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Interview David Orlowsky

„Hier kann Dur traurig klingen und Moll fröhlich“

Der Geist der Klezmer ist der Anker in David Orlowskys musikalischem Leben und verschafft ihm spannende Begegnungen.

vonJulia Hellmig,

David Orlowsky ist gerade in Australien unterwegs. Im Surferparadies Byron Bay schreibt der Klarinettist an seiner neuesten Kreation, einem Klarinettenquintett, und genießt nebenbei noch die eine oder andere Welle auf dem Board. Doch der eigentliche Grund für seine Reise ist eng verknüpft mit seinem aktuellen Album, das er gemeinsam mit Lautenist David Bergmüller aufgenommen hat.

Für manche Begegnungen ist einfach keine Reise zu lang. Was genau hat Sie nach Australien geführt?

David Orlowsky: Ich bin hierher gereist, um eine alte Frau zu treffen (lacht). David Bergmüller und ich haben vor Kurzem ein Video mit einer 107 Jahre alten Tänzerin gedreht. Aber wegen des strengen Lockdowns in Australien konnten wir sie leider nicht persönlich treffen, sondern nur über Skype. Und als die Grenzen wieder offen waren, bin ich kurzentschlossen zu Eileen Kramer nach Sydney geflogen. Diese Chance konnte ich mir nicht entgehen lassen. Es war wirklich eine Wahnsinnsbegegnung!

Und das Ergebnis ist der Song Eileen?

Orlowsky: Nein, der Song ist ja schon letztes Jahr entstanden. Er liegt mir auch ganz besonders am Herzen, denn es war der erste, den David und ich zusammen geschrieben haben. Das war ganz spontan. Er hat etwas gespielt, ich habe etwas gespielt, und auf einmal haben wir gemerkt, dass sich daraus etwas entwickelt.

Es hat also sofort gefunkt zwischen Ihnen?

Orlowsky: Ja! Und ich weiß auch noch ganz genau, wie das passiert ist: Wir saßen in Berlin an meinem Wohnzimmertisch und wollten eigentlich gerade auf dem Balkon Kaffee trinken. Auf einmal hat David angefangen zu improvisieren. Ich habe mir also wieder meine Klarinette geschnappt und los ging es. Es sind genau solche Momente, für die ich Musiker geworden bin. Es fühlt sich unglaublich an, wenn Ideen aufeinandertreffen und wachsen. Solche Momente können beim Musizieren immer wieder passieren. Das muss gar nicht nur bei Komponieren oder Improvisieren sein, sondern das kann auch in jedem Konzert passieren – dieser einzigartige und magische Moment.

Welche Rolle spielt bei Ihnen das Improvisieren?

Orlowsky: Ich versuche, Stücke immer so zu spielen, als würden sie mir gerade einfallen. Das geht auch mit Melodien, die schon da sind. Es geht immer um das „Entstehen“.

Wie kam es zu dem aktuellen Album mit David Bergmüller?

Orlowsky: Am Anfang war alles überhaupt noch nicht klar, es war eher eine spontane Sache. Ich habe ein Video von David gesehen, in dem er auf seiner Laute improvisiert hat, und das fand ich wunderschön. Ich habe ihn dann einfach gefragt, ob wir uns mal treffen wollen. Ein paar Wochen später war er zufällig in Berlin und wir haben zusammen gespielt. Diese Kommunikation, die wir zusammen haben, ist etwas ganz Besonderes. Deswegen haben wir uns auch entschieden das CD-Projekt als Duo zu machen. David hat eine kleine Berghütte in den österreichischen Voralpen, wo wir viel zusammen geschrieben und ganz viel Repertoire durchgespielt haben. Wir mussten ja erst einmal schauen, was überhaupt machbar war, da es gar keine Werke für diese Besetzung gibt – die Klarinette gab es zur Hochphase der Lautenmusik ja noch gar nicht. Am Ende waren es dann zwölf Stücke, die uns hundertprozentig überzeugt haben. Und daraus ist dann das Album entstanden.

Wieso haben Sie sich für den Titel „Alter Ego“ entschieden?

