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Interview Daniel Behle

„Bach war auch nur ein Mensch“

Der Tenor Daniel Behle über den berühmten Thomaskantor, Operetten und die Gesangsausbildung bei seiner Mutter

vonChristian Schmidt,

Mit seinem farbenreichen Tenor eroberte Daniel Behle sehr schnell bedeutende Opernbühnen, auf denen er ein äußerst vielseitiges Repertoire pflegt. Nach Festengagements in Oldenburg und an der Wiener Volksoper war er von 2007 bis 2010 an der Frankfurter Oper engagiert. Bekannt wurde er aber besonders auf dem Konzertpodium: Seine Liederabende seien schon jetzt legendär, schrieb die Süddeutsche Zeitung. Auch hier ist seine programmatische Wandlungsfähigkeit enorm. Im Interview mit Christian Schmidt holt er Johann Sebastian Bach vom Sockel des Übermenschen.

Herr Behle, Sie haben eine CD mit Tenorarien aus verschiedenen Bachmotetten aufgenommen. Warum Bach?

Daniel Behle: Die Werke von Bach sind mir ein Anliegen. Im Laufe meines Studiums haben mich seine vielen Kantaten begleitet. Letztlich sind es aber doch oftmals nur die großen Passionen und Chorwerke, die immer wieder auf den Programmen stehen. In Frankfurt traf ich meine alte Schulfreundin Anne-Cathérine Heinzmann wieder, die im Museumsorchester Flötistin ist. Und da sie zu der Zeit sowieso mit dem Gedanken spielte, Werke von Bach aufzunehmen, kamen wir recht schnell auf die Idee, diese CD zusammen zu machen. Bach hat ja 1724 den französischen Flötisten Pierre-Gabriel Buffardin getroffen, der Mitglied in der Dresdner Hofkapelle war. Möglicherweise hat er ihm sehr viele dieser Werke auf den Leib geschrieben. Mit diesem Material, das in Bachs ersten Jahren als Thomaskantor entstand, wollten wir eine authentische Geschichte erzählen.

Welche Geschichte ist das?

Ein Wechselgesang zwischen Mensch und Engel, der sich im Dialog von Stimme und Flöte äußert. Dabei geht es immer um die Frage, wie ein Mensch leben kann, zwischen Erde und Himmel, himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt. Angefangen bei der Freude über die Geburt des Herrschers bis zur Erkenntnis seiner erlösenden Wirkungsmacht. Das Leben als ein rauschendes Wasser, das schnell dahinschießt, wie es in der Kantate Ach wie flüchtig heißt. Grundthema ist dabei das Zweifeln des unvollkommenen, auch unsicheren Menschen. Glauben ist ja zweifeln.

Warum ist Ihnen Bach ein Grundanliegen?

Sagen wir so: Mich hat das Bonmot beeindruckt, dass auch Bach gern Schweinsbraten gegessen hat.

Was meinen Sie damit?

Das heißt nur, dass Bach auch ein Mensch war. Mit allem, was dazu gehört. Für mich heißt es aber auch, dass Bach seinen Glauben fest mit der Erde verband. Er sagt: „Mit aller Musik soll Gott geehrt und der Mensch erfreut werden.“ Und nach meiner Überzeugung greift deshalb die Rezeption Bachs als reiner Kirchenmusiker zu kurz. Für mich stehen seine grandiosen Kompositionen im Vordergrund. Kunstwerke, von Menschenhand gemacht. Daraus erwächst für mich erst der theologische Hintergrund.

Wie beliebig sind Sängeralben in der Repertoireauswahl?

Der Witz einer CD ist für mich ihre Zusammenstellung. Das ist auch ihr Mehrwert gegenüber der Häppchenkultur des Herunterladens. Auch in unserer Kompilation gibt es ja diese innere Dramaturgie, die man nur beim Hören der Gesamtaufnahme erfassen kann.

Bei manchen Soloalben hat man das Gefühl, es dient vor allem dem Sänger und nicht der Musik. Sollte nicht der Interpret Botschafter des Komponisten sein?

Natürlich dient eine Aufnahme auch der Vermarktung eines Solisten, das ist ganz natürlich. Aber Sie merken schnell: Wer nur unreflektiert Töne produziert, läuft Gefahr, hohl zu bleiben. Leere Schalen vergisst man schnell.

Auf der Bühne machen Sie auch um Operetten keinen Bogen. Muss man da anders singen?

Ich habe recht früh gelernt, dass man keine Facette in diesem Beruf auslassen soll. Jeder Bereich hat seine speziellen Ansprüche. Bei Operetten müssen Sie zum Beispiel einerseits gut sprechen und andererseits gegen einen vollen Orchesterklang ansingen. Manchmal ist es vielleicht etwas viel „Weinseligkeit“, aber langweilig wird es selten.

