknödelt“, empfinden Sie das auch so? Ich bin gespannt, wie sich denn „unser“ Zeitgeist einmal entwickeln wird. … Furtwängler am Klavier, der konnte vielleicht auch nicht schneller spielen. Aber, damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich meine das jetzt überhaupt nicht negativ! Denn wo wären wir heute, wenn Musiker wie Raucheisen oder Schwarzkopf nicht so unendlich viel geleistet hätten fürs Liedsingen?! Wer weiß, ob das Lied überhaupt überlebt hätte? Das Kunstlied an sich war ja erst nur im Salon verankert, und Gott sei Dank haben wir heute etablierte Liederabende. Das verdanken wir auch diesen Künstlern.

 Mahler: Frühe Lieder, ”Die zwei blauen Augen“

 Thomas Hampson (Bariton), David Lutz (Klavier)

 Teldec

  

Na, jetzt habe ich doch glatt gedacht, ich bin der einzige, der das mit Klavier aufgenommen hat! Der Sänger ist unglaublich in der Sache, der lebt für das, was er da singt. Da ist sehr viel Empfindung dabei, finde ich ganz toll. Erst hab’ ich gedacht, muss Hampson sein, ist es aber nicht … Waaas? Doch Hampson? … Ich habe das ja tausende Male schon gespielt: Mit dieser hohen Tesitur, die Mahler hier verlangt, ist mir diese Stelle einfach zu kopfig. Da sollte man schon noch eine Mischung zusammenbringen, auch wenn es eine fast unsingbare Stelle ist. Dieser Herausforderung der „Unsingbarkeit“ in den Gesellen-Liedern sollte man sich anders stellen. Wer da Klavier spielt, weiß ich zwar nicht, aber das ist klasse.

Termine

Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!