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Interview Gautier Capuçon

„Mein Instrument hilft mir, Dinge zu verstehen“

Der französische Cellist Gautier Capuçon über die Folgen von Corona, das Fördern junger Talente und die Vielfalt des Repertoires.

vonChristian Schmidt,

Nicht erst seit der Corona-Pandemie haben es Solo­künstler alles andere als leicht, den Anschluss auf dem großen Konzertmarkt zu halten. Dabei lässt es sich nie ganz verhindern, dass sie sich auch über Äußerlichkeiten vermarkten lassen müssen. Damit hat Gautier Capuçon kaum Probleme: Noch auf jedem Album ließ sich der französische Cellist als Beau in Szene setzen – mal mit seinem Motorrad, mal mit Pferd, einstweilen im Schnee, aktuell am Meer vor fabulösem Sonnenuntergang. Doch all das kann kaum darüber hinwegtäuschen, dass der 41-Jährige zuallererst als Musiker auf höchstem Niveau rangiert. Er nimmt eben nicht nur Best-of-Triumphe auf, sondern setzt sich stark für zeitgenössische Musik ein und gründete sogar eine Stiftung, die jungen Talenten das Landen auf eben jenem hart umkämpften Klassik­markt erleichtern soll.

Ihr Konzertkalender sieht sehr voll aus. Haben Sie das vorpandemische Niveau schon erreicht?

Gautier Capuçon: Zurzeit ist es wirklich sehr viel, und seit der Pandemie haben sich natürlich einige Konzerte und Projekte aufgestaut, die nun nachgeholt werden.

Welche Erfahrungen haben Sie in der Corona-Zeit gemacht?

Capuçon: Für die gesamte Kultur war das sicherlich ein tiefer Einschnitt und eine sehr schwierige Situation. Dass zur selben Zeit praktisch alle Konzertsäle auf der ganzen Welt geschlossen waren, hat es ja noch nie gegeben. Bevor der erste Lockdown beschlossen war, hatte ich die Ausmaße so nicht glauben können. Aber mein Charakter ist es nicht, zu beobachten und zu warten. So bin ich viel in Krankenhäuser gegangen, habe für kranke Menschen gespielt oder per Zoom im Programm „Orchestre l’école“, mit dem in Frankreich tausende Kinder zum Erlernen eines Instruments animiert werden.

Mit einigen Kollegen habe ich auch zugunsten des medizinischen Personals gespielt. In Frankreich war es zudem erlaubt, im Freien zu spielen, so dass ich im Sommer 2020 in vielen Dörfern und Kleinstädten 23 Konzerte gegeben habe – programmatisch eher spontan, aber mit großem Erfolg.

Gautier Capuçon hat während der Pandemie für kranke Menschen gespielt
Gautier Capuçon hat während der Pandemie für kranke Menschen gespielt

Aktuell hat sich die Zahl der Konzerte normalisiert, aber kommt das Publikum auch zurück?

Capuçon: In Europa können wir da mehr oder weniger zufrieden sein, wobei es hier sicher von Konzerthaus zu Konzerthaus unterschiedlich ist. Einerseits haben sicher manche Menschen noch Bedenken, in große Hallen zu gehen, andererseits haben andere auch ihre Gewohnheiten geändert. Aber man spürt den Hunger derjenigen, die lange verzichten mussten. In Amerika dagegen ist es sehr viel schwieriger als bei uns, das Publikum zurückzuholen.

Hat es auch damit zu tun, dass Sie im vergangenen Jahr Ihre philanthropische Stiftung für junge talentierte Musiker gründeten?

Capuçon: Die Pandemie hat gezeigt, dass es gerade für junge Menschen noch komplizierter geworden ist, in den Berufsalltag zu starten. Die großen Hallen setzen – sowohl bei den Komponisten als auch bei den Interpreten – auf große Namen, um ihre Säle auszulasten, mit Mainstream gehen sie kein Risiko ein. Wie soll dort aber ein völlig unbekannter neuer Musiker Erfolg haben? In unserer Stiftung konnten wir bereits elf Laureaten begrüßen, die wir mit einem Stipendium ausstatten und versuchen, im Konzertgeschäft unterzubringen. Wir sollten dieser Generation so viel helfen wie möglich. Dafür akquirieren wir auch recht erfolgreich Sponsoren und private Spenden.

