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Interview Christiane Karg

„Der Geräuschpegel ist unglaublich“

Wenn die Sopranistin Christiane Karg nicht auf der Bühne steht oder sich nicht um ihr Festival respektive ihr Education-Projekt kümmert, ist sie ganz Familienmensch.

vonAndré Sperber,

Dass sich ihr Termin­kalender quasi von einem auf den anderen Tag wieder dermaßen füllen könnte, hatte Christiane Karg nicht geahnt. Seit das Konzertleben wieder Fahrt aufnimmt, ist die Sopranistin viel unterwegs und präsentiert ihr breitgefächertes Repertoire auf den bedeutendsten Bühnen in Deutschland und Europa. Energie tankt die zweifache Mutter bei ihrer Familie, mit der sie kürzlich in ihre mittelfränkische Heimat zurückgekehrt ist.

Als Opernsängerin steht Ihnen die ganze Welt offen. Warum sind Sie wieder nach Feuchtwangen zurückgekehrt?

Christiane Karg: Weil es eigentlich egal ist, wo wir leben. Mein Mann ist ja auch Musiker, deshalb können wir es uns wirklich aussuchen. Wir haben Berlin während der Corona-Zeit verlassen, weil wir gesehen haben, dass es in der Großstadt in dieser schwierigen Zeit für uns mit Kindern nicht funktioniert. Es hat auch gutgetan, nach dem jahrelangen Herumreisen an einem Ort anzukommen. Wir haben hier alles, was wir brauchen. Und wenn man durch das Fenster sieht, wie die Störche auf dem Kirchendach gegenübersitzen, weiß man, warum man hier leben möchte.

Das klingt sehr bodenständig. Gehört es denn trotzdem zu Ihrem Beruf, auch mal Diva zu sein, oder ist das ein Klischee?

Karg: Manchmal wäre es sicher einfacher, Diva zu sein. Die Leute gewöhnen sich schnell dran, wenn man gutmütig ist und viel mitmacht. Das wird oft irgendwann als Selbstverständlichkeit hingenommen. Die Diven werden da sehr viel mehr hofiert. Aber man kann sich nicht verstellen, und ich möchte als Künstler so authentisch wie möglich sein.

Wie sind Sie darauf gekommen, ausgerechnet in Feuchtwangen Ihr Festival „KunstKlang“ zu gründen?

Karg: Der Bürgermeister fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, in Feuchtwangen eine Reihe ins Leben zu rufen. Zuerst dachte ich, dass das auf dem Land nicht möglich ist. Aber was ich hier alles machen kann, ist unglaublich. Um diese exquisiten Besetzungen und die sehr ungewöhnlichen Programme zu hören, muss man normalerweise an exklusive Orte fahren. Und auch die Künstler, die ich einlade, sind begeistert. Die meisten von ihnen leben in der Großstadt und finden es schön, hier allem entfliehen zu können und trotzdem großartige Musik auf hohem Niveau zu machen.

Sollte die Musik mehr raus aufs Land getragen werden?

Karg: Ich sehe auf jeden Fall die Nachfrage und denke, dass da viel mehr herauszuholen ist. Die Menschen hier sind genauso Steuerzahler wie jene in den Metropolen. Und man darf nicht denken, dass die Leute auf dem Land nicht interessiert und ungebildet sind und dass Hochkultur nur in der Großstadt stattfinden kann. Ich denke, das sollte sich in Zukunft etwas mehr relativieren. Und dass man nicht so weit fahren muss, um Kultur zu konsumieren, ist ja auch ein Umweltaspekt.

Sie haben auch „be part of it! – Musik für Alle“ initiiert.

Karg: Ja, das ist mein Education-Projekt. Obwohl es mittlerweile an jedem Opern- und Konzerthaus eine Abteilung für Education gibt, habe ich über die Jahre festgestellt, dass wir als Künstler überhaupt nicht mit unserem jungen Publikum in Berührung kommen, was total schade ist. Bei dem Projekt gehe ich in Schulen und spreche mit den Jugendlichen über meinen Beruf im Allgemeinen und über die Konzertprogramme. Dann steht der Konzertbesuch an und danach gibt es meist noch ein Gespräch. Man sollte Schulklassen nicht einfach in eine Vorstellung setzen und sich selbst überlassen. Das funktioniert nicht. Man muss die Kinder und Jugendlichen abholen und ihnen den Respekt entgegenbringen, den sie verdient haben. Sie sind schließlich unser Publikum der Zukunft!

Sie selbst haben zwei Kinder. Welche Rolle spielt die Klassik bei Ihnen zu Hause?

Karg: Es ist nicht so, dass wir unsere Kinder irgendwie besonders beschallen müssten, denn die Musik ist bei uns sowieso immer da. Irgendwer sitzt immer am Klavier, und die Kinder sind dann einfach dabei und wollen auch klimpern und mitmachen. Da werden dann zu einem Schubert-Lied auch mal Triangeln und kleine Trommeln herausgeholt. Der Geräusch­pegel ist unglaublich, aber es ist schön, dass da so eine natürliche Herangehensweise an die Musik stattfindet.