Orlowsky: Die Zusammenarbeit zwischen uns beiden hat gut funktioniert, aber es gab auch viel zu überbrücken, denn wir kommen aus sehr unterschiedlichen Schulen. In der Alten Musik wird beispielsweise viel mehr improvisiert als in der Klassik. Da kam mir aber meine Erfahrung aus dem Klezmer zugute. Der Titel hat also zwei Bedeutungen. Zum einen eine zusätzliche Persönlichkeitsschicht, zum anderen steht der Begriff auch für Gefährte. Auf uns trifft beides zu. Wir ziehen beide an einem Strang, sind aber auch sehr unterschiedlich. Und genau darin liegt der Reiz.

Apropos Gefährte: Es gibt auf dem Album einen Song mit dem Titel Ada. Was hat es damit auf sich?

Orlowsky: Ada ist meine vierjährige Patentochter – und sie tanzt sehr gerne. Insgesamt haben wir drei Videos mit Tänzerinnen gedreht. Mir war wichtig, dass es dabei weniger um Perfektion geht, sondern vielmehr darum, dass die jeweilige Persönlichkeit durchschimmert. Eileen tanzt mit 107 einfach nicht mehr so wie mit 25. Obwohl sie sitzt, schwingt in ihren Händen und ihrem Gesicht jedoch wahnsinnig viel mit, und im Kern sehe ich das auch bei Ada oder generell bei Kindern, die tanzen.

Was war zuerst da: die Videos mit den Tänzerinnen oder die Musik?

Orlowsky: Die Musik. Ich habe auch noch nie ein Stück geschrieben, bei dem ich den Titel schon im Kopf hatte. Das kommt eigentlich immer erst, sobald das Stück Gestalt angenommen hat.

2019 hat sich das David Orlowsky Trio nach 21 Jahren aufgelöst. Und dann kam auch noch Corona …

Orlowsky: Ich bin nur froh, dass die Abschiedstour mit dem Trio davor war. Ich glaube, das wäre für uns ansonsten emotional sehr schwierig geworden.

Und wie fühlt es sich an, bald wieder auf Tournee zu gehen?

Orlowsky: Ich kann’s kaum erwarten! Auch wenn ich sagen muss, dass die Konzertreisen mir gar nicht so sehr gefehlt haben. Ich habe es auch genossen, mal so viel zu Hause zu sein. Aber ich hatte schon fast ein bisschen vergessen, welche Kraft ein Konzert entwickeln und wie intensiv das sein kann. Deswegen freue ich mich sehr, dass es wieder losgeht.

Sie sind in der Klassik genauso zu Hause wie in der Klezmer-Musik. Wie sind Sie überhaupt Musiker geworden?

Orlowsky: Meine Familie ist sehr musik­affin, aber soweit ich weiß, bin ich der Einzige, der das beruflich gemacht hat. Angefangen habe ich als Zehnjähriger allerdings mit Schlagzeug. Auf einer Konzertreise mit dem Jugendorchester durfte ich dann einmal die Klarinette von unserem Solo-Klarinettisten ausprobieren. Meine Mutter hat mich kurz darauf zum Unterricht angemeldet, und so hat alles angefangen.

Woher kam der Wunsch, als Jugendlicher ein Klezmer-Trio zu gründen?

Orlowsky: Da war ich bei einem Konzert von Giora Feidman in der Stiftskirche Tübingen. Das hat mich total geflasht und ich war so begeistert davon, was er mit einer einzigen Note alles sagen kann. Das wollte ich auch machen. Ein paar Jahre später habe ich dann mit Giora zusammen in der Stiftskirche gespielt. Da kam auch das Fernsehen auf mich zu, die einen Bericht über mich drehen wollten. Sie sagten dann zu mir, dass ich zusammen mit meiner Band kommen solle. Doch ich hatte gar keine Band. Aber dann hatte ich eine gute Ausrede, um gute Leute zu fragen, ob sie mit mir ein Trio gründen wollten.

Warum schafft es Klezmer immer wieder, so viele Menschen zu berühren?

Orlowsky: Wenn ich das bloß erklären könnte … Diese Musik ist auf jeden Fall nicht eindeutig. Hier kann Dur traurig klingen und Moll fröhlich. Es ist ganz klischeehaft das lachende und das weinende Auge. Aber ich finde, alles was die Seele kitzelt und zum Schwingen bringt, was man körperlich spürt, das lässt sich einfach nicht erklären.

Album Cover für Alter Ego

Alter Ego

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