Sie sind nun selbst 41 und können auf eine mehr als dreißigjährige Karriere zurückblicken. Wie gefährlich ist es, zum Routinier zu werden?

Capuçon: Routine ist ein Wort, das ich nicht kenne, außer vielleicht beim Joggen. Sehen Sie, ich habe Dvořáks Cellokonzert vielleicht einige hundert Mal gespielt. Aber ich finde jedes Mal etwas Neues, eine Farbe, eine Phrase, einen Gedanken, den ich verfolge. Das ist faszinierend! Demut und Neugier sind die besten Therapien gegen Routine. Ein Musiker sein zu dürfen, ist doch ein großes Geschenk!

Aber gerade Dvořák gehört ja auch zum Standardrepertoire. Auf Ihrem neuesten Album „Sensations“ kombinieren Sie Musik, die von vielen geliebt wird. Warum also diese Zusammenstellung?

Capuçon: Es gibt eine ganze Reihe von Kompositionen, die nicht für Cello geschrieben sind, die ich aber sehr mag. Glücklicherweise habe ich in Jérôme Ducros einen fantastischen Bühnenpartner, der nicht nur sehr gut Klavier spielt, sondern auch komponiert und arrangiert. Aus dieser Zusammenarbeit sind schon vorher zwei Alben entstanden. Eines davon führte in Frankreich sogar die Pop­hitliste an, so dass wir damit auch ein jüngeres Publikum für unsere Musik begeistern können.

Sein Faible für exquisite Fotomotive führte Gautier Capuçon auch nach Mont-Saint-Michel
Sein Faible für exquisite Fotomotive führte Gautier Capuçon auch nach Mont-Saint-Michel

Andererseits spielen Sie auch viel Zeitgenössisches.

Capuçon: Es ist mir sehr wichtig, die Musik unserer Zeit zu spielen. Zuletzt habe ich zum Beispiel das Cellokonzert nach Gogols „Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen“ von Lera Auerbach uraufgeführt, demnächst stehen weitere Uraufführungen in Leipzig und Boston an. Das Schöne ist, dass es mir das Cello erlaubt, so viele unterschiedliche Stilistiken zu bedienen. Es ist einfach sehr wandelbar.

Sind Sie mit Ihrem Cello verheiratet, oder ist es einfach nur ein Instrument?

Capuçon: Ich würde sagen: alles zusammen. Es ist eine sehr intime Beziehung. Mein Cello ist Kamerad, Liebhaber, Vertrauter, Psychologe und Spiegel der Seele in einer Person. Und die Beziehung wird immer noch tiefer. Oft hilft mir mein Instrument, Dinge besser zu verstehen, auch über mich.

Ihr Bruder spielt Geige. Hatten Sie je einen Plan B, wenn es nicht das Cello geworden wäre?

Capuçon: Nein, für mich kam immer nur das in Frage. Aber ich liebe auch das Klavier sehr. Dafür, dass es nur mein Zweitinstrument war, habe ich ein ganz gutes Niveau erreicht. Ich muss nur mal wieder üben.

Wir haben über die Pandemie gesprochen, aber eine Krise jagt die nächste. Mit Valery Gergiev haben Sie vor einigen Jahren Schostakowitschs Cellokonzert aufgenommen. Würden Sie zurzeit wieder mit ihm zusammenarbeiten?

Capuçon: Die Situation ist in der Tat sehr schwierig. Vor einigen Monaten spielte ich in Lviv. In Italien traf ich gerade einen unserer Stipendiaten aus der Ukraine, der mir viel Trauriges berichtet hat. Natürlich kenne ich auch einige russische Musiker, die derzeit nicht spielen können. Ich hoffe inständig, dass der Krieg so schnell wie möglich aufhört.

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