Was halten Sie in diesem Zusammenhang von Regietheater?

Das ist für mich ein klischeebeladener Begriff, man sieht sofort einen Stuhl auf leerer Bühne und drei nackte Statisten. Das Theater, das keiner versteht. Das muss man aber relativ sehen. Regietheater ist sehr spannend, wenn der Regisseur es schafft, seine besonderen Ideen mit der Musik zu verbinden. Wenn er dabei den Zuschauer nicht abhängt, sondern mitnimmt, wird es funktionieren.

Beim Liederabend ist ein Sänger dagegen ganz bei sich. Finden Sie das schöner?

Es ist intensiver, weil man unter ständiger Beobachtung ist. Beim Liederabend bin ich Schauspieler und Sänger ohne Requisiten. Das ist die reinste Form unserer Kunst. In der Oper wirkt der dicke Pinsel des Miteinanders, ich bin dazu kostümiert und deshalb nicht direkt angreifbar. Das ist leichter. Aggressionen auf der Opernbühne äußern sich oft in Handlungen. Beim Liederabend bleibt mehr in der Vorstellung des Zuschauers. Wenn Sie so wollen, ist ein Liederabend perfektes Regietheater.

Sie wurden von Ihrer Mutter ausgebildet, die selbst Sängerin ist. Wie fühlt sich das an?

Wenn ich einen Mentor brauche, dann ist sie immer da. Der Tod meines Vaters gibt uns sicherlich auch eine besondere Bindung. Obwohl sie zu Beginn vielleicht das Gefühl hatte, dass ihre Karriere meine eigene bremsen könnte, weil man sich fragt: Muss der Sohn jetzt auch noch singen? Aber letztendlich muss man seine Sache einfach gut machen, dann werden die Zwischenrufe von alleine seltener.

Inzwischen hat sich Ihre Mutter in die zweite Reihe zurückgezogen, mehr ins Mezzofach. Ist es da leichter für Sie?

Ich bin sehr stolz auf sie. Diesen Absprung aus der ersten Reihe schafft nicht jedes Sängerego. Irgendwann einzusehen, dass die Salome oder Isolde nicht mehr den eigenen Ansprüchen genügt. Meine Mutter ist eine ehrliche Person und eine scharfe Kritikerin. Ehrlich zu sich selber zu sein ist am schwersten.

Zuerst haben Sie ja Posaune und Komposition studiert. In welcher Ecke verstaubt Ihr Instrument?

Auf dem Dachboden meiner Mutter in Hamburg. Ich muss aber sagen, obwohl ich ein Diplom habe, hätte es für einen Orchesterplatz bestimmt nicht gereicht. Ich war wohl immer eher Sänger als Instrumentalist.

Macht es einen Sänger klüger, wenn er auch noch andere Fächer beherrscht?

Das ist immer gut. Man darf sich nur nicht verzetteln und muss das Singen als Priorität im Auge behalten.

Manchmal komponieren Sie auch. Kommen Sie noch dazu?

Die Herausforderung bei einer Bearbeitung, wie zum Beispiel meiner Winterreise für Streichtrio und Gesang, ist, dass in der Klavierstimme eigentlich schon alles gesagt ist und Cello und Geige sich in 24 Liedern als wichtige Facetten etablieren müssen. Früher habe ich mehr komponiert, jetzt habe ich Frau und Kind, da hat man nicht mehr so viel Zeit.

Finden Sie, dass das Repertoire für Sänger erschöpft ist und erneuert werden sollte?

Gute Musik bleibt zeitlos, manches ist dem Zeitgeist ihrer Entstehung verpflichtet. Aber es entsteht ja ständig neue Musik, und wenn sie gut ist, kommt sie auch ins Repertoire. Auf meiner ersten CD habe ich zum Beispiel vier Lieder von Manfred Trojahn aufgenommen. Man muss sich nicht am alten Repertoire festklammern. Da das Lied eine Fingerübung für jeden Komponisten darstellt, werden auch heute von großartigen Komponisten großartige Lieder geschrieben.

Wie halten Sie es als Sängerkomponist mit der Moderne?

Ich bin ein Freitonaler und im Studium bei Schostakowitsch hängen geblieben. Es hat sich nicht so entwickelt, dass ich der Harmonik und der Tonalität abtrünnig wurde. Heute habe ich leider nicht mehr die „leichte“ Hand. Insofern ist das Komponieren für mich ein schmerzvoller Prozess geworden.

CD-Tipp

Album Cover für Bach: Arien aus Matthäus- & Johannes-Passion, Messe h-Moll und Kantaten

Bach: Arien aus Matthäus- & Johannes-Passion, Messe h-Moll und Kantaten

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