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Interview Daniil Trifonov

„Ich möchte die Menschen durch Musik emporheben“

Den pianistischen Hexenmeister Daniil Trifonov umweht der seltene Geist des Genialischen und Unvorhersehbaren – uns hat er seine Geheimnisse erklärt

vonPeter Krause,

Er ist ein poetischer Extremist am Piano, der mit einer so tastenstürmerischen Klangmagie zu Werke geht, dass das Publikum seine Konzerte nicht bloß begeistert, sondern benommen verlässt. Daniil Trifonov besitzt längst Kultstatus und wird schon mit den russischen Meisterpianisten der Vergangenheit verglichen. Spielt er Rachmaninow oder Liszt, lässt Trifonov mit jugendlichem Übermut, erzählerischer Fantasie und ungeahnten Farben die Effekte explodieren. Im Sommer treffen wir ihn freilich sehr entspannt weit abseits der Musikmetropolen in den Schweizer Alpen, wo er beim Verbier Festival mit Kollegen Kammermusik spielt und sein eigenes Klavierkonzert präsentiert. Und uns plausibel erklärt, wie die Werkstatt seiner Klavier-Hexenküche wirklich funktioniert – ohne Wahnsinn, sondern mit Methode.

Spielt es sich hier im Gebirge anders als in der Großstadt?

Daniil Trifonov: Mir bedeutet das Wandern sehr viel. Die Bergwelt gibt mir eine besondere Kraft für die Auftritte und hilft mir, nach den Konzerten die Batterien aufzuladen. Ich brauche körperliche Bewegung sehr. Ich habe noch nicht alle Wanderwege entdeckt, freue mich aber jedes Jahr wieder darauf, die herrlichen Seen da oben zu entdecken. Ich wohne hier immer in einer Privatwohnung, fühle mich also sehr zu Hause. Das sind ideale Bedingungen für einen Künstler.

Gibt es Pianisten, die Sie inspirieren?

Daniil Trifonov: Ich höre sehr gern alte Aufnahmen aus dem 20. Jahrhundert – von Cortot, Schnabel, Sofronizki, Rachmaninow, Horowitz oder Gieseking. Schon in Moskau hat mich meine Lehrerin Tatiana Zelikman, die eine große Plattensammlung besitzt, damit konfrontiert. Ein Stück, das ich mir gerade erarbeitete, musste ich mir in ganz unterschiedlichen historischen Interpretationen anhören und ihr dann in meiner Version vorspielen. Es gab damals auch ein Seminar, in dem der Lehrer zu einer Beethovensonate acht Einspielungen mitbrachte. Wir mussten beschreiben und debattieren, welche Aufnahme welche Vorteile und welche Nachteile hatte. Und wir mussten raten, wer die Interpreten waren. Als ich später bei Sergei Babayan in Cleveland studierte, ermutigte er mich, dieselbe Phrase immer wieder mit einer anderen Energie und einem anderen emotionalen Fokus aufzuladen, um dadurch am Ende zehn verschiedene Geschichten mit denselben zehn Takten erzählen zu können. Diese Übung ergab sehr viel Sinn für mich.

Wie definieren Sie einen Virtuosen? Der Begriff hat heute ja einen eher schillernden Klang …

Daniil Trifonov: Für mich hat der Begriff dann etwas Positives, wenn er mit der inhaltlichen Vision der Musik verbunden wird. Er bedeutet für mich, dass die physische Kraft von der mentalen abhängt. An erster Stelle muss man eine Idee des Ausdrucks der Musik entwickeln. Wenn man sich einem Stück nur von der technischen Seite her annähert, kann einen das zu einer Interpretation verleiten, die einfach nur angenehm, wohlig und behaglich klingt. Wenn aber die Idee einer Farbe zuerst im Kopf entsteht, wird man den einen oder anderen, oft ganz unerwarteten Weg einer konkreten pianistischen Lösung dafür finden, die musikalische Idee umzusetzen. Mir hilft auf diesem Weg übrigens das Üben ohne Klavier – die Imagination des Stücks und seiner Spannungsverläufe, Crescendi und Nuancen im Kopf.

Wenn Sie das romantische Repertoire spielen, bringen Sie stets auch die dunkle Seite dieser Epoche zum Ausdruck, bleiben nie nur auf der glanzvoll schönen Oberfläche …

Daniil Trifonov: … gerade in der Romantik ist die Musik nie einseitig, dunkel oder hell. Denken wir an die unglaublich kontrastierenden Charakterzeichnungen von Schumann. Auch hinter den wunderschönen Passagen eines Chopin können enorm tiefgehende Welten lauern und müssen dann auch ausgedrückt werden. Es gibt also in der Romantik diese Spannungstendenz, die Turbulenzen der menschlichen Seele auszuloten.

Wie kommen Sie immer wieder an den gefährlichen Rand solcher Stücke, wo der Absturz in die Hölle oder der Aufstieg in den Himmel gleichermaßen möglich scheint? Ist das vorab planbar – oder braucht es die Eingebung des Augenblicks im Konzert?

