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Interview Christoph Eschenbach

„Ich mache das wegen der Ungewöhnlichkeit“

Mit 79 Jahren wird Christoph Eschenbach im Herbst Chefdirigent des Berliner Konzerthausorchesters. Nach zweijähriger Pause ist er außerdem wieder als Pianist zu erleben.

vonMatthias Nöther,

Vor einem Jahr unterzeichnete Christoph Eschenbach seinen Vertrag als Chefdirigent des Konzerthausorchesters. Die kommende Spielzeit hält für ihn viele spannende Aufgaben bereit: Ein Brahms-Schwerpunkt und eine Konzertreihe mit Kompositionen, die für Eschenbach „Schlüsselwerke“ darstellen, stehen an, auch seinen 80. Geburtstag im nächsten Jahr feiert er gemeinsam mit dem Konzert.

In Ihrem Alter nochmal eine Chefdirigentenposition zu übernehmen …

Christoph Eschenbach: … frisch zu übernehmen!

… frisch zu übernehmen, ist ungewöhnlich. Finden Sie das auch?

Eschenbach: Ja, aber ich mache das wegen der Ungewöhnlichkeit. Ich finde das Konzerthausorchester eben auch ungewöhnlich. Mit dem Orchester habe ich Musik gemacht und ich habe das Orchester lieben gelernt. Insofern lag es für mich gedanklich nicht fern, hier noch einmal in großem Maß Verantwortung zu übernehmen. Und der Konzert­hausintendant Sebastian Nordmann, der mich zuerst in Washington besucht hat in dieser Angelegenheit und dann in Paris, hatte es dann gar nicht so schwer, mich zu überreden.

Wie lief denn die Kontaktaufnahme?

Eschenbach: Naja, er kennt mich seit sehr langer Zeit aus Schleswig-Holstein. Er ist schließlich Holsteiner, in Eutin geboren. Und ich lebte gar nicht weit entfernt davon. Beim Schleswig-Holstein Musik Festival habe ich Sebastian kennengelernt. Ende der Achtzigerjahre war das. Aufgrund dieser Freundschaft und aufgrund des Interesses an dem Orchester und an der Geschichte habe ich zugesagt.

Christoph Eschenbach
Christoph Eschenbach

Welche Aspekte der Geschichte meinen Sie?

Eschenbach: Nicht zuletzt auch die ältere Tradition, das Schauspielhaus. Immerhin wurde dort 1821 der Freischütz uraufgeführt. Interessant ist aber zum Beispiel auch die schwierige, problematische Zeit in den 1930er Jahren, als Gustaf Gründgens als Protegé von Hermann Göring Intendant des Schauspielhauses war. Nicht zuletzt denke ich auch an die Ära des Berliner Sinfonie-Orchesters mit Sanderling, der dort ja diesen berühmten ersten deutschen Schostakowitsch-Zyklus veranstaltet hat. Das übernehme ich ja gewissermaßen, denn auch ich werde einen Schostakowitsch-Zyklus leiten.

Sie sind in Ihrem Leben sehr oft Chefdirigent gewesen. Das erste Mal 1979 bei der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz in Ludwigshafen. Wie war damals Ihr Verständnis der Aufgabe als Chefdirigent, und wie hat sich das entwickelt? Sehen Sie Ihre Aufgabe heute anders als damals?

Eschenbach: In gewisser Beziehung ja, in gewisser Beziehung auch wieder nicht. In Ludwigshafen handelte es sich um ein B-Orchester – wie man das so herabwürdigend nennt –, und das wollte ein A-Orchester werden. Und ich konnte da ungefähr dreißig Stellen besetzen und habe das mit sehr großem Elan getan. Das war dort meine Aufgabe als Chefdirigent – mit der Berliner Situation ist das nicht vergleichbar. Dann leitete ich die Tonhalle Zürich als Chef. Als ich Zürich verließ auf eigenen Wunsch, traf ich meinen großen Mentor Herbert von Karajan, den ich oft in Wien besucht habe. Als ich in das Zimmer kam, sagte er sofort: „Sie haben einen Fehler gemacht.“ Ich tat etwas verdutzt. „Dass Sie Ihre Chefstelle nicht verlängert haben.“ Ja, sagte ich, ich wollte mich anders orientieren. Was man da eben so sagt. „Nein“, sagte er, „ich kenne Sie. Sie sind ein Aufbauer, Sie sind ein Architekt.“ Ich habe dann überlegt, was er damit meinte. Und es stimmt irgendwo. Das interessiert mich tatsächlich an den Chefpositionen: Aufbauen, weiterbauen, das Orchester entwickeln von seiner eigenen Kernvorstellung aus.