Wenn Sie wählen müssten: Oper, großes Konzert oder Kammermusik?

Karg: Zum Glück muss ich nicht wählen, denn ich kann ja alles gleichzeitig machen! Nach jeder größeren Konzert-Tournee freue ich mich wieder auf die Opernbühne und nach jeder Oper wieder auf Konzerte. Ich habe jetzt länger keine Oper gemacht, auch wegen der Kinder, und vermisse es schon ab und zu, mal wieder in eine andere Rolle zu schlüpfen. Aber alles in allem ist für mich alles gleichberechtigt.

Ist die Vorbereitung auf ein Lied genauso umfangreich wie auf eine Opernrolle?

Karg: In der Oper ist die Geschichte der Rolle schon zum Großteil vorgegeben. Zudem hat man meist auch mehr Vorbereitungszeit und wird in seiner Darbietung von Kollegen, Beleuchtung, Kostüm und der ganzen Inszenierung unterstützt. Beim Lied hingegen hat man all diese Hilfsmittel nicht. Da ist der emotionale Ausgangspunkt oft gar nicht so klar, denn ein Lied ist ja nur eine kleine Momentaufnahme. Und auch vom Text erschließt sich ein kurzes Gedicht oft nicht so leicht wie ein Opernlibretto.

Kürzlich haben Sie die Freia in einer konzertanten Aufführung des Rheingolds gesungen. Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Wagners Musik?

Karg: Naja, ich wohne in Mittelfranken, Bayreuth ist nicht weit, und mein Vater ist großer Wagnerianer. Meinen ersten „Holländer“ habe ich mit zehn Jahren gesehen und war hin und weg. Ich habe also tatsächlich eine ganz große Bewunderung für Richard Wagner. Zu meinem Stimmfach passen die Wagner-Partien allerdings nur bedingt, und bisher hielt ich Distanz. Die Partie der Freia war gut machbar und trotzdem hat es eine ganze Weile gebraucht, bis ich in diese ganzen verrückten Wagner-Gedanken und monumentalen Klänge hineingefunden habe.

Gibt es auch Stücke, die Ihnen gar nicht liegen?

Karg: Während meines Festengagements in Frankfurt musste ich mal die Adele aus der Fledermaus singen. Das hat mir so wenig Spaß gemacht! Heute sage ich mit einem Schmunzeln: Das Schönste an dem Abend war mein Kleid. Bei meinen Liederabenden, die ich gänzlich selbst zusammenstellen kann, plane ich Werke, die mir nicht liegen oder zu denen ich keinen Zugang finde, gar nicht erst ein.

Was wollen Sie dagegen unbedingt mal singen?

Karg: Meine Traumpartie ist seit Jahren die Jenůfa von Janáček. Dieses Werk hat mich einfach total gefesselt und lässt mich nicht wieder los.

Wenn Sie Ihre Programme selbst gestalten: Wovon lassen Sie sich inspirieren?

Karg: Ich höre mir immer viele Aufnahmen an. Zu meinen großen Vorbildern gehört zum Beispiel Lucia Popp, weil sie meiner Stimme doch sehr ähnlich war. Die Schnittmenge der Werke, die wir singen, ist sehr groß. Sie ist mir eine große Inspiration. Viel und gerne höre ich auch Elly Ameling, sie hat vor allem Lied und Konzert gesungen. Und auch Barbara Hendricks und Margaret Price schätze ich sehr.

2019 waren Sie Juryvorsitzende beim concerti-Wettbewerb „Das Publikum des Jahres“. Hat sich das Publikum seither verändert?

Karg: Wir alle haben uns durch Corona verändert. Leider gehen zurzeit noch immer weniger Menschen ins Konzert als früher. Aber diejenigen, die kommen, tun das aus vollster Überzeugung. Die Konzert- und Opernbesucher sind insgesamt dankbarer geworden und ich glaube, dass die Beziehung zwischen Künstler und Publikum durch all diese neuen Formate und dem häufigen Austausch während der Krise enger geworden ist.

Sie haben mal gesagt, dass Sie sehr viel von dem mitbekämen, was während eines Auftritts im Publikum passiert.

Karg: Auf der Opernbühne bekommt man sehr wenig mit, da singt man quasi in ein schwarzes Loch. Natürlich spürt man die Energie des Publikums, aber man sieht nicht viel. Im Konzert dagegen kriegt man alles mit. Jede Träne, jeden Blick, jede liebevolle Geste eines Paares, aber auch jeden Blick auf die Uhr, jedes Gähnen, jedes Rascheln des Programmheftes. Am schlimmsten ist das Filmen mit dem Handy. Am besten noch mit erhobenen Händen, damit die Zuhörer in den Reihen dahinter auch wirklich gestört werden. Das nimmt manchmal leider Überhand. Manche Kollegen brechen dann auch schon mal ein Konzert ab.

Haben Sie schon mal abgebrochen?

Karg: Nein. – Doch! Weil ich meinen Text vergessen hatte!

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