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Musikfestspiele Potsdam 2019: Interview Dorothee Oberlinger

„Für mich ist die Flöte nur ein Werkzeug“

Virtuosin Dorothee Oberlinger über die Ursprünglichkeit ihres Instruments, den Einfluss von Glück auf Karrieren und das Bedürfnis, Klänge neu zu entdecken.

vonChristian Schmidt,

Dorothee Oberlinger zählt zu jenen namhaften Blockflötistinnen, die das Instrument ganz natürlich in den Konzertbetrieb integrieren konnten. Mit Erfolg, denn die Professorin am Salzburger Mozarteum gründete schon 2002 ihr eigenes Ensemble, gewann neben zwei Echo-Klassik-Preisen den Diapason d’Or und ist Gast auf Festivals weltweit.

Seit dem vergangenen Jahr sind Sie auch Intendantin der Musikfestspiele Sanssouci. Haben Sie in Potsdam schon Wurzeln geschlagen?

Dorothee Oberlinger: Ich bin sehr oft dort, doch im Moment wohne ich noch im Hotel und lerne von dort aus diese wunderschöne Stadt kennen. Meine für ein Jahr pausierende Professur am Mozar­teum beginnt wieder im Herbst, mein Sohn geht noch in Köln in den Kindergarten. Wir müssen sehen, wie sich künftig die Familienachse gestaltet.

Was reizt Sie an Potsdam?

Oberlinger: Ich kenne die Stadt noch aus DDR-Zeiten, weil wir in der Nähe meiner Eltern immer wieder eine befreundete Pfarrersfamilie besucht haben. Kurz nach der Wende lag die Stadt quasi unberührt im Dornröschenschlaf und ist dann auch für die Touristen daraus erwacht. Sie trägt viele historische Schichten von der frühen Monarchie bis heute, es wird um das Erbe auch nicht wenig gestritten. Dieses Spannungsfeld fand ich faszinierend. Ich habe auch mein erstes Staatsexamen in der Schulmusik über die Flötenmusik am Musenhofe Friedrichs des Großen geschrieben.

Sie haben mal gesagt, die Blockflöte sei die Verlängerung Ihres Ichs. Was meinen Sie damit?

Oberlinger: Damit meinte ich eigentlich die Verlängerung meines Atems als Lebensgrundlage. In der zentralasiatischen Musik gibt es mit der Nay ein einfaches Schilfrohr, das direkt übersetzt (Luft-)Röhre heißt. In Japan war die ­Shakuhachi ursprünglich ein reines Schulungsinstrument der Mönche, dessen Zweck gar nicht die Musik­darbietung war, sondern die Meditation über den Atem als Teil des Ichs. Man kann nicht mit zu viel nach außen gerichtetem Druck arbeiten, sondern muss den Eindruck haben, die Luft zirkuliert und kommt zu mir zurück. Das ist ein schönes Gefühl, deswegen spiele ich wahrscheinlich auch immer noch Flöte. Sie kann alles.

Wie stark ist für Sie dieses Bedürfnis, Musik auch für sich selbst zu machen?

Oberlinger: Ich gehe sehr oft übend mit mir selbst in Klausur. Frans Brüggen hat mal seine Schüler gefragt, ob sie jemals geweint hätten, wenn sie sich selbst etwas vorspielten. Ich kann diese Frage gut nachvollziehen. Wenn man nicht auch selbst manchmal gerührt wäre, könnte man nicht Profimusiker sein.

Wie viele Sorten von Blockflöten spielen Sie eigentlich?

Oberlinger: Um die hundert habe ich in meinem Schrank, einige davon sind ständig im Einsatz, weil die Programme sehr unterschiedlich sind – vom Mittelalter über die Renaissance- und Barockmusik bis zur Moderne. Das sind Flöten in allen Größen und Registern vom Sopranino bis zur Sub­bass­blockflöte in unterschiedlichen Stimmhöhen, vom historischen Barockmodell bis hin zu neuesten Entwicklungen.

Sie sind also für alles gewappnet inklusive des Consortspiels.

Oberlinger: Ich lehre das zwar am Mozarteum, aber ich spiele selbst nur solistisch mit Kammermusikkollegen oder Orchestern – ich muss meinen Klang weniger verschmelzen, sondern hervortreten lassen, das ist eine andere Spielweise. Gute Consorts müssen viel Zeit aufwenden und das Zusammenspiel stetig gut trainieren, damit es perfekt klingt, sonst sind wir schnell bei der Mozartfrage, was schlimmer sei als eine Flöte.

Zwei Flöten.

Oberlinger: Genau. Dagegen beherrscht zum Beispiel die Royal Wind Music aus Amsterdam dieses Zusammenspiel perfekt und wurde von mir deswegen auch nach Potsdam eingeladen. Ein Sologeiger wird auch in den seltensten Fällen im Streichquartett Erfolg haben.