Später wurden Sie dann Chefdirigent beim Houston Symphony.

Eschenbach: Das war natürlich ein Riesensprung. Es war eine ganz andere Kultur. Es ist nicht nur Amerika, es ist Texas. Noch dazu war das Orchester wirklich in finanziellen Nöten, da musste ich in der Tat sehr konkret etwas aufbauen – mit Fundraising. Immerhin habe ich dann gemeinsam mit dem General Director für das Orchester 41 Millionen Dollar auf den Tisch blättern können. Aber innerhalb von zwei Jahren hat sich damals das Orchester auch künstlerisch ungeheuer weiterentwickelt. Und hier, in Berlin, da gibt es ja schon diese großartige Tradition, fußend auf Kurt Sanderlings Arbeit.

War Karajan auch in Hinblick auf die Chefdirigententätigkeit ein Vorbild?

Eschenbach: Ja. Er hat sich ja auch sehr gut mit seinen Berliner Philharmonikern verstanden. Das Verständnis beruhte wirklich auf Gegenseitigkeit. Das vergisst man heute gerne, aber ich weiß das noch sehr genau. Klar, am Ende hat er das Orchester im Streit verlassen. Aber eigentlich war es eine wunderbare Gemeinschaft. Und so ist es mir selbst auch sehr wichtig, dass die Chemie von Anfang an stimmt zwischen Orchestermusikern und mir. Und dass ich keine Barrieren aufstelle. Die Musiker sollen immer an mich herantreten dürfen.

Die Musiker dürfen also ihre Vorstellungen artikulieren?

Eschenbach: Ich finde, man sollte als Dirigent seine musikalische Auffassung immer so breit anlegen, dass man die Ideen von Musikern, die während der Probenarbeit aufleuchten, einbauen kann. Das mögen die Musiker sehr, sehr gern. Ich verlange das auch von den Musikerinnen und Musikern, dass sie mir etwas geben. Und deshalb sind sie inspiriert. Mehr als wenn vorne jemand steht, der sagt: Wir spielen das so und nicht anders.

Christoph Eschenbach
Christoph Eschenbach

War das jemals anders bei Ihnen?

Eschenbach: Nein, das war nie anders. Weil ich musikalisch so aufgezogen wurde.

Woran denken Sie da genau?

Eschenbach: Zum Beispiel an meine zweite Mutter, meine Pflegemutter. Sie war Pianistin und Sängerin, bei ihr habe ich zuerst Klavier studiert, ich habe sie aber auch sehr früh begleitet bei Kunstliedern. Das hat sich dann fortgesetzt mit Fischer-Dieskau, mit Matthias Goerne. So ist das Phänomen des Liedbegleitens, des Begleitens der Stimme, ein sehr wichtiges geworden in meinem Leben. Das kann man auch auf das Orchesterspiel übertragen: die Beatmung des Orchesters.

Spielen Sie noch Klavier?

Eschenbach: Soloprogramme habe ich aufgegeben mit meiner ersten Chefdirigentenstelle. Ich fühlte, dass ich keine Zeit mehr habe, neue Programme zu erarbeiten. Kammermusik und Liedbegleitung habe ich aber immer gemacht. Jetzt konnte ich nur zwei Jahre gar nicht spielen, weil ich mir den Finger gebrochen habe.

Wie das denn?

Es war ein Betriebsunfall. Bei der zweiten Sinfonie von Mahler wollte ich einen starken Einsatz geben und bin dabei von unten mit dem Finger an einem ungewöhnlich scheußlichen runden Dirigentenpult aus Eisen hängengeblieben. Aber jetzt ist alles wieder gut, und ich fange wieder an zu üben.

Insgesamt denkt man bei Christoph Eschenbach auch schnell an Helmut Schmidt. Was bedeutet für Sie heute noch diese legendäre Aufnahme von Klavierkonzerten Bachs und Mozarts mit dem damaligen Bundeskanzler?

Ich denke daran mit großer Freude und Bewunderung zurück, vor allem für den Kanzler, der dann auch noch nach London reist und das alles im ­Abbey Road Studio aufnimmt. Helmut Schmidt liebte einfach Musik. Auf seinem Klavierpult lagen immer Noten von Bach und Gershwin, das waren seine Lieblingskomponisten. Das war eine ungewöhnliche Mischung, der ganze Mann war schließlich ungewöhnlich. Ich habe ihn noch oft besucht in Hamburg bis an sein Lebensende. Wir hatten wunderbare Gespräche, und ich konnte viele Fragen stellen. Wir haben die Politiker durch den Kakao gezogen, aus der ganzen Welt, nicht vor allem deutsche. Da kamen auch sehr interessante Aspekte zum Vorschein.

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