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Interview Brigitte Fassbaender

„Was übrig bleibt, wenn überhaupt, ist vermutlich doch der Octavian“

Brigitte Fassbaender blickt auf nunmehr zwei außergewöhnliche Karrieren zurück. Doch im Interview anlässlich ihres 85. Geburtstags zeigt sich: Die Sängerin und Regisseurin hat noch Ziele und Träume.

vonKirsten Liese,

Frau Fassbaender, nicht jede Kollegin kann im Alter von 85 Jahren auf eine derart lange und facettenreiche künstlerische Karriere zurückschauen. 1961 begann Ihre Laufbahn als Mezzosopran an der Bayerischen Staatsoper. Seit 1995, als Sie Ihre Gesangskarriere beendeten, widmen Sie sich erfolgreich der Regie. Außerdem haben Sie dreizehn Jahre lang das Innsbrucker Landestheater in Tirol als Intendantin geleitet und von 2009 bis 2017 die Richard-Strauss-Tage in Garmisch-Partenkirchen. Befriedigt sie die Regiearbeit genauso wie das Singen oder denken Sie bisweilen wehmütig an die vergangene Gesangskarriere zurück?

Brigitte Fassbaender: Ich denke zurück, aber nicht wehmütig. Die Regie ist auf ganz andere Weise genauso erfüllend und den Tag und die Zeit bestimmend, wie es das Singen war. Ich bin gefordert und im Einsatz wie eh und je.

Würden Sie heute Rollen, die Sie einst gesungen haben, anders gestalten, seit Sie die Werke inszeniert haben?

BF: Ich glaube, wenn man sich mit Leib und Seele der Rollengestaltung hingibt, trifft man sich mit einem Regisseur als singender Darsteller in der Ausdeutung. Die Inspiration ist wechselseitig. Ich habe immer versucht, die Figuren so zu gestalten, wie der Regisseur sie in mir erweckt hat und es von mir erwartete. Ein Regisseur ist dazu da, die Fantasie und die emotionale Kreativität eines Sängers herauszufordern und in die richtigen Gleise zu führen. Natürlich tut man viel selber dazu, aber es kommt immer auf den Regisseur an, in welche Richtung man seine Rollen entwickelt. Ich habe von großen Regisseuren viel gelernt, auch für meine Regiearbeit, und sehe seither die anderen Rollen, nicht nur meine damaligen eigenen, mit ganz anderen Augen. Man muss sich mit allen Charakteren beschäftigen, sie kennenlernen und psychologisch ausloten in einem Stück. Das ist das Spannende und Interessante.

Sie galten als eine singende Darstellerin. Die Rollengestaltung war Ihnen also schon damals sehr wichtig.

BF: Absolut, es war mir stinklangweilig, irgendwo an der Rampe zu stehen und so schön wie möglich zu singen. Ich wollte immer einen Charakter kreieren, eine Rolle gestalten, emotional ausdeuten und bis an die Grenzen gehen. Das ist etwas, was man als Regisseur bei den Mitspielern erreichen muss: Dass sie Barrieren abbauen, innere Grenzen überspringen und sich ganz in den Charakter vertiefen, den man darzustellen hat.

Greifen wir einmal die Klytämnestra in Strauss’ „Elektra“ exemplarisch heraus: Unlängst haben Sie den Einakter in Lübeck inszeniert. Inwiefern unterschied sich in Ihrer Produktion diese Figur gegenüber Ihrer früheren Darstellung als Sängerin?

BF: Harry Kupfer hat die Rolle in den Achtzigern in Wien mit mir erarbeitet. Das war eine sehr temperamentvolle, mir unvergessliche Arbeit. Ich habe ganz bewusst versucht, in meiner Inszenierung etwas anderes zu machen. Es ist eine fantastische Partie. Ich war damals nach den zwanzig Minuten, die man da in vollem Einsatz auf der Bühne ist, stets schweißgebadet und froh, dass ich nach dem Abgang verschnaufen konnte. Es ist eine gewaltige Rolle, die einen sehr angreift. Das ist tiefenpsychologische Arbeit, die man leisten muss, sängerisch, schauspielerisch und in der Regie sowieso. In Lübeck sang für mich Edna Prochnik diese Rolle, ein wunderbarer, spannender Mezzo, die sich nun allerdings ausgerechnet an meiner Darstellung als Vorbild orientiert hatte. Die „Elektra“ von Kupfer gibt’s ja auf DVD. Ich musste ihr letztlich alles austreiben und abgewöhnen, was sie sich von mir abgeschaut hatte.

Wie sollte denn Ihre Klytämnestra sein?

BF: Ich habe sie jetzt viel einsamer, ernster, verletzter und viel Mitleid erregender gesehen. Klytämnestra hat unglaublich viel hinter sich: Agamemnon hat ihr Kind getötet und Iphigenie geopfert, sie hat unglaublich viel Schmerzliches und Verzweiflungsvolles in ihrem Leben erlebt. Das alles schleppt sie neben dem Mord an ihrem Mann Agamemnon mit sich herum. Diese Verletzbarkeit, die Verzweiflung und die Verstörtheit dieser Frau habe ich versucht, auf strenge und subtile Weise auszudeuten, etwas kammerspielartiger. Damals war das eine Riesenszene mit riesigen Aufzügen an Statisten, ich musste sehr extrovertiert agieren. Ich habe das zurückgenommen, ohne szenischen Aufwand, ganz auf die Figur konzentriert.

