Er selbst würde sich vor allem daran erkennen, dass er immer ein bisschen zu adrenalingeladen, fast schon wie im Fieber spiele, erklärt Martin Fröst im Interview. Und auch sonst macht der gut gelaunte und lebhafte Klarinettist den Eindruck, als gäbe es nicht viele Ruhephasen in seinem Leben. Für concerti hat er sich dennoch einen Moment Zeit genommen und das Gespräch mit viel Fachwissen und lustigen Anekdoten bereichert.
Bartók: Rumänische Volkstänze – V. Rumänische Polka
Carion Windensemble
Odradek Records 2016
Bartóks „Rumänische Volkstänze. Ich verwirkliche selbst viele Projekte mit Volksmusik und habe dieses Stück schon auf vielfältige Weise arrangiert. Das erste Mal war es mir wichtig, die Musik zurück zum Original zu bringen – nicht zum originalen Bartók, sondern zur originalen rumänischen Volksmusik. Denn normalerweise sind die Tänze etwas schneller als bei Bartók. Aber er ist ein toller Komponist, wenn man die musikalische Folklore Rumäniens näher kennenlernen möchte.
Hindemith: Klarinettenkonzert – I. Ziemlich schnell
Sharon Kam, hr-Sinfonieorchester, Daniel Cohen (Leitung)
Orfeo 2021
Dieses Stück habe ich schon sehr lange nicht mehr gespielt, das letzte Mal wohl vor dreißig Jahren. Das Konzert ist ein gutes Beispiel dafür, dass Hindemith großartige Musik komponiert und einen wichtigen Teil zum Klarinettenrepertoire beigetragen hat. Hindemith hat es damals für Benny Goodman geschrieben. Ich weiß aber nicht, wer hier spielt. – Ach, Sharon Kam? Ich mag sie sehr. Sie ist eine wundervolle Frau und Klarinettistin.
Purcell: Music for a While
Martin Fröst, Sébastien Dubé (Kontrabass)
Sony Classical 2022
Das bin ich. Ich liebe die Zusammenarbeit mit Kontrabassist Sébastien Dubé. Er hat so viel Erfahrung in den Bereichen Jazz und Volksmusik! Während dieses Projekts habe ich viel von ihm gelernt. Für dieses Album habe ich nur Werke ausgesucht, die in meinem Leben eine besondere Rolle einnehmen. „Music for a While“ ist die früheste Erinnerung, die ich habe, sie ist quasi eine Art Traum. Ich erinnere mich nämlich, dass meine Mutter immer Händel und Purcell gesungen hat, als ich noch in ihrem Bauch war. Dasselbe habe ich auch bei meiner Tochter erlebt: Wenn ich ihr bestimmte Stücke vorgespielt habe, hat sie immer an der gleichen Stelle getreten.
Sing, Sing, Sing
Benny Goodman and His Orchestra
Naxos 1938
Benny Goodman war eine sehr wichtige Figur in der Klarinettengeschichte. Er hat in seinem Orchester weiße Musiker mit schwarzen zusammengebracht, war maßgeblich an der Entwicklung der klassischen Musik in den USA beteiligt – und er war ein verdammt guter Klarinettist! Für mich ist er so wichtig wie es Anton Stadler zu Zeiten Mozarts oder Richard Mühlfeld zu Zeiten Brahms’ war. Benny hat viele Stücke bei Komponisten wie Bartók, Poulenc oder Hindemith in Auftrag gegeben, darüber können wir heute sehr froh sein.
Strawinsky: Suite aus „L’Histoire du soldat“ – II. Le violon du soldat
Hans Deinzer
VCR 2007
Ich kenne den Klarinettisten, sagen Sie? – Oh Hans Deinzer (schlägt sich auf die Stirn)! Ich habe mir gedacht, dass er es sein könnte, mich aber nicht getraut zu raten. Er war mein Lehrer, und er war eine Art Guru, hat auf einem sehr hohen Level unterrichtet. Ich war so voll mit gutem Willen, Wünschen und musikalischen Ideen, habe geübt und geübt. Und alles, was er immer gesagt hat, war: „viel Arbeit“. Ich war dann zunächst enttäuscht, aber nach der Arbeit mit ihm habe ich immer besser gespielt. Er hat mich dann gefragt: „Hast du es gefühlt?“ Und ja, jeder hat es gefühlt.
Mendelssohn: Konzertstück op. 113 – I. Allegro con fuoco
The Clarinotts
DG 2016
Ist das Felix Mendelssohn? Ich finde das wunderschön. Sind das die Ottensamers? Das ist wirklich eine Highclass-Aufnahme. Ich habe Daniel einige Male unterrichtet. Er kam mit seinem Vater auch zu einem meiner Konzerte in Amsterdam. Es war so schön zu sehen, dass der Vater mit dem Sohn gereist ist, nicht umgekehrt, und ihn bedingungslos unterstützt hat. Ich habe ein tolles und positives Engagement vom Vater gespürt, der Daniel zu nichts gedrängt hat, was ich wirklich toll fand.