Daniil Trifonov: Die Energie eines Konzerts im Überaum nachzuahmen, ist natürlich sehr kompliziert. Ich versuche diese Nachahmung dadurch zu erreichen, dass ich in der Vorbereitung mit gewissen emotionalen Übertreibungen arbeite. Ich probiere bewusst verschiedene Wege aus, um in den Konzerten die Möglichkeit zu haben, damit zu spielen. Das gibt mir die Sicherheit, später freier sein zu können. Bei Aufnahmen ist es schwieriger, dieses Niveau von Konzentration zu erreichen. Es ereignet sich oftmals erst nach einigen Stunden.

Wie viele Wahrheiten gibt es, sich ein Stück zu erschließen?

Daniil Trifonov: Rachmaninow hat sein eigenes zweites Klavierkonzert zweimal eingespielt: einmal 1924, dann nochmal 1929 – in Tempo und Dynamik liegen Welten dazwischen. Oder nehmen wir die Aufnahmen von Bachs Goldberg-Variationen durch Glenn Gould, die ganz anders sind. In der Kunst steht also nur eines fest: ständige Evolution. Von Tag zu Tag ändern sich die Dinge. Wir leben nicht in einer Welt, wo sich irgendetwas exakt wiederholt.

Gleichwohl sind die Interpretationen vieler Ihrer Kollegen absolut vorhersagbar. Wie vermeiden Sie solch gepflegte Wiederholung?

Daniil Trifonov: Die Suche hört für mich nie auf. Allein schon die Bühne mit ihrer immer wieder anderen Akustik, von sehr trocken bis sehr warm, ändert die Dinge. Mir macht es zudem Spaß, auf unterschiedlichen Klavieren zu spielen, vom Steinway zum Fazioli oder zum Bösendorfer zu wechseln. In Cleveland regte mein Lehrer an, über den Tag verteilt auf verschiedenen Instrumenten zu üben: Ich habe mich also stets eine Stunde in diesem Raum, dann in einem zweiten, später in einem dritten eingeschrieben. Ich musste stets auf das Unerwartete vorbereitet sein.

Nun komponieren Sie auch. Wie bedingen sich genuine Schöpfung und die Nachschöpfung des Interpreten?

Daniil Trifonov: Auch meine eigenen Stücke kann ich nie gleich spielen: Die Idee des Improvisatorischen spielt dabei immer eine Rolle. Manchmal nehme ich auch das Material eines fremden Stücks und improvisiere darüber, spiele es in einer anderen Tonart: Wie anders klingen dieselben harmonischen Beziehungen zwischen den Noten, wenn ich sie in eine andere Tonart übertrage? Gerade bei sehr bekannten Stücken bzw. solchen, die man sehr häufig spielt, helfen solche Tricks. Ein Stück wie das Tschaikowsky-Konzert Nr. 1, das ich schon in ganz jungen Jahren gespielt habe und bis heute häufig aufführe, kann durch die Wiederholung und dadurch, dass ich es einfach zu gut kenne, sehr leiden. Es geht darum, in der Reproduktion eine Bedingung von Schöpfung wiederherzustellen, so als würden die Ideen in diesem Moment entstehen. Dazu ist mir wichtig auszuloten, wie weit der Geist vorandenken, voranhören und voranspielen kann, bevor die Finger dann die Passage spielen. Schon ein halber Takt kann da manchmal enorm helfen.

Wie wichtig ist Ihnen zeitgenössische Musik?

Daniil Trifonov: Ich erarbeite gerade die Präludien und Fugen von Schostakowitsch und plane ein Programm, das nur aus Musik des 20. Jahrhunderts besteht. Ich will zeigen, wie sehr sich das Schreiben von Klaviermusik vom Anfang bis zum Ende des Jahrhunderts verändert hat. Berg, Bartók, Copland, Messiaen und Ligeti werden auf jeden Fall darunter sein. Das Konzert für Klavier und Streicher von Schnittke war kürzlich ebenso eine ganz starke Erfahrung für mich.

Kennen Sie Zweifel?

Daniil Trifonov: Der Schöpfungsprozess von Musik ist voller Zweifel, ich bin in einem Beruf voller Zweifel, sozusagen in einem zweifelhaften Beruf. (lacht) Es gibt Versuche, andere Versuche und bessere Versuche …

Wie planen Sie Ihr Leben?

Daniil Trifonov: Der Zeitplan meiner Auftritte ist eng. Aber ich versuche, mein Leben mehr mit anderen Aktivitäten vereinbar zu machen: Ich möchte komponieren, und ich möchte mein Repertoire erweitern. Ich wünsche mir mehr Zeit für Kammermusik, bin dabei, den richtigen Takt meines Lebens zu finden.

Lernen Sie dabei, öfter „nein“ zu sagen?

Daniil Trifonov: Ich möchte nicht mehr als 80 bis 90 Konzerte pro Jahr spielen: Das ist das Ziel. Zwischen Recitals sollten eigentlich zwei freie Tage liegen, bei Orchesterkonzerten mit denselben Werken kann ich mehrere Tage hintereinander auftreten.

Was würden Sie tun, wenn Sie sich kurz vor einem möglichen Burn-out ein Sabbatical gönnen?

Daniil Trifonov: Ich würde einfach einen Skrjabin-Marathon spielen. Er ist mein Lieblingskomponist: Seine Ideen der Synästhesie, der Transzendenz, der Ekstase begeistern mich. Mein Ziel bleibt, die Menschen durch Musik emporzuheben aus den rein weltlichen Themen ihres Lebens.

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