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Interview Bo Skovhus

„Ich bin kein Drache, der alles kontrollieren will“

Der dänische Bariton Bo Skovhus über seine musikalische Kindheit, modernes Regietheater und die Folgen der Pandemie für die Kultur.

vonChristian Schmidt,

Doch, es gibt sie noch, die großen Sängerdarsteller: Angefangen vom großen Da-Ponte-Mozart-Repertoire, erschloss sich Bo Skovhus innerhalb weniger Jahre ein unglaublich breites Repertoire bis hin zur Moderne, das auch viele Uraufführungen einschließt. Dabei pflegt der doppelte Kammersänger mit Begeisterung auch das Liedrepertoire. Wie die meisten ganz großen Künstler ist der 60-Jährige dabei auf dem Boden geblieben und kann ganz ohne Dünkel ebenso über seine große musikalische Neugier wie über seine dörfliche dänische Herkunft plaudern.

Sänger aus Dänemark findet man nicht oft auf internationalen Bühnen …

Bo Skovhus: Doch, es gibt schon ein paar. Man nimmt sie vielleicht nicht so als Dänen wahr, weil wir so ein kleines Land sind und uns gut anpassen können.

Wie ist es um den Nachwuchs bestellt?

Skovhus: Ich habe eine kleine Professur an der Hochschule in Kopenhagen. Dort ist ganz Skandinavien versammelt, und die Qualität ist absolut vergleichbar mit Deutschland.

Ihr Vater soll gesagt haben, man könne nicht vom Singen leben. Aber Sie hatten gute Musiklehrer. Wie ist das heute?

Skovhus: Ich habe Glück gehabt, dass mich in meiner Kindheit fantastische Lehrer motiviert haben, nach der Schule Musik zu machen. So etwas gibt es auch in Dänemark kaum mehr. Ob sich dafür im Zeitalter der elektronischen Medien überhaupt noch jemand interessiert, würde ich auch eher bezweifeln. Meine Heimatstadt Ikast mit ihren 10.000 Einwohnern war eher für Fußball bekannt. Dort lernt man eher „was Richtiges“. Ich sollte Bankkaufmann werden, das ist dann mein Bruder geworden.

Wie haben Sie in dieser Umgebung Ihr Interesse für die Musik entdeckt?

Skovhus: Ich habe immer schon gern als Kind gesungen, vor allem im Schulchor. Wir hatten in unserer Kleinstadt eine Brass Band, die mal alte Instrumente versteigert hat. Weil mein Vater selber Tuba spielte, hat er für mich auch eine gekauft. Ich bekam sofort Unterricht und konnte plötzlich Noten, so ging das los. Blasorchester liebe ich bis heute und rede auch immer mit den Orchestermusikern über ihre Instrumente.

Wer entdeckte Ihre Stimme?

Skovhus: Das waren zwei Lehrer am Gymnasium, die mich nach Aarhus zu privatem Unterricht vermittelt haben. Nach einem Jahr wollte ich dann Musik studieren, aber dafür musste ich in der Tat viel Überzeugungsarbeit bei meinen Eltern leisten. Deren Bedingung war, dass ich an der Universität Musikwissenschaft studiere. Das war zwar nicht meine Welt, ich wollte lieber Ausübender sein. Aber abgeschlossen habe ich das Studium trotzdem und konnte dann doch aufs Konservatorium.

Wie wird man in Dänemark Opernsänger?

Skovhus: Das ist sehr schwierig, denn eigentlich gibt es nur anderthalb Theater, die Opern aufführen. Man bekommt ständig gesagt, Opernsänger werde ja sowieso niemand, man bilde eher Pädagogen oder Choristen aus. Durch einen Zufall kam ich dann erst an die Opernschule in Kopenhagen und später über einen Meisterkurs zur Wiener Volksoper, wo man 1987 als Don Giovanni ein junges, unbeschriebenes Blatt suchte – das war reines Glück.

Nachdem Sie eine Zeit lang auf Mozart abonniert waren, eroberten Sie sich ein ungewöhnlich breites Repertoire bis hin zur Moderne. Was interessierte Sie daran?

Skovhus: Das war reine Neugier, die ich mir bis heute erhalten habe. Noch während des Studiums gab ich gern Liederabende und lernte moderne Komponisten kennen, die unglaublich gescheit waren. Es hat mich interessiert, wie solche Leute denken. Zu neuen Kompositionen konnte ich oft noch etwas beitragen oder empfehlen. Mozart hat damals gewiss auch so gearbeitet und sich von den Interpreten beraten lassen.

