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Interview Christina Landshamer

„Bach ist kein Strauss und Mozart kein Strawinsky“

Christina Landshamer über die spontane Neudichtung eines Goethe-Poems, ihre Erfahrungen mit Dirigentenlegenden und die Leidenschaft in Haydns Werken.

vonAndré Sperber,

Als wir Christina Landshamer daheim in Stuttgart zum Telefon-Interview erreichen, hat sie fast so etwas wie Urlaub: Keine Auftritte stehen an, an der Hochschule muss sie derzeit auch nicht unterrichten. Dennoch warten auf dem Flügel schon wieder Noten auf sie. Die Sopranistin ist nun mal gerne perfekt vorbereitet – dabei verfügt sie doch über ein ausgezeichnetes Improvisationstalent, wie sie bereits mehrfach auf der Bühne beweisen musste.

Frau Landshamer, wussten Sie eigentlich schon immer, dass Sie Sängerin werden wollen oder hatten Sie auch mal andere Pläne?

Christina Landshamer: Ich habe immer schon gesungen, aber der richtige Berufswunsch kam erst gegen Ende meiner Schulzeit. Grundsätzlich haben mich immer Tätigkeiten am meisten interessiert, die mit Menschen zu tun haben. Psychologie zum Beispiel. Kurz vor meinem Studium habe ich dann auch mal in der Gastronomie gearbeitet. Sich mit gutem Essen auseinanderzusetzen fand ich tatsächlich auch sehr spannend. Vor allem diese Perfektion im Gourmet-Bereich fasziniert mich. Dieses Ballett, was da teilweise aufgeführt wird! Das hat ja auch schon fast was mit Bühne zu tun (lacht).

Seit letztem Jahr sind Sie Professorin an der Musikhochschule in Trossingen. War es ihr eigener Wunsch auch mal in die Lehre zu gehen?

Landshamer: Über die Jahre habe ich sehr viel von der Erfahrung von Kollegen profitiert, die mich immer wieder an die Hand genommen haben. Irgendwann war ich dann selbst an dem Punkt angelangt, an dem ich mir zutraute, meine Erfahrung an die nächste Generation weiterzugeben und junge Leute bei der Ergreifung des Künstlerberufs zu unterstützen. Das hat mich dann motiviert, mich auf solche stellen zu bewerben.

Ihre Bilanz nach drei Semestern?

Landshamer: Das Unterrichten macht mir wahnsinnige Freude! Es ist einfach unglaublich spannend, sich den einzelnen Studierenden ganz individuell zu widmen und nach und nach zu erfahren, was in ihnen steckt. Natürlich vermittele ich vor allem das Handwerk. Das ist auch ganz wichtig, denn ohne gute Technik kommt man in diesem Beruf nicht weit. Zum anderen muss man aber auch die Künstlerpersönlichkeiten unterstützen, damit sie sich formen, sich finden und aus sich herausgehen können. Da muss man als Professorin sehr wachsam sein, um zu entscheiden: Wo muss ich ansetzen, und wo kann es vielleicht hingehen? Das ist wahrscheinlich sogar die größte Herausforderung.

Sie selbst konnten Erfahrungen auf den großen Weltbühnen sammeln. Auch mit großen Dirigenten wie Thielemann, Rattle oder Harnoncourt haben Sie zusammengearbeitet. Beeinflusst Sie so ein renommiertes Umfeld bei der Interpretation?

Landshamer: Auf jeden Fall. Bei meiner ersten Zusammenarbeit mit Harnoncourt beispielsweise war ich wahnsinnig ehrfürchtig. Bei so einem Meister ist es gar nicht anders möglich. Für mich war es einfach ein großes Glück, dass ich ihn noch kennenlernen durfte, denn er hatte so viel mitzuteilen und war einfach ein unglaublich inspirierender Mensch. Er hatte immer einen genauen Plan, ein Konzept, das durchgängig schlüssig war, man konnte ihm wunderbar vertrauen. Und gerade bei jungen Menschen hat er immer erlaubt, dass sie sich entwickeln. Wenn ich an Riccardo Chailly oder Christian Thielemann denke, sind das dagegen eher strengere Orchestererzieher. Da herrscht auch ein ganz anderer Stressfaktor unter den Musikern, aber auch von denen habe ich wahnsinnig viel gelernt. Von Christian Thielemann habe ich zum Beispiel sehr viel über die Wichtigkeit der Orchesterpartitur erfahren. Und dann gibt es solche Persönlichkeiten wie Sir Simon Rattle oder auch Alan Gilbert, die kommen wieder von einer ganz anderen Richtung. Die sind auch ganz klar in ihren Strukturen und zeigen deutlich, was sie von einem erwarten, aber sie sind dabei viel offener und führen ihre Kommunikation viel mehr auf Augenhöhe.

