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Interview Calmus Ensemble

„Es war ein kontinuierlicher Wechsel“

Mit einer runderneuerten Besetzung feiert das Leipziger Calmus Ensemble 25-jähriges Bestehen und bleibt trotzdem der eigenen DNA treu.

vonChristian Schmidt,

Thomaner – das klingt nach Jugend, frischen Stimmen und Leichtigkeit. Doch ist es schon ein Vierteljahrhundert her, dass sich aus dem Knabenchor das Calmus Ensemble heraus gründete. Inzwischen hat es aber den fast zwanzigsten Besetzungswechsel hinter sich, der diesmal die Leipziger komplett erneuerte, verjüngte und noch weiblicher machte. Zum Jubiläum strahlen die Calmusianer heller denn je, bleiben wach in der Programmgestaltung und geben auch immer wieder neue Werke in Auftrag. In der überschaubaren Nische der Vokalensembles haben sie ihren Ruf weiter ausgebaut, verstehen Konkurrenten eher als Erfahrungsquell und proben noch immer im demokratischen Diskurs. Stellvertretend gewähren Sopranistin Elisabeth Mücksch und Tenor Friedrich Bracks Einblicke in eine moderne Ensemblekultur.

Nach 25 Jahren ist die Besetzung von Calmus völlig ausgewechselt. Sind Sie’s noch?

Friedrich Bracks: Als wir jüngst als Juroren bei einer Akademie zu Gast waren, haben wir genau die Frage an einen befreundeten Dirigenten zurückgegeben. Er meint: Es klingt wie das Calmus Ensemble, das er kennt.

Woran machen Sie es selbst fest?

Elisabeth Mücksch: Im Umgang mit der Musik gibt es schon eine DNA, die uns ausmacht. Wir durften einige Monate lang noch mit ehemaligen Mitgliedern der alten Besetzung zusammenarbeiten und haben uns von ihnen einiges abgeschaut, vor allem mit dem Fokus auf klare Stimmführung und Homogenität. Uns ist auch weiterhin wichtig, Programme zu erfinden, die einem roten Faden folgen und möglichst viele verschiedene Genres versammeln.

Angefangen hat Calmus als Männerensemble, jetzt sind zwei Frauen dabei. Was macht das mit dem Klang?

Bracks: Es war ja ein kontinuierlicher Wechsel: Ich zum Beispiel bin schon seit 2020 dabei, die Altistin kam ein Jahr später dazu. Insofern hat sich der Klang mit jedem neuen Mitglied gewandelt.

Wie viel Altes und Neues steckt heute drin?

Bracks: Wir schöpfen noch viel aus dem Repertoire der alten Besetzungen, da gibt es Unmengen eingerichtetes Notenmaterial. Einiges kopieren wir, anderes machen wir ganz anders. Wir versuchen auch, Repertoire zu erarbeiten, das Calmus noch nie gesungen hat. Ein Ensemble wie unseres muss sich stets neu erfinden.

Mücksch: Unseren Stimmen bieten wir manchmal bewusst mehr Entfaltungsmöglichkeiten im solistischen Sinne, auch wenn der Ensembleklang weiterhin verschmelzen soll.

Wie erlebt Ihr Publikum den Wandel?

Mücksch: In den vergangenen zwei Jahren gab es fast nur positive Rückmeldungen, dass wir Calmus erhalten und unseren Weg trotzdem anders weiterverfolgt haben.

Bracks: Teils blicken wir in enttäuschte Gesichter, wenn alte Aufnahmen am CD-Stand zu haben sind, weil die Menschen unsere aktuellen Stimmen nach Hause nehmen wollen.

Das Calmus Ensemble pflegte lange Jahre noch den Impetus, aus ehemaligen Thomanern zu bestehen. Sie wiederum kommen alle aus ganz unterschiedlichen Traditionen. Hat auch das Einfluss auf das Repertoire?

Bracks: Mit jedem neuen Mitglied gibt es neue Werke und unterschiedliche Stile …

Mücksch: … gerade wenn man Bach singt. Es ist sehr spannend, sich da auf einen gemeinsamen Weg zu einigen.

Spielt der Standort Leipzig da überhaupt noch eine Rolle?

Bracks: Durchaus. Von den derzeit zehn Programmen haben vier einen Bach-Schwerpunkt, eines bezieht auch andere Meister ein, die hier groß geworden sind.

Mücksch: Zu unserem Jubiläumskonzert werden wir auch einen aktuellen Leipziger uraufführen: Bernd Franke hat eigens für uns komponiert.

Sie behalten also die Zuwendung zur Moderne nach wie vor bei. Empfinden Sie diesbezüglich künstlerische Verantwortung oder auch ein Bedürfnis?

Mücksch: Beides, das schließt sich nicht aus, gerade bei Franke. Auch von Harald Banter haben wir eine Auftragskomposition zum Jubiläum bekommen. Vielleicht ist auch das ein Teil unserer DNA, diese musikalischen Freundschaften weiter zu pflegen.