Chaim: A Heart Dance
Giora Feidman
Koch Schwann 2000
Ich erinnere mich noch sehr genau daran, als ich Giora Feidman zum ersten Mal gehört habe. Damals war ich vierzehn oder fünfzehn Jahre alt, als ich in der Schule in einer Box mit Partituren und Tonträgern gewühlt und darin eine Kassette gefunden habe, auf der „Israelischer Klarinettist“ draufstand. Ich habe die Kassette mitgenommen und etwas entdeckt, das ich vorher noch nie gehört hatte. Der Klang war so anders als alles, was ich kannte und bis dahin gespielt hatte. Ich war hypnotisiert! Später habe ich einige seiner Melodien übernommen. Beispielsweise spiele ich ganz oft „Let’s Be Happy“. Ich spiele es aber nicht wie Giora, sondern eher wie einen Mix aus Paganini und Klezmer. Vor zehn Jahren kam ich von einer Tour nach Hause und mein Handy hat geklingelt – es war Giora Feidman. Er war so nett und hat mir erzählt, dass er es schätzen würde, wie ich sein Stück spiele. Das hat mich so glücklich gemacht, denn er hätte auch das Gegenteil sagen können. Er hat mich sehr ermutigt.
Hendrickx: Sutra – II. Dhyna
Annelien van Wauwe, NDR Radio Philharmonie, Andrew Manze (Leitung)
Pentatone 2021
(hört lange zu) Muss ich das kennen? (hört weiter zu) Ich habe wirklich keine Ahnung. – Aha, Annelien van Wauwe. Ist das die Frau, die Yoga macht? Das ist wundervoll! Ich meditiere auch viel, was sich sehr positiv auf mein Spiel auswirkt.
Temptation
Artie Shaw and His Orchestra
RCA 1936
Das ist nicht Benny, oder? Und auch nicht Woody Herman. Und auch nicht Artie Shaw. – Es ist Artie Shaw?! (stampft auf den Boden) Das ist ein großartiger Klang, und er ist ein toller Musiker. Leider hat er sich aber immer mit Benny Goodman verglichen und mit ihm konkurriert. Das ist nie gut, denn es beeinträchtigt die Kreativität und das Leben im Allgemeinen. Das sage ich auch immer zu meinen Kindern.
Aho: Klarinettenkonzert – I. Tempestoso
Martin Fröst, Lahti Symphony Orchestra, Osmo Vänskä (Leitung)
BIS 2007
Das bin wieder ich. Ich glaube nicht, dass ich das Stück heute noch so schnell spielen kann (lacht). Das ist ein tolles Werk, und ich habe es sehr viel gespielt. Es war aber schwer, es einzustudieren. Es ist immer sehr unterschiedlich, mit zeitgenössischen Komponisten zusammen zu arbeiten. Derzeit arbeite ich mit Anna Clyne zusammen. Sie schreibt ein Werk für mich und das Concertgebouw Orchester, bei dem ich in dieser Saison Artist in Residence bin. Sie lässt mich am Prozess teilhaben, indem sie mir immer Passagen des Werkes schickt, die ich dann kommentiert an sie zurückgebe. Bei Kalevi Aho war es damals anders: Als er dieses Klarinettenkonzert komponiert hat, das Sie mir gerade vorgespielt haben, habe ich trotz einiger schwieriger Passagen nichts gesagt. Ich musste mir sogar aneignen, mit Doppelzunge zu spielen, um die schnellen Läufe zu schaffen. So hat er wiederum gelernt, wie ich spiele. Manchmal muss man die Dinge eben einfach ausprobieren und machen.
Lonesome Blues
Woody Allen & His New Orleans Jazz Band
RCA 1998
Ich würde jetzt etwas raten, aber ich traue mich nicht. Ist es Sidney Bechet? – Nein? Sind Sie das (lacht)? – Okay, ich sagte ja Sidney Bechet und erkläre Ihnen warum: Die einzige Person, die ich kenne, die sehr inspiriert von Bechet ist, ist Woody Allen. – Es ist Woody Allen? Ich habe einmal mit Gustavo Dudamel in Los Angeles gespielt. Nach dem Konzert gab es ein großes Dinner, ich saß neben dem Manager von Woody Allen und er wollte, dass ich mal etwas mit ihm mache. Aber das war zu der Zeit, als es Probleme gab wegen der Missbrauchsvorwürfe von seiner Adoptivtochter, also habe ich lieber Abstand gehalten. Aber ich wünschte, ich hätte ihn bei meinem letzten Besuch in New York gehört, da hat er in einem Club gespielt. Leider hat das zeitlich nicht geklappt. Woody Allen verwendet in seinen Filmen auch sehr viel von Bechet. Es war also nicht so falsch, als ich am Anfang gedacht habe, es sei er.