Stimmt es, dass Sie selbst bei der Erarbeitung von Stücken gern auf Nummer sicher gehen und immer extrem gut vorbereitet sind?

Landshamer: Ja, eine gute Vorbereitung ist für mich die Voraussetzung, um auf der Bühne kreativ sein zu können, aus mir herauszugehen und dann auch Dinge zu riskieren. Es gibt mir quasi mehr Freiheit, wenn ich eine gute Struktur als Basis habe.

Kann man sich denn immer auf alles vorbereiten? Gerade auf der Opernbühne ist doch auch Improvisation und Spontanität erforderlich.

Landshamer: Ja, man muss gleichzeitig flexibel sein. Ich habe mal eine ganz fantastische „Zauber­flöte“-Produktion als Pamina gemacht mit Simon McBurney. Er hat uns in seiner Inszenierung quasi nur eine grobe Struktur vorgegeben. Das heißt, wir wussten, wo wir ungefähr langzulaufen hatten, und es gab ein ganz klares Gesamtkonzept. Aber mit welchen Emotionen, Expressionen und Körperspannungen wir die Szenen spielten, das blieb uns je nach spontaner Stimmungslage selbst überlassen. Keiner von uns wusste also, wie der andere am jeweiligen Abend dann drauf war, und damit konnten wir unglaublich frei improvisieren. Das hat mich nachhaltig beeindruckt, und diese Herangehensweise versuche ich mir weiterhin bei vielen Tätigkeiten beizubehalten.

Gab es eine Situation auf der Bühne, in der Sie komplett unerwartet improvisieren mussten?

Landshamer: Bei einem Liederabend habe ich mal Schuberts Nähe des Geliebten gesungen und mir ist der gesamte Text einfach komplett entfallen! Ich habe dann trotzdem alle vier Strophen gesungen, habe das quasi stoisch durchgestanden, und dabei einfach den Text frei nach Goethe improvisiert – und ich kann mit Stolz behaupten, dass sich das Ende einer Zeile immer mit der nächsten gereimt hat (lacht).

Ihr Repertoire reicht vom Barock bis zur Moderne. Was ist Ihr Spezialgebiet?

Landshamer: Schwierig zu sagen. Bei Bach fühle ich mich immer zu Hause. Aber als „Spezialistin“ werde ich sicher bei Stücken gehandelt wie Haydns „Schöpfung“ oder auch beim Brahms-Requiem und Mahlers Vierter – die gehören sozusagen zu meinen signature pieces. Aber mir war und ist es immer sehr wichtig, möglichst vielseitig zu agieren. Ich brauche diese unterschiedlichen Stile und Genres. Ich will Lied singen, ich will Oper singen, ich will Oratorium singen. Und ich bin auch immer bereit, neue Konzepte zu erfinden und auszuprobieren. Ich liebe es einfach, diese ganzen unterschiedlichen Stilistiken genau aufzuschlüsseln und mit verschiedensten gesangstechnischen Mitteln umzusetzen. Denn ein Bach ist kein Strauss und ein Mozart kein Strawinsky. Da müssen Unterschiede zu hören sein.

Ihre aktuelle CD bildet mit Werken von Haydn, Mozart und Beethoven gewissermaßen den Fortgang der Wiener Klassik ab. Wie kam es zu dieser Werkauswahl?

Landshamer: Im Grunde war das ein klassisches Corona-Projekt. Mit der Akademie für Alte Musik Berlin habe ich in den letzten Jahren schon oft sehr eng zusammengearbeitet, und für ein weiteres gemeinsames Projekt war dieses Repertoire dann sehr naheliegend. Gerade diese dramatischen Szenen hatten mich schon lange angefixt. Diese Seelen- und Wahnsinnszustände in diesen berühmten Arien zu interpretieren, war eine große Herausforderung, auf die wir alle große Lust hatten.

Das Album heißt „La passione“ nach der gleichnamigen Sinfonie von Haydn. Wie viel passione steckt denn tatsäch­lich in so einem Haydn-Werk?

Landshamer: Wahnsinnig viel! Haydn setzt die Gefühle und Gedanken seiner Protagonisten direkt um, und ich fand immer, dass es dadurch eigentlich unglaublich modern komponiert ist. Die Kraft, die man beim Singen braucht, die Energie, die Farben, die man finden muss, das ist alles quasi vorgezeichnet. Haydn hat genau verstanden, für menschliches Leid und ausweglose Seelenzustände die richtigen Töne zu finden. Er war ein sehr leidenschaftlicher Mensch. Die Emotionen, die Ironie, der Witz in seinen Stücken – ich habe immer das Gefühl, der hat einfach sehr viel vom Leben verstanden. Das ist es vielleicht auch, was seine Musik qualitativ so wertvoll macht.

CD-Tipp:

Album Cover für La Passione

La Passione

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