Wie ist die Lage bei den Veranstaltern für Vokalensembles? Der Markt war ja immer eine Nische.

Mücksch: Die Situation ist eine deutlich andere als vor der Corona-Pandemie, vor allem was die Kurzfristigkeit der Anfragen angeht. Unsere Konzertkalender füllen sich weiterhin verlässlich, aber später als früher. 2024 ist das erste Jahr, wo es wieder so gut läuft wie früher.

Leben Sie davon?

Bracks: Ja, alle fünf.

Mücksch: Wir behaupten, wir sind die Einzigen in Deutschland, die sich ausschließlich von ihrem Ensemble ernähren. Die meisten von uns kommen ja auch aus der Freiberuflichkeit, so dass nach wie vor auch Möglichkeiten für solistische Tätigkeiten oder chorische Arbeiten bestehen. Dafür haben wir aber dieses Jahr wirklich keine Zeit, was vor allem in den Vorbereitungen auf das Jubiläum begründet ist.

Insgesamt neunzehn Sängerinnen und Sänger waren oder sind Mitglieder des Calmus Ensembles
Insgesamt neunzehn Sängerinnen und Sänger waren oder sind Mitglieder des Calmus Ensembles

Welchen Eindruck haben Sie von der Quantität des Publikums?

Mücksch: Sie mögen Recht haben damit, dass A-cappella-Gesang eine Nische bleibt, aber dafür ist das Publikum sehr treu. Manche Veranstalter klagen, aber bei den Festivals sind die Konzerte doch meistens voll.

Machen Sie da Abstriche? Manchmal hat man den Eindruck, es gibt einen Trend zu kleinteiligeren Programmen.

Bracks: Das kann sein, beeinflusst aber nicht unsere Ansprüche. Wir sind dankbar für jeden längeren Zyklus, den wir in unsere Programme aufnehmen können. Die Auftragskompositionen fürs Jubiläum sollten mindestens zwanzig Minuten lang sein und es ermöglichen, drumherum einen Spannungsbogen aufzubauen. Wollten wir nur Drei-Minuten-Stücke singen, würde es sich wie eine Nummernoper anfühlen.

Mücksch: Es gibt aber auf jeden Fall einen Trend zu eher weltlichen Programmen. Selbst in Kirchen soll das geistliche Repertoire meist nur die Hälfte einnehmen. Es wird oft gewünscht, dass wir zum Ende hin etwas lockerer werden. Und wir singen auch gern mal Popsongs.

Woran liegt das?

Mücksch: Das klassische Publikum wird immer älter, und die Jüngeren müssen das Repertoire noch entdecken.

Bracks: Deren Zugang zu unserem Kern ist einfach leichter, wenn wir auch etwas „moderner“ unterwegs sind.

Gibt es mit der Besetzungsänderung auch Werke, die Sie nicht mehr singen können?

Mücksch: Ja, das „Mozärtliche Schneewittchen“, was viele Jahre ein Calmus-Klassiker mit verteilten Rollen war, um die Geschichte gut erzählen zu können. Ansonsten gibt es maximal stimmlich kleine Anpassungen.

Bracks: Gerade in der Alten Musik sind einige Stücke für gleichwertige Frauenstimmen gedacht und wurden trotzdem früher von Calmus gesungen. Das funktioniert jetzt naturgemäß besser.

Sie nehmen auch weiterhin fleißig auf. Sind CDs nicht tot?

Mücksch: Solange wir uns das zeitlich und finanziell leisten können und unser Publikum das nachfragt, wollen wir gern daran festhalten. Außerdem verdienen wir daran wenigstens noch ein bisschen – im Unterschied zu Spotify.

Bracks: Und es ist ja auch schön, etwas in der Hand zu halten, das man sich physisch gesichert hat. Viele, die uns gestreamt haben, stellen sich die CD dann trotzdem noch der Vollständigkeit halber ins Regal, vielleicht auch, um sich nach dem Konzert noch ein Autogramm abzuholen. Wir geben uns auch enorm viel Mühe mit Aufmachung und Booklet. Nur online bleibt es doch irgendwie flüchtiger.

Wenn Sie sich das Wahlergebnis in Sachsen anschauen: Wird der Ton gegenüber der Kultur rauer werden?

Bracks: Natürlich betrachten wir das mit Sorge und tun auch nicht so, als ob wir meinungsloses Künstlertum betreiben würden.

Mücksch: Unsere Jubiläumskonzerte werden wir auch dafür nutzen, um für Weltoffenheit und eine freie Kulturszene einzutreten. Inwiefern sich die politischen Entscheidungen auf das öffentlich geförderte Kulturleben insgesamt auswirken werden, können wir nur abwarten und versuchen, unsere Haltung zu bewahren.

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