Der Oktavian aus Richard Strauss' „Der Rosenkavalier“ gehört zu den Paraderollen von Brigitte Fassbaender
Der Oktavian aus Richard Strauss› „Der Rosenkavalier“ gehört zu den Paraderollen von Brigitte Fassbaender

Vor wenigen Monaten ist der Komponist Aribert Reimann gestorben, Sie waren ihm eng verbunden.

BF: Ich hatte das Glück, mit Aribert Reimann die drei Schubertzyklen aufnehmen zu können. Und in Liederabenden mit ihm habe ich oft die „Hängenden Gärten“ von Schönberg in Kombination mit Schumanns „Dichterliebe“ gesungen. Ein herausforderndes, von Aribert inspiriertes Programm. Zudem hat mir Aribert einen A cappella-Zyklus nach Celan-Texten unter dem Titel „Eingedunkelt“ geschrieben und gewidmet, der heute viel von Countertenören und Mezzosopranen gesungen wird.

In meinem Garten und Häuschen am Gardasee hat er den Zyklus geschrieben und mir auch das Skizzenbuch geschenkt. Das ist eines meiner kostbarsten Besitztümer. Überhaupt war die Arbeit mit Aribert Reimann ein prägendes Geschenk für mich. Zu seiner Beerdigung konnte ich leider nicht in Berlin sein, weil ich mich in München in Proben befand und mir den Tag nicht freinehmen konnte, aber ich habe einen Abschiedsbrief an ihn geschrieben, der bei der Trauerfeier verlesen wurde.

Da habe ich ein Detail erwähnt, das in meiner Zusammenarbeit mit ihm ein wichtiges Schlaglicht war. Als wir uns dieses schwere Programm mit Schönberg und Schumann vornahmen, sagte er zu mir: „Singe den Schönberg wie Puccini und den Schumann wie Schönberg.“ Das war ein erhellender Hinweis für mich, das habe ich nie vergessen. Ich habe viel von ihm gelernt. Reimann war ein liebevoller, integrer Mensch und einer der größten Komponisten unserer Zeit. Wir haben uns wunderbar verstanden, ohne viel Worte, nur durch die Musik.

Das Lied sei Ihre Domäne gewesen, sagten Sie einmal. Warum?

BF: Irgendwie war mir das Lied in seiner Unüberschaubarkeit und der literarischen Vielfalt von Anfang an sehr nah, und heute noch ist die Beschäftigung mit dem Lied unerlässlich für mich. In meiner Lehrtätigkeit in Meisterkursen ist die Arbeit am Lied nach wie vor ein wichtiger Aspekt. Immer versuche ich mit jungen Sängerinnen und Sängern das Lied populär zu halten und den Schwerpunkt auf das Lied zu legen. Denn an ihm lernt man am meisten: Gesangskultur, Disziplin, totale individuelle Hingabe und Risikofreudigkeit.

Wenn wir einmal Bilanz ziehen: Welche Ihrer Opernfiguren wird man in fünfzig Jahren noch mit Ihrem Namen in Verbindung bringen?

BF: Das ist ohne Frage „Der Rosenkavalier“. In jeder Generation gibt es eine Sängerin, die auf der Rolle sitzt, wie man so sagt, das war bei mir eben der Octavian und daneben noch der Orlofsky in „Die Fledermaus“. Meine persönliche Lieblingsrolle war die Charlotte im „Werther“. Die Brangäne im „Tristan“, die Eboli im „Don Carlos“ oder der Sesto im „Titus“ waren mir auch sehr lieb. Aber was übrig bleibt unterm Strich, wenn überhaupt, ist vermutlich doch der Octavian.

Wie feiern Sie Ihren 85. Geburtstag?

BF: Gar nicht, um Himmels willen! Ich bin mitten in der Arbeit in Erl, bei den Festspielen in Tirol, und habe die Wiederaufnahme meines „Rings“ zu betreuen, der diesen Sommer zum letzten Mal und in zwei Zyklen kommt. Ich habe einige gravierende Umbesetzungen und muss mächtig probieren. Mein Geburtstag fällt aber ausgerechnet auf einen Tag, an dem ich frei habe, also kann ich zuhause bei meinen Katzen sein und meinen Lieblingsnachtisch, English Summer Pudding, essen und mir mal einen ruhigen Tag machen.

Sie stehen in gutem Kontakt zu Elisabeth Sobotka, der designierten Intendantin der Berliner Staatsoper, die Sie mehrfach zu Inszenierungen mit dem Opernstudio nach Bregenz eingeladen hat, wie auch diesen Sommer. Insofern würde es naheliegen, dass Sie demnächst Ihr spätes Debüt an der Berliner Lindenoper geben, zumal Sie den neuen Generalmusikdirektor Christian Thielemann sehr schätzen, der angekündigt hat, viel Strauss an der Staatsoper zu dirigieren!

BF: Das ist ein Traum. Wenn der in Erfüllung ginge, einmal in meiner Heimatstadt etwas inszenieren zu dürfen, noch dazu am Stammhaus meines Vaters, Willy Domgraf Fassbaender, wäre ich unwahrscheinlich glücklich. Eine Zusammenarbeit mit Christian Thielemann würde mich brennend interessieren. Leider war meine Gesangskarriere schon vor seiner Zeit zu Ende. Ich hätte liebend gerne einmal unter ihm gesungen. Er ist ein großartiger Musiker.

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