Dorothee Oberlinger
Dorothee Oberlinger

Die behaupten oft, sie seien mit ihren Geigen verheiratet. Bei Ihnen wäre das eine gewaltige Polygamie, oder?

Oberlinger: Ich bin keine Instrumenten­fetischistin. Für mich ist die Flöte nur ein Werkzeug, durch das die Musik hindurchfließt. Ich muss gestehen, dass ich vielleicht sogar manchmal zu ruppig mit meinen Instrumenten umgehe.

Das hat Ihrer Karriere keinen Abbruch getan. Wie stark wird die bei einem Musiker von Glück oder Können beeinflusst?

Oberlinger: Das hängt viel von der Persönlichkeit und dem persönlichen Umfeld ab. Auf wen stößt man, wer bringt mich künstlerisch weiter? Als Kammermusikerin bin ich immer auf andere angewiesen – und darauf, dass ich gemocht und eingeladen werde. Natürlich gibt es auch Rückschläge. Dann braucht man Stehaufmännchenqualitäten und gute Unterstützer, die einen auffangen, wie es zum Beispiel mein Mann seit dreißig Jahren ist. Dieses Glück haben nicht alle. Musik funktioniert nur als Passion. Es gibt einige, die vielleicht nicht so talentiert waren wie mancher begabte Faulpelz, das aber durch leidenschaftliches Üben wieder ausgeglichen haben.

Inwieweit hat Sie als Pfarrerstochter die geistliche Musik beeinflusst?

Oberlinger: Ein Pfarrhaus ist oft die Brutstätte für Musiker. Meine Mutter hat Instrumente gespielt und mich auch zuerst unterrichtet, mein Vater stammt aus einer Orgelbauerfamilie. Seit ich acht Jahre alt war, habe ich im Kirchenchor viele wunderbare Kantaten gesungen. Natürlich prägt das alles den Geschmack. Wenn ich heute Bach spiele, fühle ich mich dort zu Hause. Da spüre ich die Gnade des Aufgehobenseins.

Jetzt haben Sie aber erstmal eine „Nacht“-CD aufgenommen. Was hat Sie dazu inspiriert?

Oberlinger: Erstmal bin ich ja eine Nacht­eule. Abends bin ich sehr produktiv, in südlicheren Ländern finden die Konzerte oft sogar viel später als hier statt. Wenn es dunkel wird, ist man in einer anderen Stimmung. Mythologisch gesehen hat die Nacht verschiedene Kinder, eines davon ist zum Beispiel das Unheil, aber da gibt es auch noch die Festlichkeit oder die Zärtlichkeit. Schlägt um Mitternacht die Glocke, entsteht wieder etwas Neues: ein Punkt der Reinigung. Die Nacht hat viele Facetten, die ich versucht habe, auf dem Album mit ganz unterschiedlichen Stilen und Besetzungen zu zeigen – ähnlich einem Kaleidoskop.

Bei Stefan Raab haben Sie Telemann mit einer Studioband gespielt. Sie plagen erfrischend wenig Berührungsängste.

Oberlinger: Danach habe ich einen kleinen Shitstorm in den sozialen Medien erlebt. Das fand ich völlig humorlos. Im Rahmen einer Fernsehshow ist es doch wunderbar, Telemann mit Band auch noch ziemlich kunstvoll zu arrangieren! Ihn hätte das vermutlich gefreut, er war sehr experimentierfreudig.

Da würden Ihnen die Puristen sicher widersprechen.

Oberlinger: Das mag sein. Ich versuche, meinen Studenten zu vermitteln, dass sie so viel wie möglich über die Aufführungspraxis der damaligen Zeit herausfinden müssen, die gehört auch zum Zentrum meiner Arbeit. Aber das Hinter­fragen einer adäquaten Interpretation darf nie aufhören. Etwas einfach zu kopieren ist heute einfacher denn je – aber sich selbst eine Meinung zu bilden und so zu spielen, als sei es frisch aus der Feder, das ist eine Herausforderung! Früher waren die Künstler meist in Personalunion Interpret und neu erschaffender Komponist.

Auch wenn man vielleicht nicht komponiert, kann man Neues schaffen, fremde Klänge erforschen und Kunstformen interdisziplinär miteinander verbinden. In Potsdam führen wir beispielsweise Strawinskys Ballettsuite „Apollon musagète“ mit Hip-Hoppern und Streetdancern auf. Wir versuchen in diesem Projekt, mit der zurzeit innovativsten Tanzform in Verbindung mit Musik etwas Neues zu kreieren. Das hat genauso eine Berechtigung wie die Pflege der Originalmusik.

Dorothee Oberlinger über ihr aktuelles Album „Night-Music“:

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