Bo Skovhus ist begeistert von Hugo Wolf
Bo Skovhus ist begeistert von Hugo Wolf

Empfinden Sie eine Verantwortung für die zeitgenössische Musik?

Skovhus: Auf jeden Fall. Man kann doch nicht durch ein ganzes Sängerleben gehen, ohne sich dafür zu interessieren! Viele Kollegen meiden die Moderne aus unterschiedlichen Gründen, aber das halte ich für falsch. Nur Rossini singen zu wollen, hätte für mich etwas Museales. Mein Repertoire umfasst weit über hundert Rollen.

Dabei haben Sie die unterschiedlichsten Handschriften kennengelernt. Was halten Sie vom modernen Regietheater?

Skovhus: Ich bin damit aufgewachsen. Es hat keinen Sinn, Musikthea­ter im Stil von vor 200 Jahren zu machen. Ob eine aktuelle Deutung dann Sinn ergibt, ist die zweite Frage. Ich habe immer alles mitgemacht, schließlich sind wir das Werkzeug des Regisseurs. Man kann aber auch selbst bei der Probenarbeit einiges beeinflussen.

Neben der Oper pflegen Sie weiterhin den Liedgesang. Warum?

Skovhus: Zum einen brauche ich das als eine Art von Kontrolle. Wenn man keine Dichterliebe singen kann, hat man etwas falsch gemacht. Lieder zeigen mir sofort, ob die Technik stimmt oder ob ich irgendwo forciert habe. Zum anderen gehe ich als Sänger immer vom Text aus. Man steht mit den Worten allein da und muss sie dem Publikum vermitteln – ohne Drumherum. Deswegen halte ich auch inszenierte Liederabende für grauenhaft, weil unnötig. Jeder soll doch seine eigenen Bilder entwickeln!

Dabei haben Sie ganz viele Komponisten für sich neu entdeckt. Entspringt das auch Ihrer Neugier?

Skovhus: Natürlich! Ich halte zum Beispiel Hugo Wolf für einen der besten Liedkomponisten überhaupt: Er ging wirklich genial mit dem Text um. Leider glaubt kein Veranstalter, einen ganzen Abend damit verkaufen zu können. Wolf scheint zu kompliziert zu sein.

Ihre Begeisterung geben Sie auch als Professor weiter. Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?

Skovhus: Dass man Freude haben muss mit dem, was man macht. Ich bin kein Drache wie andere, die immer alles kontrollieren wollen. Den Studierenden sage ich daher immer: Singt, was ihr wollt! Aber ich will sehen, wie ihr diese Freude an der Musik selbst erlebt, weil ihr sie sonst nicht teilen könnt.

Das ist zurzeit nicht die einzige Schwierigkeit für Künstler. Wie haben Sie die Corona-Zeit überstanden?

Skovhus: Anderthalb Jahre fielen alle Pläne zusammen, das ist für Freischaffende natürlich schon rein wirtschaftlich eine Katastrophe. Aber wir haben gemerkt, dass man eigentlich mit sehr wenig Geld auskommt. Andererseits wird man plötzlich nach Hause gezwungen, wo man doch sonst ständig unterwegs war. Das ist auch eine Prüfung für Ehe und Familie – aber wir haben sie bestanden. Irgendwann mussten wir allerdings Regeln aufstellen, um nicht in den Tag hinein zu leben.

Die Folgen für das Musikleben sind nicht absehbar. Glauben Sie an eine Entwöhnung des Publikums?

Skovhus: Ich befürchte ja. Man hat gelernt, nicht zwingend für Kultur bezahlen zu müssen. Es gibt schließlich preisgünstige Alternativen. In Krisen hält man das Geld zusammen. Und Theater wird ja leider ohnehin schon für elitäre Gruppen gemacht.

Können Sie Ihren Studierenden dann noch empfehlen, Musiker zu werden?

Skovhus: Es ist wirklich hart, aber ich sage das nie. Sie sollen zwar ermutigt werden, wenn sie dafür brennen. Haben sie nur den leisesten Hauch von Zweifel, sollten sie etwas anderes machen. Ich bin froh, dass ich jetzt nicht anfangen muss. Aber wer wirklich gut ist – und das hört man sofort –, schafft es auch. Außergewöhnliche Talente sprechen für sich.

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